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Nearshoring: Vor- und Nachteile der besonderen Form des Offshorings

Nearshoring
Foto: CC0 / Pixabay / falco

Nearshoring könnte ein Trend sein, der die Globalisierung umkrempelt. Worum es dabei geht und wieso der Wirtschaftstrend den Klimaschutz voranbringen könnte, erfährst du hier.

Die heutige globalisierte Wirtschaft muss sich die Kritik gefallen lassen, dem Klima zu schaden und unfaire Arbeitsbedingungen zu extremen Niedriglöhnen zu forcieren. Die langen Transportwege, meist ausgehend vom asiatischen Raum mit Containerschiffen, verursachen CO2-Emissionen und verschmutzen die Luft mit Ruß und Schwefel. Der NABU berichtet, dass Containerschiffe tonnenweise Schadstoffe ausstoßen, die das Klima belasten. Die Arbeitsbedingungen in den Ursprungsländern der verschifften Waren sind oftmals prekär. Auch das Bundesumweltministerium erklärt deshalb, dass eine globale Wirtschaft globale Probleme schaffe – für die Umwelt und für die Menschen.

Verglichen damit könnte sich das sogenannte Nearshoring zu einem Wirtschaftsmodell entwickeln, mit dem sich eine klimafreundliche Zukunft gestalten ließe. Statt im fernen Asien zu produzieren, kommen beim Nearshoring die Waren aus dem benachbarten Ausland. Die Beratungsgesellschaften KPMG oder McKinsey sehen daher in diesem Trend eine Möglichkeit, Lieferketten sicherer und nachhaltiger zu gestalten.

Nearshoring: Worum geht es dabei?

Nearshoring ist eine Form des Offshoring.
Nearshoring ist eine Form des Offshoring. (Foto: CC0 / Pixabay / geralt)

Gablers Online-Wirtschaftslexikon definiert Nearshoring als eine Form des Offshoring, also der Verlagerung von Unternehmenstätigkeiten ins Ausland. Offshoring kann demnach verschiedene Formen annehmen:

  • Nearshoring bedeutet, dass Unternehmen Teile ihrer Aktivitäten ins nahe Ausland verlegen. Das können Fertigungsprozesse sein, aber auch Dienstleistungen wie Buchhaltung oder IT-Management. Laut Gablers Wirtschaftslexikon sind beim Nearshoring oft direkt benachbarte Länder das Ziel der Auslagerung. Im weiteren Sinne sind aber beispielsweise für deutsche Unternehmen auch EU-Staaten wie Litauen oder Portugal und die Türkei mögliche Nearshoring-Länder.
  • Farshoring bezeichnet dem entgegengesetzt die Verlagerung ins ferne Ausland. Damit sind aus westeuropäischer Sicht hauptsächlich die Fertigungsstätten im asiatischen Raum gemeint.
  • Onshoring dagegen ist der englische Begriff dafür, dass eine ausgelagerte Tätigkeit im Inland bleibt. Ein Beispiel: Ein deutscher Autokonzern lagert Teile der Fertigung an Zulieferbetriebe aus, die ebenfalls in Deutschland ansässig sind.

Die Auslagerung von Teilbereichen eines Unternehmens ist allgemein als Outsourcing bekannt. Der Begriff sagt aber erst einmal nichts über die geografische Region aus – für die genauere Einordnung stehen die oben genannten drei Begriffe.

Warum Nearshoring zukunftstauglich ist

Nearshoring braucht keine Containerschiffe mehr.
Nearshoring braucht keine Containerschiffe mehr. (Foto: CC0 / Pixabay / dendoktoor)

Durch Nearshoring rücken die Produktionsstätten näher zu den Unternehmen und an die Verbraucher:innen heran. Die globalisierte Welt wird dadurch wieder ein Stück kleiner und regionaler. Heutzutage stammt ein Großteil unserer Waren aus Asien. Die Corona-Pandemie hat unter anderem gezeigt, dass durch Einschränkungen in der asiatischen Wirtschaft – etwa durch einen Lockdown – die gesamte Weltwirtschaft durcheinandergeraten kann. Beim Nearshoring bleiben die Auswirkungen solcher Krisen eher regional begrenzt. Auch für die Umwelt und für Arbeitnehmer:innen kann Nearshoring positive Auswirkungen haben:

