Schlafmedizinerin Anna Heidbreder verrät im Utopia-Interview, was beim Einschlafen hilft, warum einige Menschen während der Corona-Pandemie erholsamere Nächte hatten und warum Schlaf sich der Selbstoptimierung widersetzt.
40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland schlafen nach eigenen Angaben schlecht, fand das Meinungsforschungsinstitut YouGov 2022 im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur heraus. Doch wie findet man einen guten Schlafrhythmus und was kann man tun, wenn das Hirn abends im Bett einfach keine Ruhe gibt? Utopia hat darüber mit Anna Heidbreder gesprochen.
Anna Heidbreder ist Fachärztin für Neurologie und Schlafmedizinerin an der Medizinischen Universität Innsbruck sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Im Interview gibt sie nicht nur wertvolle Tipps für einen gesunden Schlaf. Sie erklärt auch, warum unsere Arbeitswelt nicht mit unserer inneren Uhr zusammenpasst und wieso ausgerechnet die Corona-Pandemie dabei (zeitweise) für eine Verbesserung sorgte.
Außerdem verrät die Schlafexpertin, welche Methode in unruhigen Nächten akut hilft, um besser einzuschlafen, und ob Vorschlafen und Schlaf nachholen wirklich funktioniert.
Schlafmedizinerin Anna Heidbreder im Interview
Utopia: Frau Heidbreder, haben Sie heute gut geschlafen?
Anna Heidbreder: Ja. Ich bin viel zu spät ins Bett gegangen, habe dann aber sehr gut geschlafen.
Vielen Menschen gelingt das nicht. Auf was achten Sie denn, um gut zu schlafen?
Das Wichtigste ist, den Tag bewusst zum Abschluss zu bringen, etwa mit einem Schlafritual. Das Wort Ritual hört sich immer so besonders an, aber letztendlich hat jeder irgendeine Abendroutine. Dazu gehört für den einen, dass er einen Tee trinkt, beim anderen, dass er sich warme Socken anzieht und sich ins Bett legt.
Unklug ist es, sich Stress zu machen, schnell nochmal E-Mails zu checken oder in den sozialen Medien zu schauen, was gerade los ist. Licht spielt auch eine Rolle. Wir wissen mittlerweile sehr gut, dass Licht mit einem hohen Blauanteil, wie es Handy- und Laptopdisplays abgeben, unsere Melatonin-Produktion drosselt und somit das Einschlafen erschwert.
Was ist aber, wenn ich einen Blaulichtfilter in der Brille habe oder den Nachtmodus bei Handy oder Laptop anschalte?
Es kommt darauf an. Sicherlich ist es besser, wenn möglichst wenig blaues Licht auf der Netzhaut ankommt. Aber man darf sich nicht nur auf das Licht selbst konzentrieren, sondern muss auch die Tätigkeit berücksichtigen. Wenn ich kurz vor dem Zubettgehen noch am PC arbeite, dabei viel nachdenken muss und hoch konzentriert bin, brauche ich natürlich eine Zeit, um wieder „herunterzufahren“.
Wie viel Schlaf braucht man?
Eine kurze Internet-Recherche ergibt: Erwachsene brauchen im Schnitt sieben bis acht Stunden Schlaf. Wie finde ich aber heraus, wie viel Schlaf für mich persönlich am besten ist?
Man kann schon die sieben bis acht Stunden erstmal als ungefähre Grundlage nehmen und dann testen: Wie fühle ich mich, wenn ich um 22 Uhr ins Bett gehe, um 22:30 Uhr, um 23 Uhr? Das einfach mal jeweils eine Woche lang ausprobieren und schauen, ob es einem besser oder schlechter geht. Das hilft einem zu ermitteln, wie hoch der eigene Schlafbedarf ist.
Aber wichtig: Es völlig normal, dass man morgens ein bisschen braucht, bis man in die Gänge kommt, oder dass man mittags ein bisschen erschöpft ist. Solange man aber kein wahnsinniges Tief hat und sich ausgeruht und erholt genug fühlt, um den Alltag bewältigen zu können, kann man davon ausgehen, dass man ausreichend Schlaf hat.
Es ist völlig normal, dass man morgens ein bisschen braucht, bis man in die Gänge kommt.
Anna Heidbreder
Schlaf nachholen oder vorschlafen: Geht das?
Angenommen, man schläft unter der Woche zu wenig, macht dann aber am Wochenende dafür einen Mittagsschlaf. Klappt dieses Nachholen von Schlaf überhaupt?
Ja. Das ist ein Klassiker, dass man am Wochenende vielleicht mal morgens eine Stunde länger schläft oder einen Mittagsschlaf macht. Da holt sich der Körper tatsächlich das zurück, was er während der Woche an Schlaf verpasst hat.
Und was ist mit Vorschlafen? Klappt das auch?
Das funktioniert nicht. Wenn man etwa Nachtdienst hat, kann man sich zwar vorher ausruhen, um dann entspannter und vielleicht ein bisschen erholter zur Arbeit zu gehen. Aber den Schlaf vorzuziehen ist nicht möglich.
Ist es denn gesundheitlich bedenklich, ständig Schlaf am Wochenende nachzuholen?
Der regelmäßige Schlaf während der Woche ist sicherlich günstiger, aber die Realität sieht oft anders aus.
Wie sich die Pandemie auf den Schlaf auswirkte
Während der COVID-Pandemie hat man das gut gesehen: Eher zufällig ergab sich daraus eine große Feldstudie und wir konnten beobachten, dass sich die Schlafzeiten etwas nach hinten verlagert hatten. Die Bettliegezeit am Morgen hatte sich verlängert, ebenso wie die Bettliegezeit insgesamt. Das Nachholen von Schlaf am Wochenende, das man außerhalb der Coronazeit beobachten kann und konnte, hatte abgenommen.
