Die Klimakrise, die bedenkliche Abhängigkeit von russischen Energieimporten und der Wunsch nach mehr Autarkie in Krisenzeiten sorgen dafür, dass viele Menschen gerne ihren Strom selbst erzeugen wollen. Die Möglichkeiten dafür sind vielfältig – und die Zeichen stehen gut, dass es bald leichter wird, sie zu nutzen.
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Es wäre zynisch, dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen globalen Krise etwas Positives abgewinnen zu wollen. Dafür leiden viel zu viele Menschen unter den Kriegsfolgen. Dennoch regt sich eine leise Hoffnung, dass der Krieg zumindest hierzulande die dringend notwendige Energiewende beschleunigt: Niemand möchte mehr von Energielieferungen aus Russland abhängig sein. Viele Haushalte denken jetzt darüber nach, ihren Strom selbst zu erzeugen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass lokale Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien mehr Unabhängigkeit, Stabilität und, ganz nebenbei, mehr Klimaschutz bietet als fossile Energieträger aus dem Ausland.
Hat jetzt also endlich die Stunde der Solaranlagen und Windräder geschlagen? Zumindest ist politischer Wille erkennbar. Bereits im Koalitionsvertrag versprechen die Regierungsparteien, den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben und insbesondere die dezentrale Energieerzeugung zu stärken.
Der aktuelle Entwurf für ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sieht vor, dass der Strom bereits im Jahr 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt, 2035 „fast vollständig“. Für Windenergie etwa sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden. Sogar die bayerische 10H-Mindestabstandsregelung, die den Ausbau der Windkraft dort fast komplett blockiert hat, steht auf der Kippe.
Viele Bundesländer planen den Ausbau der Solarenergie sowohl auf “Freiflächen“ – gemeint sind oft landwirtschaftliche Flächen („Agrophotovoltaik„) – als auch auf Hausdächern. In Aussicht stehen auch Erleichterungen für Bürgerenergie, also von privaten Bürger:innen allein oder gemeinschaftliche finanzierte und betriebene Anlagen.
Strom selbst erzeugen: Darum brauchen wir mehr Solaranlagen auf älteren Gebäuden
In Kombination erscheinen die letzten beiden Punkte besonders wichtig, denn Fläche für neue Solaranlagen haben wir in Deutschland nicht unbegrenzt zur Verfügung, wenn wir auch noch essen, wohnen und uns in intakter Natur erholen wollen. Daher müssen im Sinne des Umweltschutzes auch ohnehin schon versiegelte Flächen bedacht werden. Also: Gebäude.
Ein weiterer Vorteil von Solaranlagen an und auf Gebäuden neben der Flächenersparnis: Sie haben das Potenzial, die Energiewende dezentraler zu gestalten. Und damit neue Abhängigkeiten von Energiekonzernen zu verringern. Eigenheimbesitzer:innen können heute schon vergleichsweise einfach ihre Dachflächen nutzen, um mittels Photovoltaik-Modulen ihren Strom selbst zu erzeugen und tun dies auch. Laut Koalitionsvertrag der Ampelparteien sollen Solaranlagen auf privaten Neubauten die Regel werden, bei gewerblichen Bauten verpflichtend. In Baden-Württemberg gilt bereits seit 1. Mai 2022 eine Solardachpflicht auch für private Neubauten.
Doch was ist mit bestehenden Gebäuden? Denn der Neubau von Einfamilienhäusern gerät immer stärker in die Kritik: Wir können es uns aus Gründen des Naturschutzes nicht mehr leisten, immer neue Flächen zu versiegeln, die Energiebilanz ist mies. Wenn jede Generation neue Einfamilienhäuser baue sei das „ökonomisch und ökologisch unsinnig“ findet auch die Bundesbauministerin Klara Geywitz.
Die logische Konsequenz wäre, neben zum Beispiel Fabrikhallen oder Parkhäusern auch existierende Mehrfamilienhäuser und Wohnungen – also private Vermieter:innen und Mieter:innen – stärker in den Fokus zu nehmen. Welchen Beitrag zur Energiewende können sie leisten? Oder andersherum gefragt: Wie können Einzelne ihren Strom selbst erzeugen und unabhängiger von zentraler Stromversorgung werden?
