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Smarte Windeln: Pampers will jetzt Babys überwachen

Lumi by Pampers: smarte Windeln, Überwachungssystem
Screenshot: Werbevideo Pampers (© P&G)

Es klingt wie ein schlechter Witz, ist aber ernst gemeint: Pampers bringt eine smarte Windel auf den Markt. Die ist Teil eines kompletten Überwachungs- und Trackingsystems namens Lumi. Eltern sollen damit die Entwicklung ihres Babys besser verstehen können. Geht’s noch? Ein Kommentar.

„Jenseits davon, sie nachts trocken zu halten, haben wir uns gefragt: Wie können wir mehr tun, um die tägliche Entwicklung von Babys zu unterstützen?“ schreibt die Windelmarke Pampers online. Die Antwort ist offenbar: Wir entwickeln ein Totalüberwachungssystem für Babys. Klingt absurd? Ist es auch.

Smarte Windeln: Pampers kooperiert mit Google-Schwesterfirma

„Lumi by Pampers“, so erklärt Pampers, sei „the world’s first all-in-one connected care system” ­– grob übersetzt das weltweit erste komplett vernetzte Pflegesystem.

Pampers-Mutterkonzern Procter & Gamble (P&G) hat sich für sein „Lumi“-System mit der Google-Schwesterfirma Verily zusammengetan. Verily verdient sein Geld unter anderem mit dem Sammeln von Gesundheitsdaten zu verschiedenen Zwecken und nennt als seine Mission „die Gesundheitsdaten der Welt nützlich zu machen“. Mit an Bord ist auch die Computer-Hardware-Firma Logitech.

Lumi by Pampers: smarte Windeln, Überwachungssystem
Lumi by Pampers: Smarte Windeln, Kamera, Smartphone-App (Screenshot: Werbevideo Pampers (© P&G))

Das „Lumi“-Gesamtpaket umfasst wiederverwendbare Sensoren, die an speziellen Babywindeln angebracht werden sollen, eine hochauflösende Weitwinkelkamera mit Nachtsichtfunktion und Zwei-Wege-Audio und eine Smartphone-App. „Lumi by Pampers“ soll ab Herbst 2019 erhältlich sein, erst einmal aber nur in den USA.

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Sensoren erfassen Windelinhalt und Schlafverhalten

Die Sensoren können sowohl Feuchtigkeit als auch Bewegungen und Schlaf des Babys tracken. Die Kamera funktioniert in Verbindung mit dem Smartphone wie ein Babyphone, das Geräusche in beide Richtungen überträgt, sie erfasst außerdem Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit. Beides – Sensor und Kamera – sendet Echtzeit-Daten an die Smartphone-App, so dass Eltern ihr Baby lückenlos digital überwachen können.

Die App soll anzeigen, wann die Windeln gewechselt werden müssen und wie lange das Baby schläft. (Weil man das als Eltern sonst ja nicht merken würde.) Auch die Full-HD-Kamera lässt sich natürlich per App einsehen. Zudem soll man in der App individuelle Daten wie etwa die Mahlzeiten des Babys erfassen und grafisch darstellen können.

P&G formuliert das so: „Lumi hilft Eltern, Echtzeit-Daten mit ihrer Intuition zu verschmelzen und bietet Einblicke, die auf ihr einzigartiges Baby zugeschnitten sind“.

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Babys Gesundheitsdaten per App mit Medizinern teilen? Keine gute Idee

Besonders brisant: Im Werbevideo deutet P&G an, dass die erfassten Daten auch direkt mit Kinderärzten geteilt werden könnten. Was sich auf den ersten Blick praktisch anhören mag, ist letztlich ein fahrlässiger Umgang mit sensiblen Daten – und in diesem Fall ganz besonders, schließlich kann das Baby nicht widersprechen.

Lumi by Pampers: smarte Windeln, Überwachungssystem
Claire hat heute eine Stunde und 22 Minuten geschlafen, hatte vor 46 Minuten eine Flasche und hat eine trockene Windel. Brauchen ihre Eltern für diese Infos wirklich ein smartes Windel-System? (Screenshot: Werbevideo Pampers (© P&G))

Wer in der heutigen Zeit noch glaubt, dass die erfassten Daten nur den Eltern (und Medizinern) helfen sollen, das Kind besser zu verstehen, ist entweder beneidenswert naiv oder einfach völlig ignorant. Glaubt denn wirklich jemand, dass es eine gute Idee sein könnte, so sensible Daten in die Hand einer mit Google verbandelten, profitorientierten Firma zu legen? Und die Kontrolle über diese Daten damit aus unserer Hand zu geben? Wollen wir eine Zukunft, in der – und ja, das ist dystopisch gedacht – womöglich Versicherungen, Schulen oder Arbeitgeber Zugriff auf Gesundheitsdaten haben und Menschen aufgrund ihrer Gesundheit bevorzugen oder benachteiligen können?

Pampers hat kein Vertrauen in Eltern

In Zeiten von Fitnesstrackern und Health-Apps ist es keine abwegige Vermutung, dass das alles vielen Menschen ziemlich egal ist. Vielleicht reicht dann das höchst fragwürdige Menschenbild, das sich hinter dem smarten Windelsystem zu verbergen scheint, um „Lumi“ zumindest kritisch zu sehen.

Das „Lumi“-System spricht Eltern nicht nur jegliche Intuition und Kompetenz ab, sondern fördert auch noch die Angst vieler junger Eltern, nicht alles „richtig“ zu machen. Wenn man sich als Mutter oder Vater nicht einmal mehr zutraut, selbst zu erkennen, ob das Kind eine frische Windel braucht oder genug schläft (und genau das suggeriert P&G mit „Lumi“) – wie soll man dann in der Lage sein, dem Kind Vertrauen und Sicherheit zu vermitteln und es zu einem selbstbewussten und selbstständigen Menschen zu erziehen? Hallo, Helikoptereltern. Leute, habt ein wenig Vertrauen in euch und eure Kinder.

W-Lan fürs Baby – „Was kann schon schiefgehen?“

Unter der Pampers-Ankündigung auf Facebook kritisieren zudem viele User, dass es zumindest fahrlässig sein könnte, einen elektromagnetische Strahlung abgebenden Sensor auf einem Baby zu positionieren und werfen Pampers vor, die Sicherheit der Kinder aufs Spiel zu setzen.

“What a great idea! Let’s place a wireless device, which emits a constant stream of radiation, directly on a baby’s developing genitals 24/7. What could go wrong?!“, schreibt etwa ein User. („Was für eine tolle Idee! Lass uns ein Wireless-Gerät, das einen stetigen Strom von Strahlung abgibt, 24/7 direkt auf die sich entwickelnden Genitalien eines Babys platzieren. Was kann schon schief gehen?“)

Vom unnötigen Plastik- und Elektromüll, den die Sensoren verursachen und dem grundsätzlichen Müllproblem von Einweg-Windeln wollen wir gar nicht erst anfangen.

Fazit: Die smarten Windeln und das System drum herum verstärkt den Trend zu völlig falsch verstandener Selbstoptimierung und freiwilliger Abhängigkeit von Konzernen – wir können nur hoffen, dass es den deutschen Markt nicht so schnell erreicht.

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