Büro, Schule, Homeoffice: Im Alltag verbringen viele Menschen einen großen Teil ihrer Zeit sitzend. Doch langes Sitzen fördert zahlreiche Beschwerden und Krankheitsbilder. Expert:innen erklären, warum – und was man tun kann.
Viele Menschen in Deutschland verbringen am Tag deutlich zu viel Zeit sitzend und leiden demzufolge unter Bewegungsmangel. Das führt nicht nur zu Fehlhaltungen und Schmerzen, sondern begünstigt auch Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und Diabetes. Außerdem schadet es unserem Immunsystem, so die Sportpsychologin Jana Strahler und die Personal-Trainerin Franziska Penno gegenüber der Zeit.
Regelmäßige Bewegung und sportliche Aktivitäten würden sich hingegen auf unterschiedliche Weise positiv auf das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit auswirken. So sind Menschen laut Strahler auch geistig leistungsfähiger, wenn sie sich regelmäßig bewegen. Das könnte daran liegen, dass das Gehirn durch Sport besser durchblutet wird und dadurch möglicherweise neue Nervenzellen und Verknüpfungen bilden kann. Sicher seien sich Hirnforscher:innen dabei aber nicht, so das Wissenschaftsmagazin Quarks.
Um von diesen positiven Wirkungen profitieren zu können und Bewegungsmangel vorzubeugen, empfiehlt die Personal-Trainerin Penno unter anderem, feste Sportpläne mit realistischen Zielen zu etablieren und sich auch im Büroalltag und beim Sitzen regelmäßig zu bewegen.
Langes Sitzen: Darum ist es so schädlich
Im Durchschnitt sitzen erwachsene Menschen in Deutschland pro Tag etwa 8,5 Stunden, so der DKV-Report aus dem Jahr 2021. Dies ist laut dem Sportwissenschaftler Ingo Froböse eindeutig zu viel. Gegenüber Deutschlandfunk Nova erklärt er, dass man schon ab einer Sitzzeit von 4,5 Stunden mit gesundheitlichen Konsequenzen rechnen müsse. Denn ab dieser Grenze könne man die Schäden, die das Sitzen bereits im Körper angerichtet hat, nicht mehr durch Bewegung ausgleichen.
Auch eine neue Veröffentlichung im Journal of the American College of Caridology klärt über die Risiken des Sitzens auf: Wer mehr als zehn Stunden am Tag sitzt, erhöht sein Risiko für eine Herzinsuffizenz, Vorhofflimmern und einen Herzinfarkt stark. Zwar kann Bewegung von mehr als 2,5 Stunden in der Woche das Risiko teilweise senken, jedoch weder vollständig noch in einem größeren Rahmen. Immerhin kann durch eine Verlagerung von 30 Minuten täglicher Sitzzeit auf andere Aktivitäten das kardiovaskuläre Risiko deutlich absinken.
Gegenüber dem MDR führt auch Sportwissenschaftler Froböse aus, dass langes Sitzen das Risiko für Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen erhöht. Weil sich der Stoffwechsel durch das Dauersitzen verändere, würde die Muskulatur bei vielen Menschen abbauen. Die Muskeln seien jedoch das „Stoffwechsel-Kraftwerk“ eines Körpers, sodass sich ihr Fehlen auf den ganzen Körper auswirkt.
Bernd Kladny, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, erklärt im Deutschlandfunk-Nova-Beitrag, dass Bewegungsmangel insbesondere auch Rücken, Muskeln und Gelenke schädigt. Denn die Knorpel, die sich in den Gelenken befinden, seien auf Bewegung angewiesen. Nur dann nehmen sie Nährstoffe aus der Gelenkflüssigkeit auf. Passiere dies nicht, wird der Knorpel porös und es kommt zu Gelenkschmerzen. Auch die Bandscheiben können darunter leiden und wiederum zu Rückenschmerzen führen, so der Experte.
Laut Franziska Penno entstehen durch langes Sitzen zudem Fehlhaltungen. Dadurch können sich sogenannte Faszien, also Bindegewebestrukturen, verkleben oder verhärten. Die Folge sind Schmerzen und Verspannungen. Auch auf dem Sofa sollte man nicht längere Zeit sitzen, ohne die Position zu verändern.