  • Klimaschutz – Die Auslagerung in benachbarte Länder ist ein Schritt in Richtung nachhaltigerer Warenströme. Kurze Transportwege verbrauchen weniger Treibstoff und sparen so Treibhausgasemissionen ein. Greenpeace berichtet, dass beispielsweise die gesamte Modebranche schätzungsweise für rund zwei Prozent (1,2 Milliarden Tonnen CO2) der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Der Grund sind auch die langen Transportwege aus den Nähereien in Asien. Greenpeace errechnete, dass eine Jeans schon etwa 65.000 Kilometer hinter sich gebracht hat, bevor du sie in den Händen hältst.
  • Sicherheit – Die Weltmärkte sind durch die Pandemie und auch die nachfolgenden geopolitischen Erschütterungen durcheinandergeraten. Laut einer McKinsey-Umfrage halten 82 Prozent der befragten Einkaufsleiter:innen Störungen und Verspätungen innerhalb der Lieferkette für ein großes Risiko. In der Verlagerung von Produktionsstandorten in nahegelegene Ländern sehen dagegen 71 Prozent der Befragten eine sichere Lösung.
  • Fairer – Die bisherige Globalisierung hat zu unfairen Praktiken geführt, unter anderem zu Löhnen teilweise unterhalb der Armutsgrenze in den Fertigungsländern. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erklärt, dass die Vergabepraktiken einiger internationaler Konzerne dazu führten, dass Billiglohnländer sich bei den Löhnen gegenseitig unterbieten. Das DIW nennt es ein Race to bottom, sinngemäß passt der deutsche Ausdruck Abwärtsspirale. Nearshoring im Rahmen der europäischen Standards könnte diesem Abwärtstrend durch Mindestlöhne ein Stück weit entgegenwirken. Für Arbeitsplätze innerhalb der Mitgliedsstaaten gelten die EU-weiten gesetzlichen Regelungen für Arbeitsschutz und Sicherheit. Das bedeutet auch, dass es Regelungen für einen jeweils angemessenen Mindestlohn in den Staaten gibt.

Nearshoring bringt Vorteile, ist aber nicht perfekt

Nearshoring nutzt Niedriglohn-Länder in der Region
Nearshoring nutzt Niedriglohn-Länder in der Region (Foto: CC0 / Pixabay / axevaper)

Die Beweggründe der Unternehmen für eine Auslagerung sind hauptsächlich finanzieller Natur. Den Zuschlag erhalten in der Regel Dienstleister:innen, die diese Tätigkeiten günstig erledigen können. Vor allem arbeitsintensive Tätigkeiten, wie zum Beispiel Näharbeiten in der Modeindustrie oder der Zusammenbau von Elektrogeräten, wandern typischerweise in Länder mit niedrigem Lohnniveau.

  • Nearshoring nutzt Niedriglohn-Länder in der Region. Die Lohnkosten bleiben ein entscheidender Faktor, wenn es um die Vergabe von Aufträgen geht. Eine Studie des Think-Tanks und Logistikdienstes Blue Europe verdeutlicht, wie stark das Lohngefälle auch noch innerhalb der EU-Staaten ist. So lag der geschätzte Stundenlohn in Polen 2019 bei 10,7 Euro. In Belgien oder Frankreich beträgt der Stundenlohn gleich viermal so viel. Die Statistik macht deutlich, dass auch mit Nearshoring innerhalb der EU, niedrige Löhne einen Wettbewerbsvorteil darstellen.
  • Die regionalen Fertigungskapazitäten reichen nicht. Der Versicherungskonzern HDI weist darauf hin, dass effektives Nearshoring zunächst regionale Investitionen in neue Fertigungsanlagen erfordert. Im letzten Jahrzehnt haben viele Unternehmen ihre Fertigungsanlagen in Europa aufgegeben, weshalb Modernisierungen oder Neubauten vielfach notwendig sind. Beispielsweise bauen jetzt namhafte Mikrochip-Hersteller wie Infineon wieder Fabriken rund um Dresden auf.

Durch Nearshoring lassen sich einige Probleme der Globalisierung entschärfen. Standorte in unterschiedlichen Region nehme etwas den Druck aus dem Wettbewerb nach den niedrigsten Löhnen. Aber im Kern bleiben diese Mechanismen bestehen. Zudem sind Investitionen notwendig, um die neuen Herstellungsbetriebe aufzubauen. Diese Mehrkosten könnten sich dann in den Preisen für die Verbraucher:innen wiederfinden. Mit anderen Worten: Die Waren werden zunächst einmal teurer.

Nearshoring ist noch nicht klimaneutral

Auch bei kürzeren Transportwegen entstehen noch klimaschädliche Treibhausgase. Das Ziel, den rasanten Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu verlangsamen, erfordert den raschen Umbau zu einer klimaneutralen Gesellschaft.

Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung gibt das Ziel vor: Klimaneutralität bis 2045. Dafür sind drastische Einsparungen der CO2-Emissionen notwendig. Die vom Menschen verursachten Emissionen müssen daher auf Netto Null zurückgehen. Netto bedeutet, dass nur so viele Treibhausgase entstehen dürfen, wie sich auch wieder speichern lassen. Daher kann Nearshoring zunächst nur ein Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität sein, aber nicht das endgültige Ziel. Jedenfalls nicht, solange beim Transport Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zum Einsatz kommen. Nearshoring benötigt zusätzlich eine Mobilitätswende, um das Klima wirksam zu schützen.

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