Mit dem Girokonto Future haben die ING und Share ein Kontomodell für nachhaltigkeitsbewusste Kund:innen auf den Markt gebracht. Ist es eine ernsthafte Konkurrenz für nachhaltige Banken?
Die ING hat seit April 2023 ein neues Girokonto, das sich an Menschen richtet, die ihr Geld nachhaltig anlegen wollen. Als Partner dient das Social-Impact-Unternehmen Share, das mit jedem verkauften Produkt etwas an Bedürftige spendet. Zum Beispiel geht für jeden veräußerten Nussriegel eine Mahlzeit an Menschen aus Krisengebieten und wer sich eine Share-Beanie-Mütze kauft, spendet damit einer wohnungslosen Person eine Nacht in einem warmen Bett.
Mit dem Girokonto Future widmet sich Share erstmals dem Banking und die ING steigt tiefer ins Thema Nachhaltigkeit ein. Doch welche nachhaltige Wirkung hat das gemeinsame Produkt wirklich? Utopia hat es sich genauer angesehen.
Allgemeines zum Girokonto der ING
ING bezeichnet das Girokonto Future als Nachhaltigkeits-Erweiterung für das reguläre Girokonto. Somit gelten größtenteils die gleichen Konditionen: Die zugehörige Visa-Card (Debitkarte), mit der sich in allen Euro-Ländern kostenlos Bargeld abheben lässt, gibt es ohne Aufpreis, Apple Pay und Google Pay werden unterstützt und für Online-Banking wird die App „Banking to go“ genutzt.
Was kostet das Girokonto Future?
Die Gebühren für das Girokonto Future setzen sich zusammen aus der Grundgebühr für ein reguläres ING-Girokonto und den Extrakosten für die Nachhaltigkeits-Erweiterung.
Für die Grundgebühr gilt: Wer jünger als 28 Jahre ist oder einen monatlichen Geldeingang von mindestens 700 Euro hat, zum Beispiel durch Gehalt oder eine andere regelmäßige Zahlung, muss keine Grundgebühr zahlen. Falls keine der beiden Voraussetzungen erfüllt ist, werden monatlich 4,90 Euro Grundgebühr fällig. Die Nachhaltigkeits-Erweiterung kostet zusätzlich 1 Euro pro Monat.
Für das Girokonto Future gelten daher folgende Gebühren:
- Personen unter 28 Jahren oder mit einem monatlichen Gehaltseingang von mindestens 700 Euro zahlen nur 1 Euro pro Monat
- Alle anderen zahlen 5,90 Euro pro Monat
Die Unterschiede zum Girokonto Future
Das Girokonto Future unterscheidet sich in drei Punkten vom regulären Girokonto der ING:
- Die ING verpflichtet sich dazu, nachhaltige Investitionen zu tätigen. Der Investitionsbetrag muss dabei mindestens so hoch sein, wie das zusammenaddierte Guthaben aller „Future“-Girokonten.
- Die ING verpflichtet sich dazu, mindestens 1 Euro pro Monat an ein Förderprojekt des Kooperationspartners Share zu zahlen. Der Kunde oder die Kundin kann selbst entscheiden, in welches der Share-Projekte das Geld fließen soll.
- Bei jeder Kartenzahlung und beim Online-Shopping lässt sich mittels der Funktion „Kleingeld Plus“ der zu zahlende Betrag aufrunden, um das ausgewählte Förderprojekt zu unterstützen.
Wie nachhaltig ist das Girokonto Future wirklich?
Ein nachhaltiges Girokonto für nur 1 Euro pro Monat? Das wäre schon extrem günstig. Schließlich kostet selbst das „Tomorrow Now“-Konto, das aktuell günstigste Girokonto eines nachhaltigen Banking-Anbieters in Deutschland, 3 Euro pro Monat. Die ING könnte damit einen Nerv treffen: Nachhaltigkeit für einen minimalen Preis. Doch bei genauerer Betrachtung kann keines der drei Extra-Features vollends überzeugen.
Punkt 1: Wie viel Impact haben die nachhaltigen Konten?
Wer sich die Nachhaltigkeitskriterien für das Girokonto Future durchliest, findet darin viele gute Ansätze: Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energien, Null-Emissions-Fahrzeuge. All das ist im Sinne der Nachhaltigkeit.