Das zeigt: Wir leben mit unserem Lebensstil, den wir in Mitteleuropa und Nordamerika haben, ein bisschen gegen unsere Uhr. Wir fangen wahrscheinlich zu früh an zu arbeiten, gehen aber am Abend nicht entsprechend früh ins Bett.
Wenn aber – wie in der Pandemie – die soziale Verpflichtung wegfällt, das Haus morgens verlassen zu müssen, dann wird der Schlaf-Wach-Rhythmus wirklich besser und wir haben diesen Nachholbedarf am Wochenende nicht mehr.
Also haben es Leute, die im Homeoffice arbeiten, leichter, gut zu schlafen?
Möglicherweise ist das so. Natürlich ist das seit dem Wegfallen der Corona-Maßnahmen nicht mehr so einfach. Die, die morgens am Arbeitsplatz sind, wollen dann die Videokonferenz vielleicht auch schon um 7:00 Uhr oder um 8:00 Uhr morgens haben und dann muss man trotzdem früh aufstehen. Aber ja: Homeoffice kann eine Option sein, besser zu schlafen.
Kann man seinen Schlafbedarf beeinflussen?
Warum brauchen manche Leute mehr Schlaf als andere? Ist es eher genetisch bedingt oder hat es auch was mit dem Lebensstil zu tun?
Das liegt an unserer inneren Uhr und die ist genetisch determiniert. Sie tickt aber etwas anders als eine richtige Uhr. Bei den meisten von uns ist sie nämlich auf etwas über 24 Stunden getaktet. Es gibt aber auch Extreme, die kürzer oder länger sind. Doch ob man Langschläfer, Kurzschläfer oder Durchschnittsschläfer ist, bestimmen die Gene.
Wenn ich zum Beispiel einen Marathon laufen will, kann ich dafür trainieren und mein Körper passt sich entsprechend an. Kann man sich aber auch an weniger Schlaf gewöhnen?
Nein. Selbst wenn Sie sich daran gewöhnen, während der Woche nur fünf Stunden zu schlafen. Dann holt sich der Körper das trotzdem am Wochenende zurück, sobald Sie die Möglichkeit dafür haben. Selbstoptimierung im Bezug auf Schlaf funktioniert nicht. Das muss man einfach akzeptieren.
Selbstoptimierung im Bezug auf Schlaf funktioniert nicht.
Anna Heidbreder
Folgen von zu wenig Schlaf
Was passiert denn, wenn man mal eine Nacht kaum oder gar nicht schläft?
Tatsächlich erhöht schon eine Nacht ohne Schlaf das Risiko für Sie am nächsten Tag, sich einen Schnupfenvirus einzufangen, signifikant. Man konnte zeigen, dass Menschen, die geimpft werden, weniger Antikörper bilden, wenn sie nicht schlafen. Man sagt auch, dass man eine Aufmerksamkeit wie bei 0,5 Promille hat, wenn man nach dem Nachtdienst mit dem Auto fährt. Das hat sofortige Konsequenzen.
Und wenn man dauerhaft an Schlafproblemen leidet?
Wenn man chronischen Schlafmangel hat, steigt unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-, neurodegenerative und psychische Erkrankungen. Man muss da aber vorsichtig sein. Die kausalen Zusammenhänge haben wir bisher noch nicht ganz verstanden. Sicher ist aber, dass ein ausreichend regelmäßiger Schlaf für die Gesundheit sehr zuträglich ist und dass chronische Schlafstörungen erkannt und behandelt werden sollten, um Risiken abzuwenden.
Trick zum besseren Einschlafen
Wenn ich nun im Bett liege und einfach nicht einschlafen kann. Gibt es etwas, das akut hilft?
Ja. Früher hat man gesagt, man soll Schäfchen zählen, und das war vielleicht gar nicht so schlecht. Ich glaube, dass man vor allem versuchen sollte, an etwas ganz Belangloses zu denken, das einem ein vertrautes und angenehmes Gefühl gibt. Das kann zum Beispiel die Vorstellung eines Spaziergangs am Strand oder eine Bergwanderung sein, an die man sich erinnert. Denn das Gehirn lässt sich nicht ausschalten. Wenn ich denke, ich will nicht denken, dann denke ich ja schon. Das funktioniert nicht. Und deswegen muss man dem Gehirn etwas zum Denken anbieten, was im besten Fall den Schlaf nicht verhindert.
Wie sieht es mit anderen Methoden zum Einschlafen aus? Manche meditieren, andere hören Podcasts oder Hörbücher. Ist das sinnvoll?
Meditation, Podcasts oder Hörbücher können manchen Leuten dabei helfen, das Hirn auf etwas anderes zu fokussieren und somit besser einzuschlafen. Diese Methoden können aber potenziell auch anregend sein. Von daher muss das jeder individuell für sich selbst austesten.
Bei Menschen mit Schlafstörungen setzt man zum Beispiel Entspannungstechniken wie die Muskelrelaxation nach Jacobsen ein, weil über die körperliche Ruhe manchmal auch der Geist zur Ruhe kommt.
Wenn all das aber nicht hilft: Wann sollte man mit den Schlafproblemen zum Arzt gehen?
Ich glaube, es gibt Lebenssituationen, da ist es normal, dass man mal schlecht schläft. Aber wenn es über drei Monate anhält, dann ist es wirklich dringend nötig, einen Arzt aufzusuchen und sich Hilfe zu holen.
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