Energiewende in Bürger:innen-Hand: „Die Leute haben Lust“
„Private Energieerzeugung hat schon bis heute viel zur Energiewende beigetragen“, sagt Viola Theesfeld, Referentin für Energiepolitik und -wirtschaft beim Bündnis Bürgerenergie. Der Verein setzt sich für eine von Bürger:innen getragene Energieversorgung aus Erneuerbaren Energien ein. Privatmenschen und -Initiativen hätten bereits, so Theesfeld, etwa die Hälfte aller bestehenden Erneuerbaren Energieanlagen finanziert, rund 40 Prozent würden heute privat betrieben.
Sie sieht aber noch enorme Potenziale schlummern – vor allem in der Stromerzeugung aus Solaranlagen, die Bürger:innen oder Gemeinschaften von Bürger:innen finanzieren und betreiben. Die Expertin glaubt: „Die Leute haben Lust, sie haben das Know-How und sie haben das Kapital. Sie brauchen nur das Vertrauen der Politik.“ Wie viele andere Fachleute kritisiert Theesfeld, dass die diversen Modelle der Bürgerenergie bislang zu bürokratisch, zu kompliziert, zu aufwändig seien. Die Politik habe solche wertvollen Initiativen bisher eher verschreckt als gefördert. Im Sinne von dezentraler Energiewende und Klimaschutz sollte das möglichst schnell anders werden, sprich: Strom selbst zu erzeugen muss einfacher werden.
Theesfeld spricht vom „Mut“, den die Politik brauche, um Bürger:innen einfach mal machen zu lassen. Dann, so ist sie überzeugt, seien auch 100 Prozent Erneuerbare bis 2030 kein Problem – jedenfalls kein technisches.
Energy Sharing, Mieterstrom, Quartiersversorgung: Gemeinschaftliche Stromerzeugung hat Zukunft
Da ist zum Beispiel das Konzept des Energy Sharings: Das partizipative Modell sieht vor, dass sogenannte Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften oder Bürgerenergiegesellschaften Anlagen finanzieren und betreiben und den erzeugten Ökostrom in das öffentliche Verteilnetz einspeisen. Die Mitglieder der Gemeinschaften sollen den selbst erzeugten Strom dabei selbst direkt und günstig nutzen können. Im Moment fehlen hierfür noch die regulatorischen Rahmenbedingungen. Deutschland ist jedoch unter Zugzwang, eine EU-Richtlinie zum Thema umzusetzen.
Ziel ist beim Energy Sharing eigene regionale Produktion und eigener Verbrauch von Strom in einem Quartier, Ort oder einer festen Region unter Nutzung des regionalen Stromnetzes. Voraussetzung, um den mittels Photovoltaik oder Windkraft erzeugten Strom nutzen zu können, ist eine räumliche Nähe zur Anlage. Nimmt man einen Umkreis 25 bis 50 Kilometern an, könnten so jeweils hunderte, wenn nicht tausende Haushalte erreicht werden. Anders als die Errichtung einer Solaranlage auf jedem Hausdach oder gar Balkongeländer ist das Modell niederschwellig: Sich zu beteiligen bzw. Mitglied einer solchen Gemeinschaft zu werden ist für einzelne Bürger:innen denkbar einfach, der Stromtarif im Idealfall besonders günstig.
Eine aktuelle Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (iöw) kommt zu dem Schluss, entsprechende Anlagen könnten rund 42 Prozent des noch notwendigen Zubaus bis 2030 abdecken. Demnach könnten 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Energy-Sharing-Strom versorgt werden. „Das ist kein Nischenmodell“, sagt Energieexpertin Theesfeld. Andere EU-Länder seien hier bei den politischen Rahmenbedingungen teils bereits weiter.
