Aus Plastikmüll wird neue Kleidung: Wie könnte das nicht nachhaltig sein? Die Modeindustrie arbeitet seit Jahren mit Textilien auf Basis von Recycling-Kunststoff. Doch Expert:innen finden solche Recyclingprozesse teils „nicht sinnvoll“.
Die Welt hat ein Kunststoffproblem … und die Modeindustrie scheinbar eine Lösung. Sie stellt aus altem Plastik neue Kleidung her. Das klingt nach einer nachhaltigen Idee – doch es gibt so einige Haken.
Ocean Plastic: Retter der Meere?
Mit dem Begriff „Ocean Plastic“ vermarkten Hersteller Produkte, die zum Teil aus Kunststoffmüll bestehen sollen, welcher aus dem Meer gefischt wurde. Aus diesem entstehen zum Beispiel Armbänder, Bademode oder Rucksäcke. Das Problem:
Zum einen Intransparenz. Es gibt keine Regelung dazu, zu wie viel Prozent als „Ozeanplastik“ vermarktetes Materials wirklich aus recyceltem Kunststoff aus den Meeren bestehen muss. Viele Hersteller machen dazu keine Angaben. Das Unternehmen Got Bag machte 2022 beispielsweise Negativschlagzeilen, als Zeit Online und Flip falsche und unklare Angaben zum Anteil von Meeresplastik eines Rucksacks aufdeckten. Ein Garn oder Textil aus 100 Prozent Meeresplastik gibt es bisher nicht.
Zum anderen gibt es Zweifel daran, dass Meeresplastik an sich nachhaltiger ist. Kai Nebel, Leiter des Forschungsschwerpunkts Nachhaltigkeit & Recycling an der Hochschule Reutlingen, bezeichnet das Konzept gegenüber Utopia sogar als „ökologische Katastrophe“. Denn um das Plastik aus dem Meer zu fischen, es zu sortieren und zu reinigen, müssten sehr viel Energie und Ressourcen eingesetzt werden.
Für Ocean Plastic wird übrigens nicht einfach irgendein Plastik aus dem Meer gefischt, es werden vor allem PET-Flaschen gesammelt. Denn diese bestehen aus nur einer einzigen Kunststoffart – anderer Plastikmüll oft aus gemischten Stoffen, die sich kaum mehr isolieren und wiederverwenden lassen.
Mehr Informationen: Kleidung aus Ozean-Plastik – macht das Sinn?
Beliebt bei Kleidung: Recyceltes Polyester (rPET)
PET-Flaschen sind generell ein beliebtes Ausgangsprodukt für Mode aus recyceltem Plastik. Dafür kommen aber mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Flaschen zum Einsatz, die mühsam aus dem Meer gefischt oder auf Mülldeponien eingesammelt wurden. Denn dies ist aufgrund der Verunreinigung des Materials nicht einfach so möglich. Wahrscheinlicher ist, dass PET verwendet wird, das zuvor gesammelt wurde – mit dem Ziel, es unter anderem zu neuen Flaschen zu recyceln.
Grundsätzlich existiert in Deutschland und in Europa ein funktionierender Kreislauf für gebrauchte PET-Flaschen. Zahlen der Industrievereinigung Kunststoff (IK) zufolge wurden PET-Getränkeflaschen in Deutschland im Jahr 2021 zu 97 Prozent recycelt. Rund 45 Prozent des Rezyklates flossen in die Herstellung von neuen Getränkeflaschen, rund 27 Prozent in Folien und 11 Prozent in die Produktion von Textilfasern. Recycling-Forscher Nebel jedoch warnt: Wenn man Kleidung aus recycelten PET-Getränkeflaschen mache, dann nehme man sie aus dem Kreislauf heraus. Die Getränkeindustrie müsste dann mehr Plastikflaschen herstellen, damit die Textilindustrie diesen Rohstoff nutzen kann. „Ein Recycling von Flaschen zu Fasern ist nicht sinnvoll“, findet der Experte.