Sogar Stress und psychische Verstimmungen können bei Bewegungsmangel leichter entstehen: Froböse erklärt, dass ein Ungleichgewicht entsteht, weil viele Menschen kognitiv täglich viel leisten – körperlich jedoch nicht. Das könne Stress und psychische Verstimmungen auslösen.
Sport und Bewegung: Viele gesundheitliche Vorteile
Regelmäßige Bewegung bringt also nicht nur für die körperliche Gesundheit Vorteile mit sich. Die Universität Freiburg, an der die Sportpsychologin Jana Strahler forscht, erklärt, dass Menschen dank regelmäßigem Sport besser mit Stress umgehen können. Eine Vielzahl an Studien belege diesen Zusammenhang. Laut Strahler liegt das am sogenannten Stresspuffer-Effekt. Dieser führe dazu, dass im Körper sportlich aktiver Personen geringere Mengen des Stresshormons Cortisol freigesetzt würden.
Die Sportpsychologin betont außerdem, dass regelmäßiger Sport auch Ängste lösen und negative Gedanken unterbrechen kann. Bereits eine Sporteinheit könne einen antidepressiven Effekt haben.
Prof. Rüdiger Reer, Generalsekretär des Deutschen Sportärztebundes, erklärt gegenüber Quarks, dass auch das Herz-Kreislauf-System insbesondere von Ausdauersportarten profitiert. So könne regelmäßige Bewegung den Blutdruck regulieren und verhindern, dass sich Blutfett in den Blutgefäßen ablagert. Dadurch sinkt das Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall deutlich, so Reer. Krafttraining habe zudem einen positiven Effekt auf die Muskelkraft und stabilisiere das Stützgewebe des Körpers.
Wie und wann: Tipps für mehr Sport und Bewegung im Alltag
Um sich regelmäßig zu bewegen, empfiehlt Personal-Trainerin Penno, Sporteinheiten als feste Termine anzusehen. Sie sollten als solche im Kalender vermerkt sein. Zudem könne es helfen, Sportkleidung gleich mit zur Arbeit zu nehmen oder sich mit anderen zum Sport zu verabreden. Denn so wird es schwieriger, sich spontan doch noch gegen das Sportmachen zu entscheiden.
Laut Sportpsychologin Strahler ist es jedoch wichtig, realistische Sportpläne und -ziele zu entwickeln. Sind die Workouts beispielsweise viel zu anstrengend oder zu lang, sinke die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sie regelmäßig durchführen. Nach etwa 30 Tagen regelmäßigen Trainings habe sich jedoch bereits eine Routine eingestellt. Dann falle die Überwindung zum Sport deutlich leichter.
Strahler empfiehlt bei der Sportplanung auf einen Mix von kurzen und intensiven Krafteinheiten und längeren, moderat intensiven Aktivitäten zu setzen. So sind kürzere Workouts, die die Muskelkraft und Koordination fördern, gut in einen vollen Tag integrierbar. Ausdauertraining sollten Sportler:innen dabei jedoch nicht vergessen. Diese Trainingsart dauert in der Regel jedoch etwas länger. Wer sich besonders schonend bewegen möchte, kann auf Pilates oder Yoga zurückgreifen.
Penno empfiehlt, etwa alle zwei bis drei Tage eine Sporteinheit einzuplanen, die etwa 45 Minuten dauern sollte. Laut der Personal-Trainerin ist es jedoch auch wichtig, sich im Büroalltag zu bewegen. Sie empfiehlt, regelmäßig aufzustehen, ein paar Schritte zu gehen und sich zu dehnen. Arbeitswege solle man zudem lieber zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen, sofern möglich. Und dem Aufzug sei die Treppe vorzuziehen. Schließlich sei es auch wichtig, beim Sitzen regelmäßig die Haltung zu ändern und nicht zu sehr in einer Position zu verharren.
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Überarbeitet von Adriana Jodlowska
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