Viel echte Wildnis ist in Europa nicht mehr übrig. Aber noch gibt es einige Urwälder, in denen du uralte Bäume und seltene Tierarten bestaunen kannst – sogar in Deutschland und den Nachbarländern.
„Bäume sind Heiligtümer“, soll Hermann Hesse einst gesagt haben. Das Buch „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben hielt sich monatelang in den deutschen Bestsellerlisten. Und nicht zuletzt zeigen Studien regelmäßig, dass es unserer mentalen Gesundheit gut tut, Zeit in der Natur und insbesondere in Wäldern zu verbringen.
Was wir heute als Wald kennen, sind allerdings häufig vom Menschen gepflanzte und gepflegte Fichten-Monokulturen. Die meisten Urwälder in Europa sind verschwunden – aber noch nicht alle: Noch gibt es einige Gebiete, in denen Wälder und Natur beinahe unberührt sind, inklusive jahrhundertealter Bäume und seltener wilder Tiere.
Du musst also nicht erst nach Asien oder Südamerika fliegen, um echten Urwald zu erleben: Im Osten Europas, hoch im Norden und sogar in Deutschland und den Nachbarländern gibt es Reste unberührter Wildnis, die du als Besucher erkunden kannst. Wir zeigen dir zehn solcher besonderer Orte.
Bialowieza-Nationalpark, Polen: Heimat für wilde Wisente
Der Bialowieza-Nationalpark liegt im Osten Polens an der Grenze zu Weißrussland. Er befindet sich im Urwald Bialowieza, der als letzter Tiefland-Urwald Europas gilt und sich über 1.500 Quadratkilometer über die Grenze hinweg nach Weißrussland erstreckt. Der Wald ist als UNESCO-Weltnaturerbe gelistet.
Von den gut 100 Quadratkilometern des polnischen Nationalparks stehen rund 65 unter besonderem Schutz. In dem Schutzgebiet entwickelt sich die Natur seit Jahrhunderten fast ungestört. Hier gibt es jahrhundertealte, riesige Eichen, Ulmen und Buchen und einen großen Reichtum an verschiedenen Tier- und Pflanzenarten, darunter viele seltene Vogelarten. In dieser Zone des Nationalparks gibt es keinerlei menschliche Eingriffe, abgesehen vom Freihalten der Wege.
Als Tourist darf man diese ursprüngliche Wildnis nur in kleinen Gruppen mit Führern auf festen Routen besuchen. Andere Teile des Nationalparks sind für Besucher frei zugänglich.
Neben vielen anderen seltenen und geschützten Tierarten sind im Bialowieza-Nationalpark Wisente zuhause, eine fast ausgestorbene urzeitliche Rinderart. Auch Wölfe, Luchse und Biber leben im Nationalpark.
Im Ort Bialowieza gibt es eine Reihe von Unterkünften und Restaurants für Touristen. Von Warschau aus ist die Anreise mit Zug oder Bus möglich.
Nationalpark Bayerischer Wald: Geburt eines Urwalds
Ganz im Osten Bayerns an der Grenze zu Tschechien liegt der älteste deutsche Nationalpark: der Nationalpark Bayerischer Wald. Seit den 70er-Jahren wird der Wald dort sich selbst überlassen. Stürme und Borkenkäfer zerstörten seitdem fast den gesamten Fichtenwald – und ermöglichten so das Entstehen eines „neuen Urwalds“.
Zwischen dem toten Holz wächst seitdem ein neuer, lebendiger und vielfältiger Mischwald, in dem Wildtiere wie der Luchs wieder eine Heimat gefunden haben. Im Nationalpark liegt mit dem Urwaldgebiet Mittelsteighütte außerdem ein kleines Stück ursprünglicher Urwald mit sehr alten Buchen, Tannen und Fichten.
Dieses in Deutschland einzigartige Waldgebiet kann man das ganze Jahr über besuchen, man kann hier auf vielen Wegen wandern und rund um den Nationalpark gibt es viele Übernachtungsmöglichkeiten.
