Hunger bleibt ein riesiges Problem, auch wenn das Thema in der öffentlichen Debatte weniger prominent auftaucht. Ein Gespräch mit Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN über Ursachen von Hunger und von Landgrabbing sowie die unrühmliche Rolle der Finanzwirtschaft.
Herr Herre, nach Angaben der Vereinten Nationen könnten wir mit der globalen Lebensmittelproduktion schon heute zehn Milliarden Menschen versorgen. Ist das eine gute Nachricht?
Roman Herre: Ja, zunächst ist das eine positive Nachricht, die in dieser Zahl steckt. Wir haben die Möglichkeiten ohne größere Probleme zehn bis zwölf Milliarden Menschen aktuell zu ernähren, also deutlich mehr Menschen als überhaupt auf unserem Planeten leben. Trotzdem leiden heute noch deutlich über 800 Millionen Menschen an schwerem Hunger.
Warum bleibt Hunger ein so immenses Problem?
Roman Herre: Eines unserer zentralen Probleme ist, dass immer mehr unserer Agrarproduktion in den Bereichen Futtermittel und industrielle Nutzung stattfindet. Darunter fallen beispielsweise die Produktion von Bioplastik, Pressspan oder Möbelholz. Auch der Bereich Energie gewinnt in der Agrarwirtschaft an Wichtigkeit. Stichworte hierfür sind Biogas oder Biosprit. Die Anteile dieser Art der Produktion werden immer größer und stehen damit nicht für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung.
Es gibt also eine überaus starke Konkurrenz zwischen diesen Nutzungsarten und der Ernährung der Bevölkerung. Diese Konkurrenz wird in einem globalen Markt ausgetragen. Da ist es nur logisch, dass die armen und hungernden Menschen weltweit keine lukrative Zielgruppe sind, wenn über diesen, sogenannten freien Markt versucht wird Renditemaximierung zu erzielen.
Knappe Ackerflächen weltweit
Haben Sie Zahlen, die den zunehmenden Anbau von Futtermitteln und industriellen Rohstoffen auf den Ackerflächen weltweit verdeutlichen?
Roman Herre: In den vergangen 50 Jahren ist allein die Anbaufläche von Zuckerrohr, Soja, Palmöl und Raps um etwa 150 Millionen Hektar weltweit angestiegen. Das entspricht fast der Agrarfläche der Europäischen Union. Diese immense Fläche steht also nicht für die Produktion von Grundnahrungsmitteln zur Verfügung.
Die Rolle der Finanzwirtschaft ist – leider wie so oft – auch beim sogenannten Landgrabbing eine unrühmliche. Warum?
Roman Herre: Für die Finanzwelt ist das Thema Land und direkte Produktion von Agrargütern lange Zeit ein uninteressantes Gebiet gewesen. Erst mit der Finanzkrise hat sich dies geändert. Seitdem fließt immer mehr Kapital in den Bereich der direkten Produktion, seitdem kaufen Finanzinvestoren immer mehr Land. Das zeigt die rasant steigende Anzahl von spezialisierten Landfonds: Grob geschätzt stieg sie von rund zehn bis 20 auf heute 130 bis 140.
Das Investitionsvolumen der Finanzwelt in Land wächst jährlich um etwa zehn Prozent. Ein global agierender Landfonds beispielsweise, mit dem wir uns beschäftigen, kauft weltweit Ackerland auf. Er hat fünf Milliarden US-Dollar durch Anleger eingesammelt. Die Anleger sind zum größten Teil Pensionskassen – auch aus Deutschland. Dieser Fonds hat in Brasilien schon über 300.000 Hektar Land gekauft.
FIAN: Organisation für das Recht auf Nahrung
Einige große Fonds schichten ihre Mittel um und investieren zum Beispiel nicht mehr in CO2-intensive Industrien. Gibt es eine ähnliche Entwicklung im Bereich des Landkaufs?
Roman Herre: Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, was unter das Label grün oder nachhaltig fällt. In meinen Augen handelt es sich um ein extrem breit gefächertes Spektrum. Deshalb sollten wir mit diesen Schlagworten vorsichtig sein. Eine globale Untersuchung zu den UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren (UNPRI) kam zu dem Ergebnis, dass von den 1700 Unterzeichnern dieser Prinzipien im Schnitt nur ein Spezialist pro 14 Milliarden Dollar Anlagevolumen sich mit den Problematiken und Themen befasst. Bei einem solch geringen Aufwand stellt sich die Frage, in wie weit tatsächlich verantwortlich investiert werden kann. Es ist faktisch unmöglich 14 Milliarden Dollar Volumen durch einen Spezialisten kontrollieren zu lassen.
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Wie genau kann man sich die Arbeit vorstellen, die FIAN leistet?
Roman Herre: FIAN ist eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich insbesondere für das Recht auf Nahrung einsetzt. Wir arbeiten zu positiven wie negativen Auswirkungen auf dieses Recht – beispielsweise auf einer konkreten Fallebene. Das bedeutet, dass wir bei einzelnen Fällen von Rechtsverletzungen – etwa im Bereich Landgrabbing – versuchen, die betroffenen Menschen konkret zu unterstützen. Wir helfen ihnen, zu ihrem Recht zu kommen.
Wie gelingt das?
Roman Herre: Wir werden vor allem aktiv, wenn deutsche oder europäische Akteure beteiligt sind. Da haben wir einen größeren Hebel, um etwas zu verändern. Wenn etwa die Handelspolitik der Europäischen Union mit dafür verantwortlich ist, dass es zu umfangreichem Landgrabbing in Kambodscha kommt, versuchen wir den Betroffenen einen Raum zu geben und die Möglichkeit sich mit den Verantwortlichen in Europa zu treffen. Damit wirken wir darauf ein, dass die Verantwortlichen handeln und sich die Politik ändert.
Menschen zu ihrem Recht verhelfen
Können Sie ein Beispiel geben?
Roman Herre: In Sambia etwa stehen wir mit einer Gemeinde im engen Austausch, die eine Fläche von ungefähr 1000 Hektar seit Jahrzehnten bewirtschaften und die nun von einem internationalen Finanzinvestor beansprucht wird. Wir haben es geschafft, über das daran beteiligte deutsche Entwicklungsministerium den Investor dazu zu drängen der Gemeinde zuzusagen, dass sie auf dem Land bleiben können. Dies muss nun vertraglich festgehalten werden.
Ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit ist auch, dass wir versuchen die Rahmenbedingungen zu ändern. So arbeiten wir etwa auf UN-Ebene intensiv für einen Vertrag, über den transnationale Konzerne – auch Finanzinvestoren – besser reguliert werden können und endlich für Menschenrechtsverletzungen gerade stehen müssen. Natürlich gibt es bei diesem Unterfangen sehr viel Widerstand seitens der Staaten – auch seitens Deutschlands. Wir versuchen die globalen Rahmenbedingungen zu verbessern, dass Menschen, deren Menschenrechte verletzt wurden, zu ihrem Recht kommen. Die Regulierung transnationaler Konzern ist nach wie vor ein Lücke im globalen Rechtssystem.
Anmerkung des Autors: Landgrabbing (Landraub oder Landnahme) bezeichnet laut FIAN “eine Entwicklung der letzten Jahre, in der sich internationale Agrarkonzerne, Banken oder Pensionskassen und nationale Eliten Landflächen von tausenden bis über eine Millionen Hektar Land sichern. Globale Schätzungen sprechen von etwa 50 Millionen bis 220 Millionen Hektar Land. Zum Vergleich: Die gesamte EU hat etwa 180 Millionen Hektar Ackerland.”
Interview: Michael Rebmann
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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