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Heute im TV: Eine der besten Dokus über Fleisch – hier haben Schlachter:innen das Wort

Wir und das Tier
Foto: Bernd Weißbrod/dpa // Tiberius Film GmbH

In der Doku „Wir und das Tier“, die am 11. März um 23:35 Uhr im Ersten läuft und alternativ über die ARD-Mediathek abrufbar ist, reden Fachkräfte aus der Fleischproduktion über das Töten von Tieren. Es zeigt sich: Auch Metzger:innen haben ein Gewissen. Eine Filmkritik.

Inhaltswarnung: Dieser Artikel enthält ein Bild eines Schweinekadavers. Außerdem werden Gewalt an Tieren und deren Tötung beschrieben.

Wie fühlt es sich an, ein Tier zu schlachten? Niemand weiß das besser, als diejenigen, die selbst Messer an Schweinehälse legen und Stahlbolzen in Rinderköpfe schießen. In der Debatte rund um Veganismus und Fleischkonsum sind Metzger:innen trotzdem wenig präsent. Warum auch? Wer sich für diesen Beruf entscheidet, wird ohnehin nur eine sehr einseitige Argumentation für den Fleischverzehr liefern, könnte man meinen. Die Dokumentation „Wir und das Tier“, die ab dem 2. November 2023 in ausgewählten Kinos startet, stellt dieses Vorurteil infrage.

Der Film von Grimme-Preisträger David Spaeth („Betrug – Aufstieg und Fall eines Hochstaplers“) ist eine besondere Fleisch-Doku. Es kommen darin fast ausschließlich Menschen zu Wort, die Tiere schlachten oder es lernen wollen. Pure Begeisterung für das Handwerk ist dabei bei kaum jemandem zu spüren. Stattdessen dominieren Gewissensfragen, Traurigkeit und stilles Entsetzen.

„Du kannst doch Brutus jetzt nicht schlachten“

„Wir und das Tier“ richtet den Blick auf unterschiedliche Fleischereibetriebe und Persönlichkeiten. Als Protagonistin dient unter anderem die in Italien arbeitende Schlachterin Elisabeth (Nachnamen werden im Film nicht genannt). Ihr erstes Schwein hat sie Brutus genannt, er sei ihr gefolgt wie ein Hund. Die Familie meinte: „Du kannst doch Brutus jetzt nicht schlachten.“ Schließlich habe er einen Namen und eine Persönlichkeit. Als es ihn dann aber zum Essen gab, seien alle glücklich gewesen, ein Stück von Brutus zu haben. Eine Anekdote, die das verstörend-zwiespältige Verhältnis von Mensch und Tier perfekt veranschaulicht.

Elisabeth ist sich der moralischen Einwände gegenüber ihrem Beruf bewusst. Sie selbst ringt im Interview mit ihren Emotionen: „Ich frage mich, ob es für mich noch okay ist zu schlachten“. Bisher beruhige sie ihr Gewissen damit, dass eine breite Mehrheit Fleisch essen möchte und es daher irgendwie produziert werden müsse. Aber irgendwann könne sich das ändern. „Das wird nochmal neu definiert werden in den nächsten Jahren“, meint Elisabeth.

Wir und das Tier
Elisabeth bei einer Hofschlachtung (Foto: BR/SWR/Aljoscha Haupt/EIKON Media 2023)

Es ist eine große Stärke von „Wir und das Tier“, dass Regisseur David Späth seinen Protagonist:innen viel Raum für die Formulierung ihrer eigenen Gedanken gibt. Es gibt keine Erzählstimme aus dem Off, die eine klare Haltung vorgibt, keine emotional manipulativen Montagen, keine übertrieben dramatische Musik.

Fast jedes Wort im Film stammt aus dem Mund einer Person, die mit Fleischproduktion ihr Geld verdient. Klare Antworten auf moralische Fragen liefert der Film nicht. Das bleibt den Zuschauer:innen überlassen, die in den langen und stillen Übergängen zwischen den einzelnen Interviewabschnitten genug Zeit bekommen, das Gesagte zu reflektieren.

Wobei gerade die wort- und emotionslosen Momente des Films angesichts der Brutalität in den Schlachthöfen oft besonders intensiv wirken – von der Decke hängende Tierkadaver, die von Station zu Station weiter zerstückelt werden, benötigen schlichtweg keinen Kommentar.