Hierzulande schon weiter entwickelt ist das Modell des Mieterstroms. Hier installieren Hausbesitzer:innen auf dem Dach von Mehrfamilienhäusern Photovoltaikmodule; der so selbst erzeugte Strom wird direkt an die Mieter:innen im eigenen oder benachbarten Häusern verkauft. Er wird nicht ins öffentliche Netz eingespeist. Mieterstrom ist von vielen Abgaben befreit und wird vom Staat gefördert. Für Mieter:innen ist der so erzeugte Strom in der Regel besonders kostengünstig. Für Vermieter:innen ist das Modell allerdings derzeit noch mit einem viel zu hohen bürokratischem Aufwand und teils auch unnötigen Kosten verbunden, kritisieren viele Expert:innen. Das große Potenzial, das in dem Modell steckt, wird daher im Moment noch nicht genutzt. Doch die Hoffnung, dass die geplanten Neuerungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz Mieterstrom-Projekte vereinfachen, ist groß. Immerhin hat die Regierungskoalition Bürokratieabbau versprochen.
Beide oben genannten Modelle könnten auch eine Quartiersversorgung mit Erneuerbarem Strom ermöglichen. Das Konzept steckt aber noch in den Kinderschuhen – allein schon, weil eine einheitliche Definition des Begriffs Quartier fehlt. Dabei hätten dezentrale Stromversorgungsmodelle mittels Energy Sharing oder im Sinne des Mieterstroms über die benachbarten Gebäude hinaus viel Potenzial. Hier sind Lösungen mit oder ohne Nutzung des öffentlichen Stromnetzes denkbar. So könnte zum Beispiel ein Block von Mehrfamilienhäusern mit großen Dachflächen umliegende Wohnhäuser oder Geschäfte direkt mit günstigem Solarstrom versorgen. Doch auch hier sind noch viele Fragen offen.
Strom selbst erzeugen auf dem Balkon: Hype um Stecker-Solaranlagen
Und was, wenn man – wie derzeit die Mehrzahl der Mieter:innen – weder die Möglichkeit hat, Mieterstrom zu beziehen, noch sonstwie regional erzeugten Strom? Für viele scheint die aktuelle Energiepreis-Krise und der Wunsch nach mehr Autarkie einen regelrechten Boom auf sogenannte Stecker-Solaranlagen (auch: Balkon-Solaranlagen oder Balkonkraftwerke) ausgelöst zu haben.
Mehr dazu: Solaranlage am Balkon: Das solltest du zum Balkonkraftwerk wissen
In vielen Shops sind die kleinen Solarmodule, mit denen man auch als Mieter:in Strom selbst erzeugen kann, derzeit vergriffen. Einige Händler weisen auf ihren Seiten darauf hin, dass die hohe Nachfrage zu Lieferschwierigkeiten führt.
„Die Nachfrage für Steckeranlagen ist extrem angestiegen“, sagt uns etwa Sandra Sawilla, Verkaufsleiterin des Anbieters Alpha Solar. Das Unternehmen beobachtet, dass Verbraucher:innen sich immer stärker mit Alternativen zu konventionellen Photovoltaik-Anlagen befassen. „Das politische Geschehen hat die Situation natürlich weiter angeheizt,“ so Sawilla. Doch sie glaubt, dass der Boom anhalten wird, da das Interesse an erneuerbaren Energien allgemein steige. Ihre Prognose: „Der Ball ist am Rollen und nicht mehr zu stoppen.“
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Zwar ist die tatsächlich selber erzeugte Strommenge und das das persönliche Sparpotenzial bei den kleinen Balkon-Solarmodulen überschaubar. Doch die Geräte sind vergleichsweise günstig, auch für Laien in der Regel recht unkompliziert zu installieren und rechnen sich schon nach wenigen Jahren.
In immer mehr Städten gibt es Förderungen für die Mini-Kraftwerke. Noch fehlen konkrete Hochrechnungen und Untersuchungen, was die Potenziale der Stecker-Solarmodule für die deutsche Energiewende angeht. Lediglich die Verbraucherzentrale NRW hat 2020 berechnet, dass allein in Nordrhein-Westphalen theoretisch rund eine Million Geräte sinnvoll eingesetzt werden könnten – mit einem Potenzial von mehr als 290 Gigawattstunden Strom. Das könnte in der Theorie ein kleineres Kohlekraftwerk ersetzen.
