Unglaublich: Du hast deine vegane Kollegin neulich mit einer Plastikflasche ertappt? Oder fliegt ein Vegetarier, den du kennst, mit dem Flugzeug? So viel Inkonsequenz … ist menschlich. Ein persönlicher Kommentar zu Rückschlägen im Umweltschutz – und wieso man trotzdem nicht aufgeben sollte.
Die Sommer werden durch den Klimawandel immer heißer. Klimaforscher:innen mahnen alle paar Monate eindringlich vor den Gefahren, die unser hoher Treibhausgasstoß mit sich bringt. Und jede Woche marschieren freitags Jugendliche für Klimaschutz durch Großstädte. Kurzum: Seit Jahren herrschen außergewöhnliche Zustände, die für uns längst zur Normalität geworden sind.
Trotzdem hat sich unser Alltag verändert: Wir machen uns Gedanken über unseren ökologischen Fußabdruck, nehmen Stoffbeutel mit zum Einkaufen. Überall sehen wir Werbung für klimaneutrale Produkte, Fleischalternativen und vegane Kosmetik. Und mit Fliegen und Fleisch essen ist das so eine Sache: Zwar ist beides immer noch alltäglich und genug Menschen tun es ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden – doch der Ruf wird immer schlechter.
Das böse F-Wort
Auch ich verzichte seit Jahren auf Fleisch und nutze öffentliche Verkehrsmittel oder fahre Rad. Im Supermarkt versuche ich, möglichst zu biologischen, regionalen oder zumindest unverpackten Lebensmitteln zu greifen. Ich weiß Bescheid über Plastik in den Weltmeeren und den Klimawandel. Trotzdem werde ich im Sommer verreisen – mit dem Flugzeug.
Da steht es: das böse F-Wort. Flugzeuge sind natürlich Klimakiller. Stählerne CO2-Schleudern, die absurderweise auch noch subventioniert werden. Ich weiß, dass ein einziger Flug mein mühsam angespartes Klimakonto auf einen Schlag wieder in die Miesen treibt. 284 Gramm Treibhausgase strömen laut Umweltbundesamt pro Personenkilometer aus den Turbinen in die Atmosphäre, wobei der Wert je nach Flugzeugmodell und Fluggesellschaft deutlich schwankt. Fliege ich von München nach Vigo in Spanien, bin ich beispielsweise für den Ausstoß von etwa 490 (!) Kilogramm CO2 verantwortlich (Quelle).
Obwohl ich das weiß, werde ich im Juni in ein Flugzeug steigen – und damit den Klimawandel mutwillig vorantreiben. Doch wieso? Ein mentaler Aussetzer? Hat mich die Pilotenlobby bestochen? Oder ist mir das Klima am Ende doch nicht so wichtig, wie ich immer behaupte?
Auch billige Flugreisen haben ihren Preis
Drei Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal in ein Flugzeug gestiegen bin – und eigentlich hatte ich mir geschworen, dies nie wieder zu tun. Klar: 2020 und 2021 schieden Flugzeugreisen auch deshalb aus, weil die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus als besonders hoch galt. Es war also leicht, die Leute, mit denen ich wegfuhr, von Zugreisen und Roadtrips in der Gegend überzeugen. Doch jetzt sind die Infektionszahlen niedriger und mein Freund, ich und eine Reihe anderer Leute aus unserem Freundeskreis sind auf eine Hochzeit in Spanien eingeladen, nahe der Grenze zu Portugal. Gute Freunde von uns heiraten und wir wollen uns das Ereignis auf keinen Fall entgehen lassen. Doch wie werden wir nach Spanien kommen?
Ich habe es ehrlich versucht. Habe Züge nach Barcelona recherchiert, von München nach Straßburg, Straßburg nach Paris, Paris nach Barcelona, und von Barcelona zu dem kleinen Ort, an dem die Trauung stattfindet. Habe Busverbindungen recherchiert (Dauer: 1 Tag 11 Stunden 35 Minuten). Habe überlegt, ob vielleicht ein Roadtrip durch Europa unkomplizierter ablaufen könnte. Habe geplant, wo man unterwegs übernachten kann, wie viele Extra-Tage wir am besten einplanen. Überzeugt hat mein Plan aber niemanden – wenn ich ehrlich bin, klang es sogar für mich selbst nach einem riesen Aufwand.