Des weiteren schreibt die ING auf ihrer Website: „Haben wir […] 1 Mrd. Euro Einlagen auf den Girokonten Future, so sind wir verpflichtet, mindestens 1 Mrd. für energieeffiziente Immobilien, nachhaltige Unternehmenskredite oder ökologische und soziale Anleihen zu verwenden.“
Klingt super! Doch wer garantiert, dass die ING nicht ohnehin schon eine Milliarde in solche Geschäftsfelder investiert hat oder es zumindest vorhat? Es ist schließlich auch wirtschaftlich vernünftig, im Zeitalter der Klimawende umfangreiche nachhaltige Investitionen zu tätigen.
Utopia hat bei ING nachgefragt. Die Bank erklärt, man habe zum Start des Girokonto Future einen Pool diverser ökologisch nachhaltiger Investitionen zusammengestellt, um die Einlagen zu matchen. Weiter heißt es: „Um […] hier genügend Mittel für nachhaltige Verwendungszwecke zu gewährleisten, haben wir etwa Baufinanzierungen seit 2021 herangezogen und Unternehmensfinanzierungen seit 2020.“ Das Girokonto Future ging im April 2023 an den Start, hatte also keinen Einfluss auf diese Finanzierungen. Dennoch werden die Future-Einlagen den bereits laufenden Investitionen gegenübergestellt.
Bei den Kund:innen könnte aufgrund der Vermarktung des Produkts jedoch der Eindruck entstehen, sie hätten diese Investitionen bewirkt – was einfach nicht stimmt.
Die ING stellt gegenüber Utopia zwar klar: „Da […] Finanzierungen nun mal einen gewissen Vorlauf brauchen, war beim Launch des Produkts diese Konstellation nötig.“ Doch wenn die ING hier sowieso schon investiert, verpufft der Nachhaltigkeitsaspekt des Girokontos dennoch.
In Zukunft solle sich das ändern, erklärt die ING: „[E]s ist unser Ziel das Portfolio mit nachhaltigen Krediten sowie Green und Social Bonds zu steigern und dafür nutzen wir auch die Einlagen auf dem Girokonto Future.“ Doch ob die Einlagen der Girokonto-Future-Kund:innen wirklich eine nachhaltige Wirkung haben oder die entsprechenden Investitionen nicht ohnehin getätigt würden, lässt sich nicht garantieren.
Um überhaupt einen sicher nachhaltigen Effekt zu haben, müsste das Gesamtguthaben aller „Future“-Konten die bereits getätigten Investitionen übersteigen. Nur dann wäre die ING gezwungen, auch wirklich neue nachhaltige Finanzierungen zu tätigen und nur dann hätte das Konto einen echten Impact – und genau darauf dürfte es vielen nachhaltigkeitsbewussten Kund:innen ankommen.
Es besteht sogar das Risiko, dass Einlagen auf dem Girokonto Future indirekt unerwünschte Investitionen ermöglichen. Denn mit den Einlagen steigt auch das Gesamtinvestitionsvolumen der Bank. Die ING kann Gelder, die ohnehin für Nachhaltigkeitsinvestitionen gedacht sind, mit den Future-Stempel versehen. Dadurch bleibt mehr von den restlichen Einlagen auf anderen Konten übrig, die dann wiederum in umstrittene Bereiche fließen könnten.
Wie nachhaltig und fair ist die ING insgesamt?
Die ING kommt im aktuellen Fair Finance Guide auf eine Bewertung von nur 58 Prozent. Das ist zwar besser als viele andere konventionelle Banken, aber immer noch dürftig. So habe die ING Group laut der Analyse Verbindungen zu mindestens 30 Rüstungsproduzenten sowie 20 fragwürdigen Unternehmen, die in „Dirty Profits 9 – How much Pain for Corporate Gain“ kritisiert werden. In dem Bericht von Facing Finance geht es um Unternehmen und Banken, die mit Menschenrechtsverletzungen oder Umweltzerstörung Profit machen.
