Energy Sharing ist ein Konzept, das die Energiewende voranbringen kann und auch den Bürger:innen nützt. Hier liest du, worum es dabei geht und welche Hürden Energy Sharing noch überwinden muss.
Energy Sharing oder der gemeinschaftliche Strom
Energy Sharing bedeutet, dass Bürger:innen eigenen grünen Strom produzieren und ihn gemeinsam nutzen. Dafür schließen sie sich zu einer Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft zusammen. Eine solche Gemeinschaft betreibt dann Photovoltaik– oder Windkraftanlagen in der direkten Umgebung.
Ein Konzeptpapier des Bündnis Bürgerenergie e.V. erklärt, wie Energy Sharing funktionieren kann:
- Die Bürger:innen erwerben Anteile an einer Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft. Das Prinzip ist vergleichbar mit einer Genossenschaft, bei der du ebenfalls zum Miteigentümer:in wirst, indem du Anteile kaufst. Beim Energy Sharing kontrollieren so die beteiligten Bürger:innen selbst ihre Energieerzeugung und -versorgung. In vielen Fällen sind die Energiegemeinschaften auf sozial-ökologische Ziele ausgerichtet statt auf Gewinne.
- Die Gemeinschaft finanziert und betreibt lokale Solar- oder Windkraftanlagen. Das können Solaranlagen auf Dächern in der Nachbarschaft sein, aber auch Wind- und Solarparks innerhalb eines festen Radius, etwa 25 Kilometern.
- Diesen direkt vor Ort produzierten Ökostrom beziehen die Mitglieder zu einem vergünstigten Tarif.
Sollten die Anlagen in bestimmten Fällen keinen Strom produzieren können, zum Beispiel bei Wind- oder Dunkelflaute, beziehen die Mitglieder in der Regel automatisch Strom vom lokalen Energieversorger zu dessen Tarifen. Dieses Prinzip gibt es schon länger, zum Beispiel bei Photovoltaikanlagen auf dem Dach. Produziert die Anlage Strom, nutzt du den selbst produzierten Strom. Steht dir gerade kein Sonnenstrom zur Verfügung, kaufst du den Strom regulär ein.
Energy Sharing bringt Vorteile
Energy Sharing ermöglicht den Bürger:innen, die Produktion und Nutzung von klimafreundlichem Strom in die eigene Hand zu nehmen. Das Bündnis Bürgerenergie nennt verschiedene Vorteile solcher Gemeinschaften:
- Jede:r kann sich beteiligen: Die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften sind offen für alle Bürger:innen. Auch Anwohner:innen ohne eigene Immobilie oder mit begrenzten finanziellen Mitteln können auf diese Weise selbst produzierten Ökostrom nutzen.
- Nutzung bestehender Stromnetze: Der lokal produzierte Strom versorgt die Nachbarschaft über das bestehende Stromnetz. Es sind zum Beispiel keine großen Entfernungen im Stromnetz zu überbrücken. Die Produktion und Nutzung liegen nah beieinander.
- Günstige Verbrauchstarife: Die Verbraucher:innen profitieren von günstigen Tarifen, da die Stromnebenkosten gering sind. Für die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften können Aufschläge wegfallen, die üblicherweise stromproduzierende Unternehmen und Netzbetreiber entrichten, zum Beispiel die Stromsteuer oder Umlagen, die der Versorgungssicherheit im Netz dienen.
Moderne Stromzähler, die Smart Meter, können für eine genaue Abrechnung sorgen. Sie unterscheiden, zu welchen Zeiten der selbst produzierte Strom geflossen ist und ermöglichen so die Berechnung zu den günstigen Tarifen. Diese Technologie könnte dabei helfen, den Stromverbrauch bewusster zu gestalten und Strom vor allem dann zu verbrauchen, wenn er aus eigener Quelle zur Verfügung steht. So könnten Verbraucher:innen den günstigen eigenen Solarstrom tagsüber zum Beispiel für die Waschmaschine oder den Geschirrspüler nutzen. Auf diese Weise ließen sich die Stromnetze insgesamt entlasten.
Energy Sharing nützt dem Klima und der Umwelt
Energy Sharing könnte dem Ausbau der Erneuerbaren Energien den jetzt notwendigen Schub geben. Wenn immer mehr Menschen aufgrund der günstigen Konditionen Mitglieder von Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften werden, werden sie in ihrer Nachbarschaft zu Förder:innen der Energiewende. In Form von nachbarschaftlicher Stromversorgung könnten ganze Regionen die Energiewende selbst in die Hand nehmen.