Dazu kommt, dass der Rohstoff Polyester an Qualität verliert, wenn er zu Kleidung weiterverarbeitet wird. Denn sobald das Kleidungsstück einmal kaputt ist, kann man anschließend keine neue Kleidung (oder Plastikflaschen) mehr daraus gewinnen. Es landet also wahrscheinlich auf einer Müllhalde oder wird verbrannt, ein Faser-zu-Faser-Recycling findet so gut wie nicht statt. Streng genommen handelt es sich beim Nutzen von PET-Flaschen für Recyclingkunststoff also um Downcycling (das Umwandeln eines Produkts in ein schlechteres Endprodukt) statt um Recycling (das Umwandeln in ein gleichwertiges Produkt).
Mehr Informationen: Recyceltes Polyester: Geht so nachhaltiges Plastik?
Aus Geisternetzen? Recyceltes Nylon von Econyl
Auch Nylon ist ein Kunststoff, der aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird und in Textilien oft zum Einsatz kommt. Die Modeindustrie nutzt auch hier inzwischen eine Variante, die als nachhaltiges Recycling-Produkt vermarktet wird: Econyl. Die Marke wirbt damit, Müll wie etwa Geisternetze wieder zu neuwertigem Nylon zu verarbeiten.
Wie die Firma gegenüber Utopia erklärt, besteht die Faser zu rund 50 Prozent aus Industrieabfällen wie Plastik- und Stoffresten, der Rest sei „Post Consumer“-Müll. Dieser Müll schlüssle sich weiter auf in 50 Prozent alte Teppichen und 50 Prozent Fischernetze aus Aquakulturen. Der genaue Mix hänge aber vom Preis, der Qualität und der Verfügbarkeit der verschiedenen Müllsorten ab.
Aus dem Meer gefischte Geisternetze spielen – entgegen der Unternehmenswerbung – in der Produktion also keine so große Rolle wie Netze aus Aquakultur. Letztere würden sonst auf Müllhalden landen oder verbrannt, stellt das Unternehmen klar. Die Menge variiere.
Die Rohstoffe werden sortiert, zerkleinert und chemisch recycelt. Dabei wird das Nylon depolymerisiert und in seinen Originalzustand zurückversetzt, aus dem neues Nylongarn gesponnen wird. Laut Firma verursache der Prozess weniger CO2-Emissionen als neuwertiges Nylon.
Das Umweltbundesamt beobachtet chemisches Recycling kritisch, weil der Prozess sehr energieintensiv ist. Für eine ökologische Bewertung würden jedoch fundierte Daten fehlen.
Kann (recycelter) Kunststoff in Textilien sinnvoll sein?
Macht es überhaupt Sinn, Kunstfasern für Kleidung zu verwenden? Das hängt von dem Zweck der Textilien ab. „Nachhaltige, faire und ökozertifizierte Baumwolle nützt wenig, wenn es stürmt und schüttet – da ist man froh über einen Regenmantel mit Kunststoffanteil“, sagt Kai Nebel. Kunststofffasern erfüllen wichtige Funktionen und sind oft langlebig. Trotzdem sollten wir nur auf sie zurückgreifen, wenn es sinnvoll ist. „Zur Mount-Everest-Besteigung ist eine Outdoor-Ausrüstung sinnvoll – Kinder überleben den Weg zur Schule aber durchaus ohne High-Tech-Multifunktionskleidung“, meint Nebel.
Wenn wir also Kunstfasern nutzen, macht es dann Sinn, auf recycelte zurückzugreifen? Nein, findet der Experte: Recyclingfasern tragen Nebel zufolge bislang nichts zur ökologischen Nachhaltigkeit bei, beim chemischen Recycling sei sogar das Gegenteil der Fall. Beim chemischen Recycling wird Kunststoff zerkleinert, mit Chemikalien in seine Grundbausteine zersetzt und zu neuen Kunststoffen oder Kraftstoffen verarbeitet. Laut Nebel seien Energieaufwand und CO2-Ausstoß dabei „exorbitant“.