Zwar gibt es bei der ING ein sogenanntes „Environmental and social risk framework“, also Richtlinien für Kredite und Investitionen, die umweltbezogene und soziale Risiken ausschließen sollen. Doch Fair Finance Guide bemängelt: „Zahlreiche Investments in kontroverse Unternehmen lassen darauf schließen, dass die ING ihre eigenen Richtlinien nicht ausreichend beachtet.“
Punkt 2 & 3: Den Impact leisten die Kund:innen, nicht die ING
Während Punkt 1 nur dann einen sicheren Nachhaltigkeits-Effekt hätte, wenn sehr viele Kund:innen ein Girokonto Future hätten, folgen Nummer 2 und 3 einem Mechanismus, für den es die ING gar nicht braucht.
Zwar handelt es sich bei den Share-Förderprojekten durchaus um unterstützenswerte Anliegen wie Schulmahlzeiten für Kinder in Afghanistan und Malawi, Hygiene-Artikel für Frauen im Südsudan und Sierra Leone oder Wiederaufforstung auf Haiti und in Äthiopien.
Doch die zusätzlichen Kosten für die Finanzierung dieser Projekte werden einfach nur an die Kund:innen weitergegeben. Das Konto kostet einen Euro mehr, dafür landet exakt ein Euro bei einem Förderprojekt. ING formuliert es Utopia gegenüber wie folgt: „Mit nur einem Euro pro Monat haben wir die Kosten für das Girokonto Future bewusst sehr niedrig gehalten. Share erhält von der ING pro Kundin bzw. Kunde eine Förderung von ebenfalls einem Euro im Monat. Wir als Bank verdienen damit also nichts.“
Dass die ING damit nichts verdient, ist zwar insofern richtig, als dass sich Kosten und Förderbeträge gegenseitig aufwiegen. Doch natürlich zielt das Girokonto Future auch darauf ab, nachhaltigkeitsbewusste Kund:innen zu gewinnen, woran die Bank wiederum sehr wohl verdienen könnte.
Nachhaltigkeitsaspekt Nummer drei, das freiwillige Aufrunden an der Kasse, basiert auf dem gleichen Prinzip. Die ING selbst leitet das Geld nur weiter, stellt die Zahlungsbereitschaft der sozial- und ökologisch-bedachten Kund:innen aber als Nachhaltigkeits-Features des Produkts dar.
Es ist an sich eine gute Sache, soziale Förderprojekte zu unterstützen, und wenn die ING mit ihrem Girokonto Future dazu beiträgt, dass dies mehr Menschen tun, dann hat sie damit vielleicht sogar einen positiven Impact. Doch im Grunde braucht es die Bank dafür gar nicht. Man kann solche Projekte schließlich auch mit direkten Spenden unterstützen.
Fazit
Beim Girokonto Future bezahlen nachhaltigkeitsbewusste Kund:innen den sozialen Impact vollständig aus eigener Tasche und nehmen dafür den Umweg über eine Bank, die neben ihren durchaus positiven nachhaltigen Investments weiterhin auch problematische Unternehmen finanziert. Da das Regelwerk der Nachhaltigkeits-Erweiterung einen indirekten negativen Impact der Einlagen nicht ausschließen kann und die ING bei der Untersuchung des Fair Finances Guides nur mittelmäßig abschneidet, rät Utopia davon ab.
Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint, sollte besser ein Girokonto bei einer durch und durch nachhaltigen Bank anlegen, als auf die „grünen“ Produkte konventioneller Finanzdienstleister einzugehen, die vermutlich nur aus wirtschaftlichem Interesse auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen. Eine Auswahl der besten nachhaltigen Banken gibt es hier:
** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.War dieser Artikel interessant?
- Nachhaltiges Festgeld: Diese grüne Bank hat die besten Zinsen [November 2024]
- Guerilla Gardening: grüne Bomben gegen tristes Grau
- Wie ist es möglich, dass ein Hamburger billiger ist als ein Salat?
- Persönliche Finanzen checken und Geld sparen
- Generationengerechtigkeit: Was sie mit dem Klima zu tun hat
- Bezahl-Apps: Apple Pay vs. Google Pay bei Stiftung Warentest
- 5 gute Gründe, warum "man" eben doch über Geld sprechen sollte
- Taschengeldtabelle: So hoch ist die Empfehlung für Kinder nach Alter
- Podcast: Geld nachhaltig anlegen - warum eigentlich und wie starte ich?