Folgst du Social-Media-Accounts, über die du dich regelmäßig aufregst? Dann machst du es wahrscheinlich auch: Hate Following. Was es damit auf sich hat und warum du das lieber lassen solltest, liest du hier.
In den sozialen Medien häuft sich in letzter Zeit ein (vermeintlich) neuer Begriff: das „Hate Following“. Damit ist gemeint, dass Menschen bestimmten Accounts folgen, obwohl sie diese eigentlich nicht leiden können. Und das mit dem bewussten Ziel, sich über diese aufzuregen, sie abzuwerten oder sich über sie lustig zu machen. Aber nicht öffentlich, sondern im Geheimen oder im Austausch mit Freund:innen.
Was ist dran am Hate Following? Was steckt dahinter? Und gibt es eine Erklärung dafür?
Hate Following: Eine Einordnung des Begriffs
Das Urban Dictionary definierte den Begriff schon 2014 wie folgt: „When you can’t help but follow someone on social media, despite how much you despise them and/or what they stand for.“ Auf Deutsch: „Wenn man nicht anders kann, als jemandem in den sozialen Medien zu folgen, egal wie sehr man sie:ihn verachtet und/oder wofür sie:er steht.
Man möge denken: Wenn man jemanden nicht leiden kann, geht man ihm:ihr aus dem Weg. Man ist froh, wenn man nichts mit ihm:ihr zu tun haben muss. Im echten Leben machen das viele Menschen sicherlich auch so. Auf Social Media kann das anders sein: Hier geben immer mehr Menschen zu, ihren „Hassobjekten“ zu folgen, um sie zu beobachten und sich über sie aufzuregen. Sie scrollen absichtlich zu den Accounts, um sie zu verfolgen (also sie aus negativem Antrieb zu beobachten) und holen sie sich absichtlich ins (digitale) Leben.
Ähnliche Begriffe sind Schadenfreude und Lästern oder „Klatsch und Tratsch“. Laut der Psychologin Myriam Bechtoldt lästern wir alle und es kann sogar positive Effekte haben: Es verbindet Menschen miteinander. Auch der Psychologe Jan Engelmann kommt zum Fazit, dass Lästern eine wichtige menschliche Eigenschaft ist, die den Zusammenhalt fördert. Wichtig ist aber, sich in Erinnerung zu rufen: Wenngleich Lästern den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe stärken kann, kann es gleichzeitig zu Ausgrenzung und Leid anderer führen.
Dr. Martin Farr, Dozent für Zeitgenössische britische Geschichte an der Newcastle Universität, stellt fest, dass das Verhalten schon lange vor Social Media zu beobachten war. Er schreibt „You no longer have to buy a gossip magazine to see a figure you despise making a fool of themselves – you can simply pick up your phone“ („Man muss kein Klatschmagazin mehr kaufen, um zu sehen, wie eine Person, die man verachtet, sich lächerlich macht – man kann einfach zum Telefon greifen.“).
Aber zurück zum modernen und digitalen Phänomen des Hate Following.
Beispiele für Hate Following
Laut dem Independent outen sich immer mehr Menschen zum Hate Following und berichten von ihren „Hassobjekten“. Dabei kann es um ganz verschiedene Personen gehen. Zum Beispiel Menschen, die man aus dem echten Leben kennt, wie nervige Kolleg:innen oder Expartner:innen. Es kann sich aber auch um Personen handeln, die in der Öffentlichkeit stehen, wie etwa Influencer:innen oder Politiker:innen.
Genannt werden auch Accounts, die man früher mal gut fand, aber inzwischen nicht mehr leiden kann. Und statt sie stumm zu stellen oder ihnen zu entfolgen, beobachtet man sie weiter.
Die Psychologie hinter dem Phänomen
Wenn es um die Erklärung des Verhaltens geht, gibt es zwei Aspekte. Zum einen werten Menschen das eigene Selbstbewusstsein durch den (negativen) Vergleich mit anderen auf. Zum anderen werden starke Gefühle wie Hass oder Liebe im Gehirn nahezu gleich behandelt.
- Selbstaufwertung durch Vergleich: Ein Experiment der Ohio State University zeigte, dass Menschen vor allem dann zu Hate Follower:innen werden, wenn es ihnen gerade nicht gut geht. Die Proband:innen, denen es innerhalb des Experimentes schlechter erging, verbrachten viel Zeit mit negativen Social Media Inhalten. Hingegen setzten sich die gut gelaunten Proband:innen auch mit positiven Inhalten auseinander. Die Erkenntnis der Forschenden: Wenn es Menschen schlecht geht, werten sie sich über das noch schlechtere Schicksal anderer selbst auf.
- Hauptsache Glückshormone: Laut der Psychotherapeutin Sally Baker unterscheidet das Gehirn funktionell nicht zwischen Liebe und Hass. Wenn Menschen sich mit etwas sehr intensiv auseinandersetzen, werden Oxytocin, Serotonin and Dopamin ausgeschüttet. Gleich nach der Schadenfreude scheint es den Berichtenden allerdings schlecht zu gehen, die Glückshormone sind nur währenddessen aktiv.
Eine sehr wichtige Erkenntnis: Beim Hate Following geht es gar nicht um die anderen, sondern vor allem um einen selbst. Beide Erklärungen zielen darauf ab, dass man sich besser fühlen möchte. Aber ist das langfristig eine gute Methode?
Übrigens: Kennst du schon den Utopia-Podcast auf Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts & Co? Hier haben wir uns in einer Folge mit dem Thema Digital Detox beschäftigt.
Warum du Hate Following lieber lassen solltest
Auch wenn sich viele Menschen gerade zum Hate Following äußern, sollte das nicht als Banalität abgetan werden. Dr. Sally Baker stellt zwar fest, dass es in gewissen Grenzen ein ziemlich normales und verständliches Verhalten ist. Ganz nach dem Motto „Spread Love, not Hate“ solltest du es dennoch lieber lassen.
Zusammenfassend hier einige Argumente gegen Hate-Following:
- Der Vergleich im Netz hinkt immer. Du siehst nur, was der Account von sich preisgibt. Die „schöne Instagram-Welt“ ist nicht real und damit geht der Vergleich auch nie auf. Lies mehr zu Ursachen und was du dagegen tun kannst.
- Du verschiebst deine Probleme und wirst langfristig nicht glücklich. Dir geht es zwar kurz besser, dein eigentliches Problem ist aber nicht gelöst.
- Schadenfreude, Vergleich und Hass verändern dich auf Dauer. Fokussiere dich nicht zu viel auf negative Dinge im Leben. Das kann dich langfristig immer unglücklicher machen.
- Liebe dich selbst ein wenig mehr, statt andere zu hassen. Wenn es dir gerade schlecht geht, setzt du dich am besten mit dir selbst auseinander. Hier haben wir Tipps und Übungen für das geliebte Ich.
Gehe nicht zu hart mit dir ins Gericht, wenn du dir Dopamin auch mal durch Hass statt Liebe holst, wenn du auf dein Handy starrst. Aber vergiss dabei nicht, dass hinter dem Account eine echte Person mit Gefühlen steckt.
Laut Baker ist das Gegenteil von „Hate Following“ übrigens nicht „Love Following“, sondern völlige Gleichgültigkeit. Man könnte auch sagen: Das Gegenteil ist in dem Fall weniger Social Media und mehr echtes Leben.
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