Kunststoffe können auch mechanisch recycelt werden, dabei werden sie gereinigt, mechanisch zerkleinert, aufgeschmolzen und zu Kunststoffgranulat verarbeitet. Nebel findet, es kann sinnvoll sein, mechanisch recycelten Kunststoff beispielsweise zuzumischen. Dafür müsse Kunststoff aber sortenrein lokal anfallen, es bräuchte eine entsprechende Infrastruktur. Sein Fazit: „Derzeit ist ein ökologisch und ökonomisch sinnvolles Recycling – auch aus prozesstechnischen Gründen – beim Faserrecycling nicht gegeben.“
Trotzdem weist er darauf hin, dass das Recycling von Rohstoffen in Zukunft ein wichtiger Baustein der textilen Lieferkette sein müsse. Doch dafür brauche es eine Systemänderung: Man müsse Ressourcen sparen, diese lange und verantwortungsvoll nutzen, Infrastrukturen schaffen, die ein Recycling ermöglichen und Recycling-Prozesse weiterentwickeln. „Recycling steht ganz am Ende der textilen Wertschöpfungskette und sollte nicht weiterhin als Mittel zum Zweck gesehen werden.“
Wie nachhaltig ist Faserrecycling? Meinungen gehen auseinander
Dennoch greifen zahlreiche Unternehmen auf Fasern mit recyceltem Kunststoffanteil zurück – und bewerben diese als nachhaltig. Utopia hat zusätzlich beim Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) nachgefragt, inwiefern recycelte Kunststofffasern nachhaltiger sind als solche aus Neukunststoff. Der Fachverband vereint Unternehmen, die sich mit der Erfassung, Sortierung und Verwertung von Alt-Textilien beschäftigen. Seine Antwort: „Ehrlicherweise gehen hier die Meinungen auseinander.“ Fakt sei, dass jede Tonne Kunststoff, die nicht neu produziert werden müsse, helfe – doch wie viel, das sei schwer zu ermitteln.
Der Verband verweist auf eine recht spekulative McKinsey-Studie von 2022. Laut dieser könnten Investitionen in Textilrecycling bis 2030 möglicherweise 4 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Auf Basis verschiedener Studien erwarte man 70-80 Prozent Einsparungen bei Treibhausgasen bei thermo-mechanischem Recycling und 60-70 Prozent bei chemischem Recycling – jeweils gegenüber neuen Kunststofffasern. Allerdings weist die Studie darauf hin, dass es „schwer sei, die Richtigkeit der Schätzungen zu prüfen“. Als Gründe nennt man Unterschiede in der Faserproduktion, intransparente Wertschöpfungsketten, mangelnden Konsens über die korrekte Messung von Emissionen und über bereits bestehende Emissionsschätzungen.
Hersteller wirbt mit CO2-Einsparung durch Recycling-Kunststoff
Eines von vielen Unternehmen, die mit Stoffen aus recyceltem Material werben, ist der Taschen- und Rucksack-Hersteller Ela Mo. Dieser verwendet für die Herstellung seiner Produkte unter anderem Außenstoffe, die aus recyceltem Material bestehen. „Der CO2-Ausstoß kann so um 60 % reduziert werden“, heißt es auf der Website. Ähnliche Behauptungen findet man bei vielen Modelabels.
Auf Nachfrage verweist das Unternehmen auf eine Studie eines Programms der Vereinten Nationen, laut der durch die Verwendung von Post-Consumer-Kunststoffflaschen der Treibhausgasausstoß um 66 Prozent reduziert werden kann. Aber: Dies bezieht sich nur auf den direkten Vergleich von rezyklierten Chips oder rezykliertem Granulat mit Chips aus neuem PET. Es werden also gar nicht Textilien aus recyceltem PET mit neuen Kunststofftextilien verglichen. Die vermeintliche Einsparung bezieht sich also nur auf einen kleinen Teil der Wertschöpfungskette, nicht auf die Stoffe an sich, die in der Tasche verarbeitet sind – oder gar auf die Taschen. Die Aussage auf der Webseite ist dagegen vage formuliert, weshalb man annehmen könnte, das Produkt sei gemeint. Andere Modelabels gehen mit vergleichbaren Behauptungen ähnlich unsauber um.