Mehr Infos: www.nationalpark-bayerischer-wald.de
Biogradska Gora Nationalpark, Montenegro: Camping im Urwald
Der Nationalpark liegt in den Bergen im Zentrum Montenegros und ist nur etwa 21 Quadratkilometer groß. In seinem Herzen liegt ein 16 Quadratkilometer großer Urwald, einer der allerletzten ursprünglichen Wälder Europas. In diesem Urwald stehen über 500 Jahre alte, teils riesige Bäume zwischen Berghängen und Gletscherseen auf bis zu 1.820 Metern Höhe, dazwischen leben viele Wildtiere wie Hirsche, Wölfe, Wildschweine und sogar Bären.
Im Tal am Eingang des Parks liegt der See Biogradsko, hier befinden sich ein Besucherzentrum, von dem aus man Wanderungen in den Park unternehmen kann, ein Restaurant, Bungalows und ein einfacher Campingplatz.
Rund um den See und im Park wachsen um die 2.000 verschiedene Pflanzenarten und unterschiedliche Baumarten wie Buchen, Fichten, Wacholder, Eschen, Ahorn und Ulmen. Es gibt außerdem über 200 Vogelarten, darunter seltene Kaiseradler.
Man kann den Park mit der Bahn von Belgrad aus erreichen, Züge halten in den Orten Kolasin und Mojkovac, von dort aus kann man ein Taxi zum Parkeingang nehmen.
Nationalpark Hainich: ein Stück Wildnis mitten in Thüringen
Ein Stück Urwald mitten in Deutschland: Der 75 Quadratkilometer große Nationalpark Hainich liegt im Westen Thüringens. Auf rund 50 Quadratkilometern steht hier die größte zusammenhängende Laubwaldfläche Deutschlands, die komplett frei von forstwirtschaftlicher Nutzung ist. Der Park gehört zu den UNESCO-Welterbestätten.
Das Gebiet war lange Zeit militärische Sperrzone, so dass sich hier die Natur jahrzehntelang ohne menschliche Eingriffe entwickeln konnte. So ist ein gesunder Laubwald mit der Rotbuche als dominierender Baumart gewachsen. Neben der Buche wachsen hier über 30 weitere Laubbaumarten und rund 900 Farn- und Blütenpflanzen, darunter einige seltene und geschützte Arten und 26 verschiedene Orchideenarten.
Experten schätzen, dass im Wald um 10.000 verschiedene Tierarten leben. Neben vielen Insektenarten zählen dazu zum Beispiel Rehe, Dachse, Wildschweine, Fledermäuse und Waschbären, aber auch seltenere Säugetiere wie Baummarder, Haselmäuse und sogar vom Aussterben bedrohte Wildkatzen. Auch viele Vögel kann man im Nationalpark beobachten, darunter sieben verschiedene Spechtarten, Baumläufer, Pirol, Mäusebussard, Rotmilan, Kolkrabe und sogar seltene Wachteln.
Heute ist der Park von einigen Wanderwegen durchzogen, von den Besucherzentren aus gibt es geführte Touren, ein Baumkronenpfad bietet ungewöhnliche Ausblicke auf das dichte Geflecht von Baumkronen.
Die Anreise in den Nationalpark ist mit dem Bus von Eisenach, Bad Langensalza und Mühlhausen möglich.
Mehr Info: www.nationalpark-hainich.de
Nationalpark Retezat, Rumänien: unberührter Urwald in den Südkarpaten
In den Karpaten in Rumänien finden sich noch recht viele Urwälder – viele davon völlig unberührt und schwer erreichbar. Auch die rumänischen Nationalparks haben oft kaum touristische Infrastruktur. Erreichbare Urwälder gibt es im Semenic- und im Domogled- Nationalpark, in den Tarcu-Bergen oder im Fagaras-Gebirge.
Der Fotograf Matthias Schickhofer, der die rumänischen Wälder sehr gut kennt, rät allerdings: Wer dort unterwegs sein möchte, sollte sich unbedingt einen Führer suchen.
Der Tipp des Fotografen: der Retezat Nationalpark in den Südkarpaten im Westen Rumäniens. Der Nationalpark wurde bereits 1935 als erster Nationalparks des Landes gegründet. An den Hängen und in den Tälern zwischen über 2.000 Meter hohen Gipfeln finden sich hier Reste ursprünglicher Urwälder.
Im Nationalpark wurden fast 1.200 verschiedene Pflanzenarten gefunden, darunter 90 Arten, die nur hier zu sehen sind. Auch viele verschiedene, teils seltene Tierarten, sind hier zuhause, darunter 185 Vogelarten, Wölfe, Luchse, Gämsen, Hirsche, Wildschweine – und wer viel Glück hat, kann sogar Bären oder zumindest deren Spuren sehen.
