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Toxic Positivity: Wenn es zu viel des Guten ist

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Foto: CC0 / Pixabay / Pexels

Das Phänomen Toxic Positivity lässt keinen Raum fürs Negative. Dabei kann es gefährlich sein, schlechte Gefühle zu unterdrücken. Nicht alles ist Sonnenschein und Regenbogen. Wir erklären dir, warum es wichtig ist, schlechte Gefühle zuzulassen.

Eine dauerhafte Fröhlichkeit greift um sich. In den sozialen Medien zeigen sich Menschen von ihrer besten Seite, Hashtags wie #staypositive oder #goodvibesonly gehören fast schon zum Must Have der Kommentarspalte. Immer lächeln, immer gut gelaunt sein und bunte Bilder posten – das bringt oft Likes. Und wer sich über Likes freut, schüttet laut Quarks Dopamin aus.

Toxic Positivity verspricht auf den ersten Blick dauerhaftes Glück und somit reichlich Dopamin. In Wirklichkeit ist es aber das Gefühl, fröhlich oder glücklich sein zu müssen, auch wenn du es schlicht nicht bist. Was anfangs nur in den sozialen Netzwerken zu beobachten war, schwappt nun auch ins analoge Leben.

Wie bei allem, kommt es auch beim Glücklichsein auf die Dosis und Echtheit des Gefühls an. Denn unechte und endlos gute Laune kann uns krank machen.

Wie viel gute Laune ist gesund?

Einfach nur glücklich oder zwanghaft positiv?
Einfach nur glücklich oder zwanghaft positiv? (Foto: CC0 / Pixabay / thisismyurl)

Es ist normal, dass Menschen eher danach streben, sich gut zu fühlen, statt traurig oder wütend zu sein. Resilienz, also die Fähigkeit schwere Zeiten ohne psychische Schäden zu überstehen, ist wichtig. Der laut dem Ärzteblatt erlernbare Optimismus kann dabei helfen, Resilienzen aufzubauen. Problematisch wird es erst, wenn du schlechte Gefühle ausradieren willst oder sie als weniger wertvoll erachtest.

Zwanghafte Positivität kann von dir selbst ausgehen, aber auch von deinem Umfeld. Oft kann sie zu einem fatalen Kreislauf führen: Du fühlst dich schlecht und bekommst keinen echten Zuspruch, sondern leere Phrasen zu hören, wie „Das wird schon“ oder „Sehe das Unglück als eine Chance“. Das signalisiert dir, dass negative Gefühle nicht erwünscht sind. Du unterdrückst sie also noch stärker, um gut anzukommen. Das gleiche kann deinen Mitmenschen passieren, wenn sie mit ihren Problemen zu dir kommen. Schließlich möchtest du in einer Krisensituation auch positiv und stark wirken. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird geschönt und unempathisch.

Bin ich glücklich oder ist das schon Gift?

Menschen bestehen aus vielen Emotionen und das ist gut so.
Menschen bestehen aus vielen Emotionen und das ist gut so. (Foto: CC0 / Pixabay / AbsolutVision)

Negative durch positive Gedanken zu ersetzen ist ein Mechanismus, der bei Trauerprozessen helfen kann, schreibt die ZEIT im Artikel „Wer trauert, darf auch lachen“. Nach einer gescheiterten Beziehung viele Partys mit Freund:innen zu feiern, ist keine giftige Positivität. Auch solltest du gut gemeinte Ratschläge nicht gleich als eine Art Untergrabung deiner Gefühle sehen. Es gibt jedoch Warnsignale, die zeigen können, wie gefährlich Toxic Positivity ist:

  • Eine kurze Ablenkung von schlechten Gefühlen ist in Ordnung. Solltest du aber deiner Trauer oder Wut nie Platz lassen und zwanghaft positiv denken, deutet das auf toxische Positivität hin. Zeit heilt bekanntlich alle Wunden. Gibst du dir die Zeit nicht, läufst du Gefahr, die Trauer jahrelang unbewusst und unverarbeitet mit dir herumzutragen.
  • Du siehst Negatives als unnötig und abstoßend an. Dabei sind unangenehme Gefühle mitunter nützlich. Angst zum Beispiel lässt dich aufmerksamer und vorsichtiger handeln.
  • Du fühlst dich so, als müsstest du ständig glücklich sein? Toxic Positivity erzeugt Druck und gibt dir das Gefühl, glücklich zu sein sei eine einfache Entscheidung. Wenn du es also nicht schaffst, hast du das Gefühl zu versagen. Das macht dich noch unglücklicher.
  • Toxic Positivity macht einsam: Da du das Gefühl hast (oder dir das Gefühl gegeben wird) schlechte Gefühle seien nicht akzeptabel, kapselst du dich ab. Du willst nicht die Spaßbremse sein, du möchtest andere mit deinen Problemen nicht „belästigen“. Dabei sind Freundschaften gerade in schwierigen und stressigen Zeiten wichtig.
  • Echte Emotionen sind laut der ÄrzteZeitung schwer nachzuahmen. Meistens merkst du es, wenn dein Gegenüber dir etwas vormacht. Menschen empfinden widersprüchliche Signale als irritierend. Es ist beunruhigend, wenn eine Person lächelt, obwohl sie wütend ist. Dabei möchte sie wahrscheinlich nur als positiv wahrgenommen werden. Sie wirkt auf dich aber verkrampft und künstlich. Als Konsequenz gehst auch du mit ihr künstlicher um. So entfernen wir uns nach und nach von einer echter und lebendiger Kommunikation.
  • Stell dir vor, du schüttest jemanden gerade dein Herz aus und die Person sagt Dinge wie „konzentriere dich auf das Schöne im Leben“. Dabei zeigt sie auf einen Schmetterling oder einen vorbeilaufenden Hund. Das ist Toxic Positivity wie sie im Buche steht und es ist gefährlich, weil deine Sorgen abgetan werden. Solches Verhalten lässt Menschen unsensibler werden.
  • Schwerkranken wird oft suggeriert, sie müssten an ihrem Mindset arbeiten, um wieder gesund zu werden. Das ist sehr toxisch. Die ZEIT schreibt, dass es für solche Glaubenssätze keine wissenschaftliche Belege gibt und mit diesem Verhalten die Verantwortung für die Krankheit auf die Betroffenen geschoben wird.

Wie kann ich mich von Toxic Positivity abgrenzen?

Gemeinsam in lebendiger Kommunikation.
Gemeinsam in lebendiger Kommunikation. (Foto: CC0 / Pixabay / cocoparisienne)

Es ist wichtig zu verstehen, dass Glück eine Momentaufnahme ist und kein dauerhafter Zustand. „Manchmal reicht es aus, den Kopf einfach nur über Wasser zu halten“, sagt Anna Maas, Journalistin und Autorin des Buches „Die Happiness-Lüge“.

Hier ein paar Tipps, die dir dabei helfen, dich von Toxic Positivity loszulösen:

  • Gehe mit einem guten Beispiel voran: Gestehe deinen Freund:innen und Verwandten schlechte Gefühle zu. Sei empathisch. Sätze wie „Es tut mir leid, kann ich dir helfen?“ oder „Ich verstehe, dass du dich schlecht fühlst“ helfen.
  • Achte darauf, mit wem du befreundet bist. Wahre Freund:innen hören dir zu und sind bei dir – auch wenn du schlecht drauf bist.
  • Sortiere auf Instagram und Co. alles aus, was dir Druck macht.
  • Schreibe Tagebuch. Darin kannst du alle Gefühle ungefiltert aufs Papier fließen lassen. Ein Glückstagebuch kann dir helfen, positive Dinge stärker wahrzunehmen, sollte aber nicht das einzige Tool bleiben.

Literaturhinweise:

  • Barbara Ehreneich: Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. München: Kunstmann, 2010.
  • Eva Illouz/Edgar Cabanas: Das Glücksdiktat: Und wie es unser Leben beherrscht. Berlin: Suhrkamp, 2020.

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