Am Dienstag wurde ein Abkommen zum Import von Wasserstoff aus Kanada nach Deutschland unterzeichnet. Der Stoff soll unter anderem Erdgas ersetzen – aber wie genau? Was hat es mit dem Energieträger auf sich? Und wie nachhaltig ist es überhaupt, Wasserstoff über so weite Strecken zu importieren? Hier findest du Antworten.
Grüner Wasserstoff soll einen entscheidenden Beitrag zur Klimaneutralität in Deutschland leisten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der kanadische Energieminister Jonathan Wilkinson unterzeichneten deshalb am Dienstag (Ortszeit) im kanadischen Stephenville ein Abkommen, das zum Import von Wasserstoff aus Kanada nach Deutschland ab dem Jahr 2025 führen soll. Doch welche Rolle soll der Rohstoff genau übernehmen und wie realistisch ist das? Hier findest du Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um Wasserstoff.
Was ist Wasserstoff, und wo wird er verwendet?
Auf der Erde kommt Wasserstoff nicht in Reinform vor, sondern nur in Verbindung mit anderen Elementen, vor allem mit Sauerstoff, nämlich als Wasser (H2O). Als Grundstoff für die chemische Industrie wird Wasserstoff schon lange verwendet, etwa zur Herstellung von Ammoniak, einer Ausgangsbasis für Düngemittel. Als Energieträger zur Stromerzeugung kommt Wasserstoff etwa in Autos mit Brennstoffzellen zum Einsatz.
Wo kommt der Wasserstoff bislang her?
In Deutschland werden laut Nationaler Wasserstoffstrategie (NWS, 2020) jährlich rund 1,65 Millionen Tonnen Wasserstoff mit einem Energiegehalt von rund 55 Terawattstunden verbraucht, vor allem von der chemischen Industrie. Immer muss er zuvor mit Hilfe von Energie aus einem Ausgangsstoff abgespalten werden. Gewonnen wird er bislang überwiegend aus Methan, also dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas.
Gibt es verschiedene Wasserstoff-Sorten?
Jein. Eigentlich ist Wasserstoff immer Wasserstoff. Allerdings unterscheiden sich die Herstellungsverfahren, bei denen etwa Wasserdampf oder Strom die Energie liefern. Um am Namen die Art der Herstellung ablesen zu können, hat man Farben gewählt – wohlgemerkt nur für die Bezeichnung. Eingefärbt wird nichts.
- So spricht man von „grauem“ Wasserstoff, wenn bei der Herstellung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) entweicht.
- Wird das Kohlendioxid gespeichert, bezeichnet man ihn als „blau“.
- Wird dabei fester Kohlenstoff gewonnen, wird der Wasserstoff „türkis“ genannt.
- Am liebsten ist den meisten Politikerinnen und Politikern aber „grüner“ Wasserstoff, der klimaneutral mit Hilfe von Ökostrom produziert wird.
Bei dieser sogenannten Elektrolyse wird unter Einsatz von grünem Strom das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten.
Wie soll Wasserstoff die Energieversorgung in Deutschland verbessern?
Wasserstoff soll Lücken im künftigen klimaneutralen Energiemix schließen, weil nicht alles mit elektrischer Energie betrieben werden kann. „Es gibt so viele Dinge in unserem Energiesystem, im Verkehr, beim Heizen und in industriellen Prozessen, die wir direkt elektrifizieren können. Und wo immer wir etwas direkt elektrifizieren können, müssen wir das tun“, sagt etwa der Chef des europäischen Windkraftverbandes Windeurope, Giles Dickson. „Aber wir können nicht alles direkt elektrifizieren.“ Dort komme Wasserstoff ins Spiel, „für Teile der Schwerindustrie, für Teile des Schwerlastverkehrs, die wir durch Wasserstoff dekarbonisieren müssen“.