Die oben genannte Studie geht auf Schwächen in der allgemeinen Datenlage ein. Die Daten aus heutigen Lebenszyklusanalysen von PET seien nicht direkt vergleichbar, unter anderem weil unterschiedliche Garne darin untersucht würden, weil Ökobilanzdaten intransparent seien und weil die Bilanzen mit Hintergrunddaten modelliert würden, die teils veraltet und nicht repräsentativ seien. Immerhin: Ela Mo betont, jährlich neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu prüfen, um den CO2-Fußabdruck der eigenen Produkte nachvollziehbar messen zu können. Nicht alle Modefirmen machen sich diese Mühe. Das Unternehmen betont, es sieht die Verwendung von rPET nur als ersten Schritt hin zur Dekarbonisierung.
Verschiedene Studien und Expertenaussagen deuten allerdings darauf hin, dass derzeit entgegen der Marketingclaims vieler Unternehmen noch überhaupt nicht klar ist, ob und wie viel Textilien aus recyceltem Kunststoff wirklich zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit beitragen – die Datenlage ist zu dünn.
Greenpeace warnt vor Giftstoffen in Recycling-Kunststoff
Weltweit wurden 2019 nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) insgesamt 460 Millionen Tonnen Plastik produziert. Davon werden allerdings nur etwa 9 Prozent recycelt. Greenpeace warnt in einem Bericht vor den negativen Seiten des Plastikrecyclings – mit Verweis auf Giftstoffe.
Laut einem Bericht der Umweltschutzorganisation können Giftstoffe auf drei Arten in Recyclingplastik gelangen: Erstens würde schon Neukunststoff teils giftige Chemikalien enthalten, die in den recycelten Kunststoff übergehen können. Zweitens können giftige Stoffe in Kunststoff übergehen, wenn er mit ihnen in Kontakt kommt. Und drittens können beim Erhitzen von Kunststoff neue giftige Stoffe entstehen. Auf die Risiken bei Textilien aus recyceltem Kunststoff geht der Bericht nicht explizit ein. Doch auf Rückfrage erklärt die Organisation gegenüber Utopia, auch bei Stoffen aus Ozeanplastik und recyceltem PET gebe es Bedenken hinsichtlich Giftstoffen. Einige der kritisierten bedenklichen Chemikalien seien zum Beispiel in PET enthalten.
Fazit: Wir müssen unseren Kunststoffverbrauch reduzieren
Auch wenn viele Firmen Mode mit Recyclingplastikanteil als nachhaltig vermarkten: Textilien aus recyceltem Kunststoff sind nicht die Lösung für unser Plastikproblem. Wie groß ihr CO2-Fußabdruck ist, muss erst noch einheitlich ermittelt werden. Die Behauptungen vieler Modelabels entbehren einer belastbaren Grundlage.
Um Umwelt und Klima zu schützen, müssen wir es stattdessen schaffen, sowohl unseren Kleiderkonsum als auch unseren Plastikverbrauch zu reduzieren. Aktuell sieht es nicht so aus, als ob das bald gelingt: Laut Greenpeace könnte sich unser Verbrauch von Kunststoff bis 2060 sogar verdreifachen.
Wer im Bereich Mode dazu beitragen will, Kunststoff zu reduzieren, kann Kleidung aus Naturfasern kaufen – idealerweise von Herstellern, die fair und nachhaltig produzieren. Wir bei Utopia raten zudem zu Secondhand-Mode, welche nicht erst neu hergestellt werden muss – weder aus neuen Ressourcen noch aus Recyclingmaterial.
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