Drei Bauernfamilien klagen mit dem Umweltverband Greenpeace gegen die Bundesregierung. Damit wollen sie erreichen, dass die deutschen Klimaziele 2020 eingehalten werden. Für die Kläger-Familien geht es ums Ganze – denn die Folgen des Klimawandels gefährden die Existenz ihrer Biohöfe.
Franziska Blohm verdeckt kurz das „A Star is born“-Filmplakat, als sie vorbeieilt. Es hängt am kleinen Programm-Kino direkt neben dem Hamburger Uni-Campus, wo die 26-Jährige Medien- und Kommunikationswissenschaft studiert. Blohm trägt einen Parker mit Kapuze und Schal, um sie herum wirbelt buntes Herbstlaub – kalt und windig ist es. Obwohl die Studentin an diesem ungemütlichen Abend noch von einem Uni-Seminar zum anderen flitzen muss, hat sie sich Zeit genommen, um über den Bio-Obsthof ihres Vaters und die an diesem Donnerstag eingereichte Klimaklage gegen die Bundesregierung zu reden. Franziska Blohm gehört mit ihrem Vater und ihrem Bruder zum Klägerkreis. „Diese Klage ist mir wichtig, denn unsere Existenz hängt von der Natur ab“, sagt sie.
Bis zum Semesteranfang hat Blohm noch auf den 21 Hektar Land ihrer Familie jeden Tag Äpfel gepflückt, diese nach Löchern und dunklen Stellen untersucht und sie dann in die Obst- oder Mostkiste sortiert. Doch nun ist die Erntesaison zu Ende, alle Äpfel sind gepflückt und die Fingernägel der jungen Frau wieder sorgfältig lackiert. Sie kann sich gut vorstellen, einmal die Nachfolge ihres Vaters anzutreten und seinen Bioland-Betrieb im Alten Land 35 Kilometer westlich von Hamburg zu übernehmen. Aber erst einmal will sie neue Erfahrungen machen und die weite Welt sehen – oder zumindest die nächstgelegene Großstadt. Aber trotzdem steht für sie fest: „Auf unserem Bio-Hof bin ich groß geworden, das bleibt immer mein Zuhause.“
Klimafolgen zeigen sich durch Schädlingsbefall, Extremwetter und Ernteausfälle
Allerdings fragt Franziska Blohm sich mittlerweile, ob es den Hof noch geben wird, wenn sie mit ihrem Studium fertig ist. Denn der Klimawandel ist in Norddeutschland angekommen. Die hiesigen Bauern beschweren sich über spürbare Folgen und monieren teils drastische Ernteverluste. Insgesamt sei laut Informationen von Greenpeace die Durchschnittstemperatur im Alten Land in den vergangenen dreißig Jahren um ein Grad gestiegen, der Schädlingsbefall beim Obst nehme zu und unberechenbare Extremwetter-Phänomene häuften sich.
„Die krassen Regenfälle im Frühjahr 2017 haben zu Staunässe auf unserem Boden geführt, also die Erde so stark aufgeweicht, dass die Bäume regelrecht abgesoffen und umgekippt sind. Im Gegensatz dazu hatten wir nach dem Hitzesommer 2018 Sonnenbrand auf den Äpfeln, also dunkle Flecken und ledrige Haut, und so kauft die uns niemand mehr ab“, sagt Franziska Blohm. Auch dass es bei jeder Ernte mehr sogenannte Apfelwickler gäbe – also Schmetterlingsraupen, die sich in das Fruchtfleisch eindrehen –, sei offensichtlich.
Und diese Schäden sind ein Eingriff in das Grundrecht der Bauern, sagt die Anwältin Roda Verheyen: „Denn nicht nur die Zerstörung, auch die Beeinträchtigung von Eigentum ist verboten.“ Sie vertritt die drei Bauernfamilien und Greenpeace vor Gericht. In ihrer Hamburger Kanzlei ist sie nur schwer zu erreichen. Es ist Donnerstag, der 25. Oktober, und Verheyen ist im Stress. Denn an diesem Nachmittag soll die Klimaklage beim Berliner Verwaltungsgericht eingereicht werden. „Ich habe nur kurz Zeit, weil gleich meinen nächsten Termin“, ist ihr erster Satz am Telefon, den sie vor Eile halb verschluckt.