In der Stahlindustrie etwa soll Wasserstoff eine zentrale Funktion übernehmen: Wo bei der Herstellung von Roheisen bislang Kohlenstoff dem Eisenerz den Sauerstoff entzieht, soll künftig Wasserstoff ran. Abfallprodukt ist dann nicht mehr klimaschädliches CO2, sondern Wasser. Die Umstellung der Verfahren ist sehr teuer, kann aber eine große Wirkung entfalten: Die Stahlindustrie in Deutschland ist nach eigenen Angaben für rund 30 Prozent des industriellen CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Kann Wasserstoff in Gaskraftwerken auch Erdgas ersetzen?
Das ist die Idee. Neue Gaskraftwerke sollen daher schon jetzt „H2-ready“ gebaut werden, also mit der Möglichkeit, dort später Wasserstoff zu verbrennen. Sie sollen die Stromversorgung gewährleisten, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. „Der ganze Krieg beschleunigt jetzt auch die grüne Wasserstoffagenda“, sagte Klimastaatssekretär Patrick Graichen schon Mitte März.
Doch nicht jede:r hält dies für realistisch: Udo Sieverding, Bereichsleiter Leiter Energie bei der Verbraucherzentrale NRW, erklärte gegenüber Utopia: „Die Gasbranche gibt sich Mühe, Wasserstoff langfristig als Ersatz für Erdgas anzupreisen, sowohl für Autos als auch Heizungen. Beides ist unrealistisch.“
Bei der Mobilität haben sich dem Experten zufolge elektrische Antriebe längst durchgesetzt. Und beim Heizen verweist er auf die Wärmepumpe als große Alternative. Vereinzelt würden auch alternative Verbrennungsheizungen benötigt, zum Beispiel in denkmalgeschützten Gebäuden mit schlechter Energiebilanz. Hier werde sich Wasserstoff der Konkurrenz wie Holzpellets stellen, er sei aber teuer und benötige hohe Sicherheitsanforderungen. „Daher wird das normale Gasnetz nicht einfach auf Wasserstoff umgestellt werden“, folgert der Experte. Er warnt vor davor, sich auf Wasserstoff als Heizlösung zu verlassen. „Jetzt anzudeuten, in den 30er Jahren gibt es Wasserstoff, die Öl- oder Gasheizung auszuwechseln sei also nicht nötig, das reizt Fehlinvestitionen an.“
Wie soll der Wasserstoff zu den Nutzer:innen kommen?
Wo der Wasserstoff nicht direkt etwa neben einer Elektrolyseanlage in einem Chemiewerk verwendet wird, soll er über Leitungen zu den Kund:innen gepumpt werden. Die Gas-Fernleitungsnetzbetreiber haben längst mit entsprechenden Planungen begonnen. So soll das sogenannte H2-Netz im Jahre 2030 in Deutschland rund 5.100 Kilometer lang sein. Dabei basieren rund 3.700 Leitungskilometer auf bereits bestehenden, umgestellten Erdgasleitungen. Teuer wird es trotzdem: Die Investitionskosten bis dahin werden auf etwa sechs Milliarden Euro geschätzt.
Wieviel Wasserstoff braucht Deutschland?
Für das Jahr 2030 geht die Wasserstoffstrategie von einem Bedarf von etwa 90 bis 110 Terrawattstunden in Deutschland aus. Davon sollten den bisherigen Planungen zufolge bis zu 14 Terrawattstunden durch neue Elektrolyseanlagen in Deutschland produziert werden. Der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage werde aber importiert werden müssen. Die Annahmen dürften sich aber ändern: Noch in diesem Jahr plant die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag ein „ambitioniertes Update“ der Strategie. Schon im Koalitionsvertrag wurde die bis 2030 im Inland geplante Erzeugungskapazität im Vergleich zur NWS verdoppelt.
Woher sollen die Wasserstoffimporte kommen?
Die Bundesregierung setzt unter anderem auf internationale Kooperationen – etwa mit Australien und Afrika, also Regionen mit reichlich Sonnenschein. Für Westafrika wurde bereits ein sogenannter Potenzialatlas zusammengestellt. Ein Ergebnis: Mit Solarstrom erzeugter Wasserstoff lässt sich in Nordafrika deutlich günstiger herstellen als in Deutschland.