Im Retezat-Nationalpark gibt es Wanderwege durch die Wildnis, aber keine bewirtschafteten Berghütten; bei mehrtägigen Touren muss man also ein Zelt einpacken. Fotograf Schickhofer rät: Von der Hütte „Cabana Gura Zlata“ im Haupttal an der Straße führt ein Weg am streng geschützten Reservat Gemenele entlang durch wilden Urwald bis zum Bergsee Zănoaga. Auch die Wanderung vom Parkplatz „Poiana Pelegii“ im hinteren Retezat-Tal durch wilden Fichtenurwald zum Bergsee Bucura empfiehlt er.
Die Urwälder in den Karpaten sind akut durch illegale Abholzung bedroht – wer als Tourist diese Orte bereist und später seine Erfahrungen teilt, kann einen kleinen Teil dazu beitragen, diese besonderen Wälder zu schützen. Die unterstützenswerte Kampagne Save Paradise Forests setzt sich für den Schutz der Urwälder ein.
Wildnisgebiet Dürrenstein: Führungen durch Österreichs Urwald
Im Wildnisgebiet Dürrenstein in Niederösterreich wird die Natur weitestgehend sich selbst überlassen. Ein Teil des Naturschutzgebietes macht der sogenannte Rothwald aus, mit circa 460 Hektar einer der größten Urwaldreste Mitteleuropas.
Bereits seit 1875 steht das Waldgebiet unter Schutz. Hier findet man hunderte Jahre alte Bäume; vor allem Buchen, Tannen und Fichten wachsen hier zu imposanten Größen heran.
Besucher können das Wildnisgebiet Dürrenstein ausschließlich in geführten Touren erkunden; es gibt Wanderungen und Touren zu verschiedenen Schwerpunktthemen und in verschiedenen Bereichen des Schutzgebiets.
Mehr Info: www.wildnisgebiet.at
Muddus Nationalpark, Lappland: Rentiere, Elche, Bären
Der Nationalpark Muddus oder Muttos im Norden Schwedens ist Teil des Laponia-Welterbegebiets. Der Nationalpark beherbergt die größten schwedischen Waldgebiete, in denen keine Forstwirtschaft stattfindet. Dabei wechselt hier Wald mit Moor- und Seenlandschaften, Flüssen, Schluchten und Wasserfällen ab.
Neben ursprünglichen Wäldern aus Birken und uralten Kiefern – die älteste Kiefer Schwedens steht hier – ist der Nationalpark Heimat für viele wilde Tierarten. Insbesondere zahlreiche seltene Vogelarten wie etwa Prachttaucher und Auerhühner leben hier; im Zentrum des Parks befindet sich ein Vogelbeobachtungsturm, der einen schönen Blick über den Nationalpark bietet. Auch große Säugetiere wie Wölfe, Rentiere, Elche und Braunbären leben im Nationalpark.
Die Ureinwohner der Gegend, die Samen, nutzen das Gebiet traditionell als Weidegrund für ihre Rentiere. Der größte Teil des Nationalparks ist aber von Menschen weitgehend unberührt und nur ein Teil ist für Besucher begehbar. Hier gibt es einen etwa 50 Kilometer langen Rundwanderweg, an dem man in mehreren einfachen Hütten übernachten oder zelten kann. Insbesondere im Herbst, wenn sich Blätter, Gräser und Moose rot und gelb färben, soll der Park spektakulär sein.
Die Wanderung durch den Nationalpark ist einfach, es wird jedoch empfohlen unbedingt ausreichenden und effektiven Mückenschutz mitzunehmen. Die Anfahrt ist unseres Wissens leider nur mit dem Auto möglich.
Insel Vilm: winzige Ostsee-Insel mit jahrhundertealten Bäumen
Die winzige Ostsee-Insel Vilm bei Rügen liegt in einem Naturschutzgebiet. Ein großer Teil der nicht einmal einen Quadratkilometer großen Insel, ist mit Wald bedeckt. Der wird seit beinahe 500 Jahren sich selbst überlassen, so dass hier teils hunderte Jahre alte Bäume, insbesondere Buchen und Eichen, stehen. Die Wälder hier gehören zu den ältesten Naturwäldern Norddeutschlands.