Natürlich hätte auch ich die Möglichkeit, alleine den Zug oder Fernbus zu nehmen oder ganz auf die Reise zu verzichten. Mit dem Reisebus würde ich, was den CO2-Ausstoß betrifft, etwa zehnmal so weit kommen wie mit dem Flieger. Doch ich bin der Versuchung eines unkomplizierten Flugs erlegen. Gemeinsam einsteigen – aussteigen – fertig. Bei Skyscanner & Co. gab es schließlich auch keinen Warnhinweis, dass mich mehrere Hundert Kilo Treibhausgase auf meiner Reise begleiten werden. Die sind zwar unsichtbar, aber ich spüre ihr Gewicht ganz deutlich, seit ich das Ticket gebucht habe.
Darf ich jetzt nicht mehr in den Biomarkt?
Kann man vom grünen Gewissen einfach mal Urlaub nehmen? Das glaube ich auf keinen Fall.
Aber macht mich mein Flug bereits zu einer Heuchlerin? Darf ich nicht mehr in den Biomarkt, soll ich jetzt die Hafermilch im Kaffee wieder durch Milch ersetzen? Oder meine Tofu-Bratwurst mit einer Schweine-Bockwurst?
Auch nein. Denn meine nachhaltigen Bemühungen werden nicht schlechter, nur weil ich bei einer davon versage, eben diesem Flug.
Leider ist es nicht leicht, immer korrekt zu handeln. Und im Urlaub denken nur wenige an Nachhaltigkeit. Vor allem jetzt, nach zwei langen Coronajahren, in denen viele auf Fernreisen verzichtet haben. Dafür ist die Reiselust nun umso stärker: Nicht umsonst liegen die Buchungen für Flugreisen laut dem Deutschen Reiseverband (DRV) seit Monaten im Wochenvergleich fast durchgängig über denen von 2019.
Klar: Es gibt auch Vorbilder, die mit gutem Beispiel vorran gehen. Wer hat Greta Thunberg nicht bewundert, als sie 2019 mit einem Katamaran den Atlantik überquert hat? So viel Konsequenz hat allen Respekt verdient. Doch ein Vorbild zu bewundern und es ihm gleich zu tun, sind zwei verschiedene Dinge.
Aber wieso handeln wir überhaupt entgegen unserer Prinzipien, obwohl wir es doch besser wissen?
Umweltschutz ist mehr als Kaffee ohne Plastikdeckel
Ein umwelt- und klimafreundlicheres Leben zu führen, ist eine Herausforderung. Wer auf den Coffee-to-go und das Schnitzel am Mittag verzichtet, legt einen guten Start hin – und darf darauf durchaus stolz sein.
Den eigenen CO2-Fußabdruck konsequent zu reduzieren, schließt aber den kompletten Lebenswandel mit ein. Plötzlich wiegt der Einkaufskorb schwer, weil er mit Verantwortung gefüllt ist, der Weg in die Stadt wird zur sportlichen Herausforderung, und „mal eben schnell im Internet bestellen“ steht nicht mehr zur Debatte.
Deshalb fällt es vielen Menschen leichter, kleine Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu machen: Ein Bio-Einkauf zum Beispiel oder regelmäßig mit den öffentlichen Transportmitteln fahren. Wer sich aber höhere Ziele steckt – und zum Beispiel plant, von nun an ganz auf Fleisch oder Plastik zu verzichten – muss mit Rückschlägen rechnen. Es ist noch kein Öko vom Himmel gefallen.
Mein Fazit: Auch wer sich bemüht, macht Fehler
Mein Fehltritt ist schwerwiegender als ein Wurstbrot in der Fastenzeit oder ein Coffee-to-go, weil man den Thermosbecher vergessen hat. Ja: Es ist schlecht, dass ich fliege. Will ich hier einen Ablass dafür? Nein.
Worum geht es mir dann? Darum: Wer einen Rückschlag erlebt, wer sich dabei ertappt, nicht perfekt gehandelt zu haben – der sollte, der darf nicht den Mut verlieren. Und vor allem: Nicht zu alten Mustern zurückkehren. Denn das hilft der Umwelt am allerwenigsten.
Wichtig ist: Es nicht dabei zu belassen. Daraus zu lernen. Zu versuchen, es das nächste Mal besser zu machen. Wer ein bisschen flexibler an die Sache rangeht, findet nämlich oft bessere Reiseverbindungen – vor allem das 9-Euro-Ticket bietet in den nächsten Monaten tolle Optionen für klimafreundliches Reisen. Und auch wenn es mal weiter weg gehen soll, muss natürlich keinesfalls das Flugzeug herhalten. Für meinen nächsten Urlaub habe ich mir schon eine Zugstrecke rausgesucht, von München ist man per TGV nämlich in weniger als 6 Stunden in Paris…
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