Auch deutsche Unternehmen arbeiten längst an Versorgungsnetzen, um in einigen Jahren klimaneutral hergestellten Wasserstoff und Wasserstoffverbindungen wie Ammoniak nach Deutschland zu holen. Vereinbarungen mit einem australischen Unternehmen haben etwa der Energiekonzern Eon und der Chemiekonzern Covestro geschlossen. Am Dienstag wurde bekannt, dass Eon und der Energiekonzern Uniper grünen Wasserstoff aus Kanada beziehen wollen. Er soll in Ammoniak gebunden nach Deutschland kommen.
Ist ein Import von grünem Wasserstoff aus Kanada nachhaltig?
Das ist schwer zu sagen. Grüner Wasserstoff wird aus erneuerbaren Energien gewonnen. Allerdings muss er von Kanada aus bis nach Deutschland transportiert werden, und dabei werden Emissionen anfallen. Deutschland ist derzeit aber auf Energieimporte angewiesen. Energieexperte Udo Sieverding folgert deshalb: „„Wir kaufen derzeit auch Kohle aus Kolumbien oder Australien und werden grünen Wasserstoff nicht nur aus Skandinavien oder Marokko bekommen können, sondern auch weltweit importieren müssen. Der Rohstoff wird in Kanada durch Windräder erzeugt, die könnten auch woanders stehen. Allerdings haben jüngste Ereignisse gezeigt, wieso wir uns nicht zu sehr von einzelnen Staaten abhängig machen dürfen. Nachhaltigkeit ist in dem Fall nicht das zentrale Kriterium.“
Trägt das Abkommen dazu bei, die Energieversorgung zu sichern?
Auch hier gehen die Meinungen auseinander. Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete die Einigung als einen „Meilenstein, um den internationalen Markthochlauf von grünem Wasserstoff zu beschleunigen und den Weg frei zu machen für neue transatlantische Kooperationsprojekte“. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz versicherte auf Twitter: „Im Wasserstoff liegt die Zukunft“.
Energieexperte Sieverding zufolge dürfte das Abkommen mit Kanada vor allem psychologische Bedeutung haben. Denn die Bundesregierung vermittle damit Handlungsfähigkeit und ernsthaftes Bemühen um grünen Wasserstoff. „Das ist in der aktuellen Gaskrise ein wichtiges Signal, auch wenn die Lieferungen erst 2025 starten.“
Wie soll eine Umstellung auf Wasserstoff gelingen?
Für viele der gedachten Anwendungen müssen Lösungen, die im großen Maßstab umsetzbar sind, erst noch entwickelt werden. Zudem ist grüner Wasserstoff bei weitem noch nicht in ausreichenden Mengen zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar. Und schließlich müssen erst die Verteilnetze entstehen, in denen die riesigen Mengen dorthin transportiert werden, wo sie gebraucht werden. „Wir versuchen etwas, was nie da gewesen ist, nämlich gleichzeitig eine Nachfrage, eine Infrastruktur und ein Angebot hochzufahren“, fasste Falko Ueckerdt vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung die Aufgabe einmal zusammen.
Um sie zu schultern, hat der Bund Ende Mai 2021 ein milliardenschweres Förderpaket im Rahmen des Programms „Important Projects of Common European Interest“ speziell für Wasserstoff geschnürt. Es umfasst 62 Großprojekte, die sich um die gesamte Wertschöpfungskette beim grünen Wasserstoff drehen: Die Stahl-, Chemie- und Autoindustrie kommt dabei vor, aber auch Elektrolyseure.
Utopia meint: Inwieweit grüner Wasserstoff unsere Heiz- und Energieprobleme lösen kann, ist noch völlig offen. In diesem Winter werden wir nicht von dem Abkommen profitieren, weil Lieferungen erst ab 2025 geplant sind. Wir raten deshalb dazu, Energie zu sparen und, nach Möglichkeit, auf nachhaltige Heizmethoden wie die Wärmepumpe umzustellen. Infos und Tipps findest du hier:
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