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Coronavirus: Seht endlich ein, dass es nicht um euch geht

Coronavirus: Es geht nicht um euch
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – Alexander Popov

Keine Schule, keine Reisen, keine Veranstaltungen und wer weiß, was noch kommt: Das neuartige Coronavirus legt Deutschland lahm und zwingt uns zum Verzicht. Die Mehrheit der Menschen scheint das zu akzeptieren. Diejenigen, die immer noch über die Einschränkungen schimpfen, sollten jetzt endlich einsehen: Es geht nicht um euch.

Die Mehrheit der Utopia-Leser*innen und übrigens auch Mitarbeiter*innen sind, grob vereinfacht, unter 50. Also nicht unbedingt die Coronavirus-Risikogruppe. Wenn ihr – wie ich – zu dieser Mehrheit zählt und keine Vorerkrankungen habt: Herzlichen Glückwunsch. Ihr werdet mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht an Covid-19 sterben und womöglich nicht einmal Symptome spüren. Aber. Es geht jetzt nicht um euch.

Wir müssen über uns hinaus denken

Der normale Reflex als Deutsche*r oder vielleicht auch einfach als Mensch in Krisenfällen scheint zu sein, dass man sich fragt: Betrifft mich das? In den meisten Fällen wird die Antwort „Nein“ lauten, und dann tendieren wir dazu, weder die Krise noch die Maßnahmen zur Eindämmung allzu ernst zu nehmen. Zum vielleicht ersten Mal müssen wir jetzt in einer Krise wirklich über uns und unser unmittelbares Umfeld hinaus denken.

In Sardinien bleiben die Menschen ihr Leben lang in der Familie.
Selbst, wenn in eurer Familie niemand zur Risikogruppe gehört: Denkt an Nachbar*innen, Bekannte und auch Fremde. (Foto: CC0 / Pixabay / sabinevanerp)

Denn selbst wenn ihr – was höchst unwahrscheinlich ist – wirklich gar niemanden kennen solltet, der über 50 ist, Vorerkrankungen wie Asthma, Diabetes, Krebs oder Herzprobleme hat: Es gibt diese Menschen und ihr seid jetzt mit verantwortlich dafür, dass sie überleben.

Mindestens so wichtig wie Händewaschen und generelle Hygieneregeln einzuhalten, ist jetzt: Abstand halten, soziale Kontakte meiden und auch kleineren Veranstaltungen fernbleiben.

Das bedeutet: Ja, ihr müsst euer Leben jetzt verdammt nochmal einschränken. So weh es auch tut. Wir sind jetzt moralisch verpflichtet, wo immer möglich direkte Kontakte zu reduzieren, Menschenansammlungen zu meiden, Reisen zu verschieben, Pläne umzuwerfen.

Niemand will euch was wegnehmen

Erst vor wenigen Tagen las ich in einer WhatsApp-Gruppe zur Organisation – oder eben Absage – eines Treffens mit Freund*innen aus allen Ecken Deutschlands: „Ich möchte jetzt aber nicht komplett auf mein Sozialleben verzichten, nur um einer möglichen Ansteckung zu entgehen.“ Ein Freund, Freiberufler, der kommende Woche einen Auftrag in der Schweiz hat, sagte, er würde schon trotz der Grenzschließungen einen Weg finden, um in die Schweiz und wieder raus zu kommen. Eine andere Freundin meinte, es würde schon reichen, wenn ein schwer asthmakranker Verwandter jetzt selber „auf sich aufpasst“.

Wenn ihr im Moment nicht unbedingt öffentliche Verkehrsmittel nutzen müsst: Lasst es sein. (Foto: CC0 Public Domain / Unsplash)

Leute, nochmal: Es geht nicht um euch. Löst euch von der Empörungs-Mentalität à la „Die wollen mir was wegnehmen“. Niemand will uns etwas wegnehmen. Die Maßnahmen, mit denen Deutschland im Moment das öffentliche Leben einschränkt, richten sich nicht gegen uns. Die, die diese Maßnahmen festlegen, sind keine Menschen, gegen die man sich wehren muss. „Die“ sind nicht schuld daran, dass wir Treffen und Jobs und Urlaube canceln müssen. „Die“ sind auch nicht schuld daran, wenn wir uns jetzt um unser Einkommen sorgen, weil wir unbezahlten Urlaub nehmen um Kinder zuhause zu betreuen, so bitter das ist.

„Die“ versuchen lediglich mit – wissenschaftlich betrachtet – vernünftigen Maßnahmen, schwächere Menschen als euch zu schützen, indem die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus verlangsamt wird.

Ihr seid für das Überleben anderer Menschen mitverantworlich

Es geht nicht um euch. Angesichts der Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit, dass rund eine Millionen Deutsche aufgrund des Coronavirus intensive medizinische Betreuung brauchen werden, ist es essenziell, dass wir die Ausbreitung jetzt verlangsamen. Denn eine Million Patient*innen, die Beatmungsgeräte und sonstige aufwendige Behandlung brauchen, kann unser Gesundheitssystem nicht auf einmal bewältigen. Und Patient*innen, die wegen etwas anderem als dem Coronavirus behandelt werden müssen, sind da noch nicht einmal mit eingerechnet.

Es geht nicht um euch. Es geht um die Menschen, die dringend medizinische Behandlung brauchen werden und diese schlimmstenfalls aufgrund überfüllter Kliniken nicht bekommen können. Menschen, die sterben werden, weil nicht genügend Beatmungsgeräte, Betten, Medikamente und Personal da sind. Das ist keine Fiktion, das passiert in Italien bereits. Es geht um Menschen, die eine Chance haben zu überleben, wenn wir es als Gesellschaft schaffen, die Kurve der Neuinfektionen abzuflachen.

Die Washington Post zeigt in einer beeindruckenden Simulation, welche Effekte das Verhalten der Menschen auf die Ausbreitung des Virus hat. Auch wenn die Simulationen, wie der Autor selbst sagt, die reale Situation „erheblich vereinfacht“, geben sie den deutlichen Hinweis: Je mehr Menschen sich an die „social distancing“-Maßnahmen halten, desto langsamer verbreitet sich das Virus.

Also nochmal: Es geht nicht um euch. Es geht nicht um euer Sozialleben, eure Hobbies, eure Arbeit, nicht einmal um eure finanzielle Existenz, so hart das sein mag. Es geht um das Überleben anderer Menschen – und letztlich darum, in was für einer Gesellschaft wir leben möchten. Das klingt jetzt sehr altmodisch, aber: Möchten wir in einer Gesellschaft leben, in der jede*r nur an sich selbst und die unmittelbare Umgebung denkt oder doch lieber in einer, in der wir aufeinander Rücksicht nehmen?

Hinweis: Dieser Artikel entstand im März 2020, wenige Tage nach Einführung der ersten Corona-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens und zu einem Zeitpunkt, zu dem noch weniger zu dem Virus bekannt war als heute. Einige wissenschaftliche Vorhersagen sind eingetroffen, andere nicht. Wir haben uns trotzdem entschieden, den Beitrag unverändert zu lassen, weil er die Lage der ersten Pandemie-Wochen wiederspiegelt und die Kernaussage der Autorin unverändert Relevanz hat.

English version available: Fighting Coronavirus: This isn’t About You

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