Die Zahlen allerdings sind optimistisch. „Die Energiewende kann damit nicht mal eben so erledigt werden“, sagt Anna Schilling. Sie ist Expertin für Balkon-Solaranlagen beim Kasseler Verein SoLocal Energy, der bei der Installation von Solarmodulen berät und hilft. „Es geht eher darum, dass man damit die persönliche Grundlast abdecken kann, also den Verbrauch von Geräten, die immer laufen, wie zum Beispiel den Kühlschrank oder Router.“
Sie rechnet vor: Ein 300-Watt-Modul könne im Jahr umgerechnet in etwa so viele CO2-Emissionen einsparen wie eine Autofahrt von 700 Kilometern erzeugt. Noch wichtiger als die tatsächliche Stromerzeugung bzw. CO2-Ersparnis sei aber ein ganz anderer Aspekt: „Mit Balkonkraftwerken haben auch Mieter:innen die Gelegenheit, zumindest etwas aktiv zur Energiewende beizutragen. Sie kennen dann das Gefühl, selbst Strom zu erzeugen.“ Und: Wenn an vielen Balkonen oder Fassaden Solar-Module hängen, mache das die Solarkraft als Ganze sichtbarer. Das motiviert auch Menschen aus der Nachbarschaft, sich mit dem Thema zu befassen, unter Umständen sogar selbst größere Anlagen zu installieren. „So ein Balkonkraftwerk kann man Besucher:innen zeigen, man kommt darüber mit der Nachbarschaft ins Gespräch und es führt dazu, dass mehr Menschen in Kontakt kommen mit regenerativen Energien“, so Schilling.
Die Expertin bestätigt, dass auch bei ihrem Verein die Nachfrage nach den kleinen Solarmodulen in jüngster Zeit rasant gestiegen sei – quasi zeitgleich mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs.
Die Energiewende muss dezentral sein
Ob Energy Sharing, Mieterstrom oder gar Balkonkraftwerke: „Es gibt ganz viele Menschen, die jetzt gerne loslegen würden“, so Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie. „Aber sie brauchen Investitionssicherheit, einen stabilen und händelbaren regulatorischen Rahmen sowie Vertrauen vonseiten der Politik.“ Ihr Verein glaubt, dass die Möglichkeit der Teilhabe und Gestaltung solche gemeinschaftlichen oder privaten Energieprojekte zum Erfolgsmodell machen – die noch viel mehr Erfolg haben könnten, wenn man die Bürger:innen machen ließe. Eine „neue Art der Selbstbestimmung“ sieht die Energieexpertin in der privaten Stromerzeugung.
Das leuchtet ein – schließlich wollen viele Menschen auch immer genauer wissen, was in ihren Lebensmitteln steckt und woher ihre Schokolade stammt, warum also nicht ihr Strom. Doch man muss gar nicht erst den Wunsch nach Teilhabe und Selbstbestimmung voraussetzen, um in der lokalen Stromerzeugung ein Zukunftsmodell zu sehen: „Dezentrale Energieerzeugung ist die Lösung, weil man nur so vor Ort Lösungen für lokale Probleme schaffen kann. Zentrale Modelle können das nicht bieten und die hoch gesteckten Ziele zum Erneuerbaren-Ausbau nicht in der verbleibenden Zeit erreichen“, sagt Theesfeld. Die Zentralisierung auf dem Energiemarkt, das zeigt sich heute deutlicher als je zuvor, hat zu massiven Abhängigkeiten geführt, die uns jetzt auf die Füße fallen.
Wenn wir eines aus der aktuellen Krise lernen sollten, dann, dass A) eine möglichst schnelle Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien unumgänglich ist, B) dass diese Energiewende möglichst dezentral und unter Beteiligung der Bürger:innen passieren muss und C) die Politik so schnell wie möglich die nötigen Erleichterungen und Sicherheiten für Bürger:innen-Projekte schaffen muss.
Weitere Möglichkeiten, zuhause erneuerbare Energie zu erzeugen:
- Mit Wärmepumpe heizen: In diesen Fällen lohnt sie sich
- Wie Solarthermie helfen kann Heizkosten zu senken
Was du schon heute tun kannst, um zumindest sauberen Strom zu beziehen und den Ausbau der Erneuerbaren zu fördern: Zu einem Ökostrom-Anbieter wechseln.
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