Die Umweltorganisation BUND spricht sich daher für Energy Sharing aus. Das Konzept ermöglicht den raschen Ausbau grüner Energie. Den lokal produzierten Strom nutzen die Anwohner:innen direkt über das bestehende Stromnetz – anders als zum Beispiel bei Mieterstrom-Modellen oder auch bei Off-Shore-Windparks. Das umstrittene Projekt Südlink etwa verbindet mit einer Starkstromtrasse die Windparks an der Nordsee mit den Verbraucher:innen in Bayern. Der Strom legt dann viel weitere Wege zurück.
Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hat untersucht, welche geographischen Möglichkeiten für Energy Sharing überhaupt bestehen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich hauptsächlich Solaranlagen auf Dächern und Freiflächen dafür anbieten. Dafür besitzen gerade bevölkerungsreiche Regionen wie das Ruhrgebiet oder das Umland von Großstädten das meiste Potenzial. Bis 2030 ließen sich so etwa 42 Prozent der noch benötigten Kapazitäten an erneuerbarer Energie abdecken.
Energy Sharing ermöglicht also einen gewaltigen Sprung nach vorn, um die gesteckten Ausbauziele noch zu erreichen. Laut Referentenentwurf für die EEG-Novelle sollen Erneuerbare Energien bis 2030 rund 80 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland decken. Um diesen Ausbau zu schaffen, bedarf es jedoch noch einiger Anstrengungen. Laut Statistischem Bundesamt lag 2021 der Anteil der Erneuerbarer Energien am erzeugten Strom erst bei 42,4 Prozent.
Der massive Ausbau ist notwendig, um möglichst zügig bei der Einsparung von Treibhausgasen voranzukommen. Um den Anstieg der Erderwärmung doch noch auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, muss die Welt schnellstmöglich Treibhausgase einsparen. Je früher das gelingt, desto wahrscheinlicher können die Menschen noch etwas gegen den von ihnen verursachten Klimawandel unternehmen. Der Weltklimarat IPCC warnte in einem Bericht von 2021, dass drastische Gegenmaßnahmen notwendig seien. Ansonsten sei es wahrscheinlich, dass die 1,5 Grad Grenze schon zwischen 2030 und 2052 überschritten werde.
Energy Sharing und die gesetzlichen Hürden
So viel Potenzial in Energy Sharing auch steckt – das Konzept hat derzeit einen großen Haken: In Deutschland fehlen die gesetzlichen Rahmenbedingungen, um mit Energy Sharing loszulegen. Der IÖW erläutert, dass dafür die Regierung die bestehenden Gesetze erweitern müsste, damit sie das Modell Energy Sharing abbilden. Zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Gesetzesänderungen erst geben den Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften die Grundlage, das öffentliche Netz zu nutzen und den Strom dabei zu ihren eigenen Tarifen abzurechnen.
Die Umweltorganisation BUND weist darauf hin, dass im Koalitionsvertrag, von Ende 2021 noch von der Förderung der Bürgerenergie durch Energy Sharing die Rede war. Im März 2022 wandte sich daher eine Allianz von über 30 Organisationen, darunter BUND, Greenpeace und Germanwatch sowie Bürgerenergie-Verbände in einem offenen Brief an die Bundesregierung. Darin forderten sie, den Weg für Energy Sharing freizumachen.
Auf der Ebene der EU setzt die Renewable Energy Directive (RED II) von 2018 bereits den strukturellen Rahmen, um Energy Sharing möglich zu machen. Der BUND erklärt, dass die Mitgliedsstaaten diese EU-Vorgabe bis Ende Juni 2021 in nationale Gesetze umsetzen sollten. Die deutsche Vorgängerregierung ließ diesen Termin tatenlos verstreichen. Anders in Ländern wie Österreich, hier haben schon erste Energiegemeinschaften ihre Arbeit aufgenommen. Schätzungen zufolge könnten 90 Prozent der Haushalte in Deutschland von günstigeren Strompreisen profitieren, wenn das Gesetz umgesetzt wird.
In Deutschland hätte sich mit der Neufassung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG-Novelle-2022) die Einführung von Energy Sharing angeboten. Allerdings fand im Rahmen des Osterpakets der Regierung Energy Sharing keinen Platz. Der Klimareporter lobt die EEG-Novelle dennoch: Sie zeige, dass die Regierung nun in Sachen Klimaschutz Fahrt aufnehme.
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