Entmenschlichung in der Fleischindustrie

Im größten Rinderschlachthof Europas sind solche Bilder nüchterner Alltag. So auch bei Ionel (siehe Titelbild), der das Bolzenschussgerät bedient. „An geschäftigen Tagen kann es schon mal sein, dass er „500, 600, 700 oder 1.000 Tiere am Tag“ töte. Auch wenn sein steinerner Gesichtsausdruck keine Emotionen andeutet, so lässt ihn die Arbeit nicht kalt. „Manchmal schließe ich immer noch die Augen, wenn ich ein Tier erschieße“, sagt Ionel. Rinder könne er außerdem keine mehr essen, seit er bei seiner Arbeit deren Blut gesehen habe.

Metzgermeister Jürgen arbeitet in einem Biolandwirtschaftsbetrieb und kritisiert die industrielle Massenproduktion. Viele würden am liebsten mit dem Töten gar nichts mehr zu tun haben und es verdrängen wollen. „Es wäre am schönsten, wenn das ein Roboter machen würde. Du machst einfach die Tür zu und vorne kommen dann die toten Tiere raus“, kommentiert Jürgen ironisch.

Dass dieser Scherz eines Tages jedoch Wirklichkeit werden könnte, zeigt ein Team der University of Life Sciences in Norwegen. KI-Forscher Ian präsentiert den sogenannten RoBUTCHER, einen Schlachtroboter, der irgendwann in der Lage sein soll, einen großen Teil der Fleischverarbeitung zu übernehmen. Marktreif ist das Ganze noch nicht. In der Doku feiern die Forschenden einen frühen Erfolg, als der RoBUTCHER einem Schweinekadaver präzise eine Haxe abtrennt.

Wir und das Tier
Der Schlachtroboter „RoBUTCHER“ im Einsatz (Foto: BR/SWR/Sebastian Bäumler/EIKON Media 2023)

Die Grausamkeit des Schlachtens

Verdrängen, wo ihr Fleisch herkommt, wollen Katrin und Katrin nicht. Die gleichnamigen Lehrerinnen besuchen in der Doku freiwillig einen Schlachtkurs. Auch wenn sie dabei selbst keine Tiere töten müssen, so sehen sie mit an, wie der Metzger ein Schwein nach dem anderen mit Elektroschocks betäubt und ihnen die Kehle aufschlitzt.

Als nur noch ein Schwein übrig ist, kommt es zu einem der stärksten Momente des Films. Während der Boden des Raumes fast vollständig in Blut getränkt ist, treffen sich die Blicke zwischen einer der beiden Frauen und dem Schwein. Das Tier steht einfach nur da und sieht sie an. Es hat keine Panik, scheint gar nicht zu wissen, was gerade mit seinen Artgenossen geschehen ist und dass es selbst nur noch wenige Minuten zu leben hat. Katrin kommen die Tränen, sie wirkt verstört, entsetzt und traurig. Beim späteren Essen mit dem Metzger und ihrer Freundin hat sie keinen Appetit mehr auf Wurst.

Wir und das Tier
Katrin und das letzte verbliebene Schwein schauen sich an. (Foto: BR/SWR/Sebastian Bäumler/EIKON Media 2023)

Eine Veganismus-Doku, die keine ist

„Wir und das Tier“ ist eigentlich keine Veganismus-Doku. Schließlich erhebt sie zu keinem Zeitpunkt den Zeigefinger, sondern es sind die potenziellen Angeklagten selbst, die hier das Sagen haben. Dass selbst deren Urteil die moralische Richtigkeit von Fleischkonsum infrage stellt, macht die Doku umso wirkungsvoller. Wer die teils verstörenden und blutigen Bilder verträgt, bekommt mit „Wir und das Tier“ ein bereicherndes Doku-Highlight, das trotz der Abwesenheit von Veganer:innen und Vegetarier:innen zum Fleischverzicht anregt.

Wann und wo läuft „Wir und das Tier“?

„Wir und das Tier“ läuft am 11. März 2024 um 23:35 Uhr im Ersten und schon jetzt in der ARD Mediathek. Am 4. April 2024 erscheint die Dokumentation auf DVD. Online ist sie bereits vorbestellbar, zum Beispiel bei Thalia, Mediamarkt oder Amazon.

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