Der Begriff "Intersektionalität" ist dir vielleicht begegnet, wenn du dich mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit oder Diskriminierung auseinandersetzt. Was genau es damit auf sich hat, erklären wir dir hier.
Was ist Intersektionalität überhaupt?
Der Begriff Intersektionalität beschreibt die Kombination mehrerer Merkmale eines Menschen, zum Beispiel Geschlechtsidentität oder ethnische Zugehörigkeit, aufgrund derer er diskriminiert werden kann. Es wirken dabei also verschiedene Dimensionen der Diskriminierung zusammen, zum Beispiel Rassismus und Sexismus. Dadurch entsteht eine neue Form von Diskriminierung. Man könnte also auch von einer Art Mehrfachdiskriminierung sprechen.
Die Juristin und Professorin Kimberlé Crenshaw prägte den Begriff der Intersektionalität im Jahr 1989. Damals benutzte sie ihn zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Gruppe Schwarzer Frauen, deren jeweilige Klagen vor Gericht alle abgewiesen worden waren. Während sie den Fall analysierte, wurde ihr klar, dass die Frauen spezifisch als Schwarze Frauen diskriminiert wurden. Es fand also eine Diskriminierung sowohl im Bezug auf das Geschlecht als auch auf die ethnische Zugehörigkeit statt.
Abgeleitet ist der Begriff der Intersektionalität vom englischen Wort „intersectionality“, das so viel bedeutet wie „Kreuzung“ oder „Überschneidung“. Kimberlé Crenshaw wählte diese Bezeichnung, da sich die Theorie der Intersektionalität gut mit dem Beispiel einer Kreuzung erklären lässt. Bei diesem Vergleich stehen die sich überkreuzenden Straßen für unterschiedliche Merkmale eines Menschen, zum Beispiel für Sexualität oder Geschlechtsidentität. Auf diesen „Straßen“ können „Unfälle“ beziehungsweise Diskriminierungen in Bezug auf die einzelnen Merkmale passieren. Wer in der Mitte der Kreuzung steht, das heißt mehrere dieser Merkmale vereint, ist dabei einer größeren Gefahr ausgesetzt, in einen „Unfall“ verwickelt beziehungsweise diskriminiert zu werden.
Das Konzept der Intersektionalität ist wichtig, weil es aufzeigt, dass Diskriminierung auf unterschiedlichen Ebenen auftreten kann. Es zeigt außerdem, dass durch die Kombination mehrerer Merkmale neue Formen von Diskriminierung entstehen können und dass solche Kombinationen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, diskriminiert zu werden.
Beispiele für Intersektionalität
Das Konzept der Intersektionalität ist zunächst recht abstrakt. Um es besser zu veranschaulichen, haben wir hier zwei Beispiele für dich. Sie zeigen, wie Intersektionalität in der Praxis aussehen könnte.
- Das erste Beispiel beschreibt einen alten Menschen mit Sehbehinderung. Dieser Mensch kann nun zum einem aufgrund seines Alters diskriminiert werden, zum anderen aber auch aufgrund seiner Sehbehinderung. Diese Art von Diskriminierung stellt auch eine neue Art von Diskriminierung dar. Sie kann weder von alten Menschen ohne Sehbehinderung noch von jüngeren Sehbehinderten vollständig nachvollzogen werden. Der betroffene Mensch kann sowohl Opfer von Altersdiskriminierung als auch von Ableismus sein.
- Beim zweiten Beispiel handelt es sich um eine homosexuelle Schwarze Frau mit geringem Einkommen. Sie kann zum einen aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert werden, zum anderen aufgrund ihrer Hautfarbe. Noch dazu kann ihre finanzielle Situation Grund für eine Diskriminierung sein. Die Kombination dieser drei Merkmale kann somit zu einer neuen Art von Diskriminierung führen. Diese Art von Diskriminierung kann weder eine weiße homosexuelle Frau noch eine weiße heterosexuelle Frau richtig nachempfinden. Ebensowenig können eine Schwarze homosexuelle Frau mit hohem Einkommen oder eine weiße homosexuelle Frau mit geringem Einkommen die Situation vollständig nachempfinden. Die Frau aus dem Beispiel ist somit von einer neuen Art der Diskriminierung in mehreren Dimensionen betroffen: Sie kann sowohl Opfer von Rassismus als auch von Homophobie und Klassismus sein.
Gibt es Kritik am Konzept?
Kimberlé Crenshaw selbst hat vor einigen Jahren Kritik im Bezug auf die Anwendung ihres Konzeptes geübt. Und zwar ist sie der Meinung, dass der Grundgedanke des Konzeptes bei der Anwendung leider des Öfteren verfehlt wird. Sie beobachtet diese Problematik vor allem in empirischen Studien und bei der theoretischen Anwendung. Sie ist der Meinung, dass die Anwendung des Konzeptes hierbei leider oft zum Nachteil der Menschen ausfällt, die mehrdimensionaler Diskriminierung ausgesetzt sind. Das heißt, es wird nicht auf ihre Benachteiligung im Zusammenhang mit der Diskriminierung aufmerksam gemacht. Stattdessen sehen sich die betroffenen Menschen mit negativen Auswirkungen konfrontiert. Crenshaw spricht in Zusammenhang damit von dem Beispiel, dass das Konzept der Intersektionalität teilweise verwendet wird, um normative Herrschaftsideen zu reproduzieren.
Jede:r sollte laut Crenshaw einen bestimmten Grad von Selbstreflexion und Offenheit mitbringen, um intersektional zu denken. Das heißt, dass jeder Mensch das Potenzial besitzt, Akteur:in von diskriminierenden Handlungen zu werden – auch, wenn das unbewusst passiert. Wenn man dieses Potenzial und die diskriminierenden Handlungen anerkennt, ist laut Crenshaw die Grundlage für die angemessene Anwendung von Intersektionalität geschaffen. Das heißt, dass das Konzept der Intersektionalität zugunsten der Betroffenen und nicht zu ihrem Nachteil verwendet wird.
Fazit: Insgesamt wird deutlich, dass Intersektionalität ein wichtiges Konzept ist. Es hilft, die unterschiedlichen Formen und Dimensionen von Diskriminierung besser zu verstehen und nachzuvollziehen. Jedoch kann es Probleme bei der Umsetzung geben, derer man sich bewusst sein sollte.
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English version available: Intersectional Environmentalism: Definition and Relevance
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