Die Anwältin ist auf Umweltrecht spezialisiert und kennt sich bei Klimaklagen aus. Und die liegen derzeit im Trend. Von den 1160 klimabezogenen Klagen, die weltweit laufen, verlangen 77 von Regierungen ehrgeizigeren Klimaschutz. Unter anderem läuft seit Mai dieses Jahres ein von Verheyen angestrengtes Verfahren gegen die Klimapolitik der Europäischen Union, zusammen mit zwei anderen Anwälten vertritt sie Kläger aus verschiedenen Ländern. Allerdings ist die Motivationslage hier eine andere. Denn Verheyen und ihre Mitstreiter werfen der EU vor, dass deren Klimaziele unzureichend seien. Bei der neuen Klage geht es darum, die deutsche Bundesregierung an deren eigene Klimaziele 2020 zu erinnern. Denen zufolge sollen die gesamten deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens vierzig Prozent reduziert werden. „Ihr versprecht uns das seit elf Jahren, jetzt macht es endlich“, fasst die Umweltanwältin die Forderung zusammen.
Kläger werfen Bundesregierung Verstöße gegen Grundrechte und europäisches Umweltrecht vor
Neben der Verletzung der Grundrechte verstoße die Bundesregierung somit auch gegen europäisches Umweltrecht. „Mit dem Verfehlen des Klimaziels 2020 verletzt die Bundesregierung ihre Pflicht, die Menschen im Land vor den Auswirkungen der Erderhitzung zu schützen“, sagt Anike Peters, Klimaexpertin von Greenpeace. Die Umweltorganisation wirft der Bundesregierung vor, die Maßnahmen zur Erreichung dieses Klimaziels eingestellt zu haben. Das gehe aus dem Klimaschutzplan von Juni 2018 hervor.
Auch schon im Frühjahr dieses Jahres war Schwarz-Rot zurückgerudert. „Wir […] werden Ergänzungen vornehmen, um die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020 so schnell wie möglich zu schließen. Das Minderungsziel 2030 wollen wir auf jeden Fall erreichen“, heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag. Diese umständliche Formulierung käme einer Absage an die Klimaziele 2020 gleich, so Anwältin Verheyen.
Außer den Blohms und der Umweltorganisation sind bei der aktuellen Klimaklage die Besitzer eines Bio-Hofs auf der Nordseeinsel Pellworm und Bio-Landwirte aus dem Spreewald in Brandenburg mit im Boot. Ähnlich wie Franziska Blohm und ihre Familie beklagen die Bauern Ernteeinbußen durch Wetterextreme wie Starkregen und Sturmfluten, aber auch durch Hitzewellen und Dürren. Bei der Frage, ob diese Verluste sich eindeutig auf den Klimawandel zurückführen lassen, ist sich Roda Verheyen sicher: „Das ist wissenschaftlich belegt und mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Ich glaube nicht, dass wir uns darüber mit der Bundesregierung streiten werden.“
Klimaziel 2020 – rechtlich bindend oder nicht?
Der Knackpunkt liegt laut Verheyen woanders: „Entscheidend ist genau die Frage, ob das Klimaziel verbindlich ist.“ Denn nicht jede politische Zielsetzung der Bundesregierung sei automatisch rechtlich bindend. „Sonst könnte die Bundesregierung für jede Aussage, die die Bundeskanzlerin jemals getroffen hat, verklagt werden“, so Roda Verheyen. Allerdings sei das Klimaziel schon seit 2007 Bestandteil der politischen Debatte und auf dessen Grundlage habe die Bundesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen und Gesetze erlassen. Dadurch sehen Verheyen und die Kläger es als bestätigt, dass das Klimaziel zu einem verbindlichen Rechtsakt geworden ist. Und ein solcher ist einklagbar. Allerdings kann die Verhandlung dauern. „Vor einem Jahr rechne ich nicht mit einem Urteil“, sagt Roda Verheyen.
Franziska Blohm zeigt sich erleichtert, dass der Stress, der mit dem Einreichen der Klage verbunden war, nun vorbei ist. „Die ganzen Unterlagen und Auskünfte, die wir einreichen mussten und die ganzen Abstimmungsprozesse – das hat ganz schön an den Nerven gezerrt“, sagt sie, betont aber direkt im Anschluss, wie motivierend es war, sich mit anderen Betroffenen zu treffen, auszutauschen und gemeinsam etwas zu tun. „Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung unsere Klage ernst nehmen wird und dann endlich durchzieht, was sie versprochen hat – nämlich die Klimaziele 2020 einzuhalten“, sagt Blohm.
Nun freut sie sich aber erst einmal auf mehr Zeit für Uni und Privatleben. Aber auch in der Stadt wirkt das Aufwachsen auf einem Bio-Hof nach. Mit ihren Mitbewohnerinnen kauft die Studentin Obst und Gemüse immer beim Bio-Laden um die Ecke ein – nur Äpfel nicht. „Die bringe ich natürlich von unserem Hof mit. Aber man kann ja leider nicht nur von Äpfeln leben“, sagt Blohm. Dann muss sie los, denn ihr Film-Seminar fängt gleich an. Und so verschwindet die junge Frau im trüben Licht dieses Herbstabends – zurück ins Großstadtleben.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Nora Kusche
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