Jüngere Hainbuchen und Bergahorn bilden eine Arte zweite Vegetationsschicht in den alten Wäldern. Am „Mittel-Vilm“, dem schmalsten Bereich der Insel, wachsen außerdem knorrige Stieleichen und Birken. Auch Schlehdorn, Weißdorn, Wildrosen, Wildbirne und Holzapfel sowie über 300 verschiedene Farn- und Blütenpflanzenarten findet man auf Vilm.
Auf der kleinen Insel sind außerdem viele Tierarten beheimatet. Die verschiedenen Vegetationsbereiche bieten insbesondere Vögeln wertvolle Lebensräume: Gänsesäger und Waldkauz in den Wäldern, Brandgans und Uferschwalbe am Steilufer und Kormorane und Graureiher im Bodden. Außerdem leben Rehe, Füchse, Stein- und Baummarder auf Vilm.
Zu DDR-Zeiten war Vilm für Besucher komplett gesperrt, da hier hochrangige DDR-Politiker ihren Urlaub verbrachten. Heute kann kann man die Insel ausschließlich im Rahmen von Führungen besuchen, die in der Regel zweimal täglich im Hafen von Lauterbach auf Rügen starten und auf jeweils 30 Personen begrenzt sind.
Biosphärenreservat Sumava, Tschechien: Wanderung mit Aussicht
Im Naturschutzgebiet Sumava im Südwesten Tschechiens (auch: Böhmerwald) liegen einige Flecken mit naturbelassenem, urwaldähnlichem Wald. Zusammen mit dem Nationalpark Bayerischer Wald, der sich jenseits der Grenze anschließt, bildet der Nationalpark Sumava die größte zusammenhängende geschützte Waldfläche in Mitteleuropa.
Insbesondere das im Nationalpark liegende Naturschutzgbiet Boubínský prales am Berg Boubin bietet unberührte Wälder. Hier stehen bis zu 400 Jahre alte Bäume, zwischen riesigen urwüchsigen Buchen wachsen undurchdringliche Sträucher und aus verrottenden Baumstämmen sprießen neue Pflanzen. Das Reservat ist eingezäunt und darf nicht betreten werden, aber von den Wanderwegen aus bekommt man beeindruckende Einblicke in den Urwald.
Der Wanderweg Boubínská stezka führt durch den Wald auf einen Aussichtsturm auf dem Boubin, von dem aus man eine grandiose Aussicht über den Wald und den Nationalpark hat.
Im Böhmerwald gibt es ein ein spezielles Netzwerk von „grünen Bussen“. Die nächste Bushaltestelle befindet sich in Horní Vltavice.
Nationalpark Poloniny, Slowakei: Welterbestätte in den Waldkarpaten
Ganz im Osten der Slowakei, an der Grenze zu Polen und zur Ukraine, liegt der Nationalpark Poloniny. Die Gegend gehört zu den sogenannten Waldkarpaten und liegt im nördlichen Teil der Ostkarpaten.
Er enthält ausgedehnte, ursprüngliche Buchen- und Tannen-Buchenwälder und die streng geschützten Urwälder Stužica, Rožok und Havešová, die seit 2007 zum UNESCO-Welterbe zählen.
Der Nationalpark ist zu etwa 80 Prozent mit Wald bedeckt, allerdings steht insgesamt nur etwa ein Drittel des Parks (gut 100 Quadratkilometer) unter Schutz. Es überwiegen hier Buchen, in tiefen Lagen findet man auch Buchen-Eichenwälder, in höheren Lagen Fichten und Ahorn-Buchenwälder. Außerdem wachsen an einigen Stellen Ulmen, Eschen, Linden und Bergahorn.
Im Nationalpark gibt es etwa 3.600 Tierarten, davon 3.300 Wirbellose. In den Waldgebieten leben unter anderem Raubvögel wie Bussarde, Milane, Adler und Uhus. Relativ häufig sind wilde Säugetiere wie Marder, Dachse und Wildkatzen, es gibt hier aber auch seltene Raubtiere wie Braunbären, Wölfe und Luchse.
Als Ausgangspunkt für einen Besuch des Poloniny Nationalparks empfiehlt das offizielle Tourismusinfoportal Slovakia.travel den Ort Nová Sedlica. Bis zum Ort Stakčín am Rand des Nationalparks kommt man mit der Bahn, hier befindet sich auch die Parkverwaltung.
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