Der Begriff Eurozentrismus kommt in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz. Was er genau bedeutet, ist jedoch nicht immer ganz klar. Mehr zur Bedeutung und Entwicklung des Eurozentrismus erfährst du hier.
Das Konzept des Eurozentrismus taucht des Öfteren in unterschiedlichen Kontexten auf, beispielsweise in der Historik, der Entwicklungshilfe und anderen soziopolitischen Bereichen. Vereinfacht gesagt beschreibt der Begriff eine rein europäische Sicht auf die Welt, die andere Kulturen ausschließt, ignoriert oder diskriminiert. Eine solche Sichtweise prägt unser Geschichtsbewusstsein, aber auch aktuelle politische Prozesse.
Was ist Eurozentrismus?
Es gibt mehrere Definition des Eurozentrismus, die sich alle ein wenig voneinander unterscheiden beziehungsweise unterschiedliche Schwerpunkte setzen:
- Laut der Definition des Seminarzentrums IKUD für interkulturelle Kompetenz beschreibt Eurozentrismus eine Sichtweise, die Europa als unreflektiertes Zentrum des Denkens und Handelns ansieht. Zudem ist die europäische Entwicklungsgeschichte der Maßstab für jegliche Vergleiche mit anderen Kulturen. Aufgrund dessen werden nicht-europäische Kulturen aus der Perspektive europäischer Werte und Normen beurteilt. Der Eurozentrismus wird dabei teilweise als Variante des Ethnozentrismus angesehen. Der Ethnozentrismus beschreibt eine politische Einstellung, bei der die Werte und Besonderheiten der eigenen Volksgruppe über die anderer gestellt wird.
- Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist Eurozentrismus als universalistisches Bewertungsmuster zu verstehen, das sich von Normen des Industriekapitalismus und der Aufklärung ableitet und mit dem Beginn des Kolonialismus an Wichtigkeit gewann. Das Konzept sieht nicht-europäische Kulturen grundsätzlich als unterlegen und rückständig an.
- Nach einer dritten Definition des Magazins Spektrum bedeutet Eurozentrismus, dass Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxen gesehen wird. Dabei werden die politischen und kulturellen Systeme Europas als Ideal universeller Vernunft und menschlicher Entwicklung gesehen. Die europäische Geschichte und Entwicklung wird als Norm verstanden und andere Länder können sie entweder erfüllen oder von ihr abweichen.
Eurozentrismus: Geschichtliche Bedeutung
Der Eurozentrismus hat eine längere geschichtliche Bedeutung, denn er sieht Europa als den Ursprung des historischen Fortschritts. Der Historiker Robert Marks sagt, dass im Rahmen des Eurozentrismus Europa als einziger aktiver Gestalter der Weltgeschichte gesehen wird. Demnach bestimmt Europa und der Rest der Welt muss sich danach richten.
Demzufolge gehe die gesamte menschliche Geschichte auf Europa zurück. Der Rest der Welt besitze keine eigene Geschichte bis zu dem Zeitpunkt, bis ein nicht-europäisches Land mit Europa in Kontakt kommt. Eine längere Zeit wurde im Rahmen des Eurozentrismus zudem davon gesprochen, dass nur Europa Veränderungen und Modernisierungen anstoßen könne. Gerade diese Annahme war in der Geschichte lange vorherrschend.
Heutzutage versuchen Historiker:innen laut der BpB jedoch zu zeigen, dass die Vergangenheit viel vielschichtiger und diverser ist. Die These der europäischen Dominanz ist dabei nicht nur ignorant und diskriminierend, sondern auch wissenschaftlich nicht haltbar. Viele unterschiedliche Interaktionen haben zu unterschiedlichen Entwicklungen geführt.
Um sich in Zukunft weiter von Eurozentrismus zu entfernen, ist es wichtig, vielfältige Perspektiven zu betrachten und Ereignisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beurteilen – vor allem aus den Blickwinkeln von diskriminierten Minderheiten und nicht-weißen Personen.
Die Rolle des Eurozentrismus in der Entwicklungszusammenarbeit
Wie bereits in den Definitionen deutlich wurde, geht mit dem Eurozentrismus eine vermeintliche klare Überlegenheit der westlichen Welt einher. Dies wird auch in der Entwicklungszusammenarbeit deutlich, denn diese ist auch heutzutage größtenteils meistens nur in eine Richtung zu beobachten. Und zwar gehen laut der BpB größtenteils Expertise und Gelder vom globalen Norden in den globalen Süden. Der globale Süden soll dabei von den Kompetenzen und Mitteln des globalen Nordens profitieren und nicht umgekehrt.
Mittlerweile gibt es jedoch Bemühungen, diese Dynamiken zu ändern. Es wird nun mehr und mehr angestrebt, eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu etablieren. Dies verdeutlicht schon allein der Begriff – ehemals als „Entwicklungshilfe“ bekannt wurde er in „Entwicklungszusammenarbeit“ umbenannt. Ob sich dies auch in der Praxis niederschlagen wird, wird sich zukünftig zeigen.
Die Rolle des Eurozentrismus in anderen Bereichen
Auch im alltäglichen Leben lässt sich erkennen, dass der Eurozentrismus unterschiedlichen Prozessen noch zugrunde liegt. Ein Beispiel dafür ist laut einer Gruppe von Wissenschaftler:innen aus Bielefeld die Annahme, dass bestimmte Traditionen oder Abläufe in allen Kulturen genauso ablaufen wie in westlichen Kulturen. Dass jedoch nicht in allen Ländern, Kulturen und Gemeinschaften Weihnachten, Ostern oder Silvester gefeiert wird wie in Europa, sondern ganz andere Tage und Feste bedeutsam sind, ist vielen europäisch geprägten Menschen nicht bewusst.
Abgesehen davon sind auch in der Bildung noch viele eurozentristische Strukturen erkennen – sowohl in der Schule als auch in der Universität. In westlichen Universitäten ist die Lehre oft von Menschen dominiert, die selber in westlichen Kontexten aufgewachsen sind, sodass diverse Blickwinkel aus anderen Kulturen fehlen. In der Schule werden zum Beispiel im Literaturunterricht fast ausschließlich europäische Autor:innen (wie Shakespeare oder Goethe) behandelt.
Auch die Verwendung verschiedener Begriffe im Alltag ist teilweise eurozentristisch geprägt. Beispiele dafür sind die Begriffe „Industrie- und Entwicklungsland“ oder auch „Naher oder Mittlerer Osten“.
Es wird also deutlich, dass sich in der westlichen Welt in unterschiedlichen Bereichen einige eurozentristische Strukturen finden. Diese sind nicht immer offensichtlich, aber dennoch vorhanden. Sie aufzuarbeiten und zu durchbrechen ist notwendig, um Diskriminierungen zu beenden und einen fairen Austausch zwischen verschiedenen Kulturen zu ermöglichen.
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