Die 23-jährige Klimaaktivistin Luisa Neubauer geriet bei Markus Lanz in Bedrängnis. Der ZDF-Moderator wollte eine klare Antwort zu einer kontroversen Stelle in ihrem neuen Buch hören – und die Diskussion erreichte einen hitzigen Höhepunkt.
Am Dienstagabend hatte Markus Lanz in seiner ZDF-Talkrunde Luisa Neubauer zu Gast. Die 23-jährige Klimaaktivistin ist das Gesicht der deutschen „Fridays for Future“-Bewegung. Anlass ihrer Einladung und Hauptthema des Gesprächs mit ihr: das Buch „Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft“, das Neubauer zusammen mit dem Politökonomen Alexander Repenning geschrieben hat.
Im Kern sei dieses Buch eine gute Sache, meinte Lanz im Verlauf der Sendung. An einer Textstelle hatte der Moderator allerdings so stark Anstoß genommen, dass er immer und immer weiter nachbohrte – bis Neubauer davon sichtlich genervt war.
„Und dann steht da ein Satz, der mich ein bisschen verstört hat“
„Sie sagen, wir müssen da radikaler denken, wir müssen da radikaler ran“, begann Lanz. „Sie sagen, wir müssen uns auch Demografie angucken: Das ist eine der Ursachen für Klimawandel. Und dann steht da ein Satz, der mich ein bisschen verstört hat, muss ich ehrlich sagen: Das CO2-Intensivste ist ja sozusagen, ein Kind in die Welt zu setzen. Nichts verbraucht mehr CO2 als die Geburt eines Kindes. Was folgt denn für Sie daraus?“
Die Klimaaktivistin antwortete zunächst: „Naja, dass der menschengemachte Klimawandel nun mal von Menschen gemacht sind, und dass der Mensch da irgendwie im Kern des Problems ist, das ist ja keine außergewöhnliche Feststellung.“ Sie hätten sich im Buch auch mit demografischen Fragen beschäftigt, eben weil das zentral sei. „Wie schaffen wir es, 10 Milliarden Menschen zu ernähren, auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen? Wie schaffen wir es, Gesellschaft nachhaltig zu gestalten?“
„Ist es noch verantwortungsbewusst, junge Menschen in diese Welt hineinzusetzen?“
Lanz gab sich mit dieser Antwort noch nicht zufrieden und hakte nach: „Ich finde, wir müssen da präzise sein, Sie relativieren das jetzt ein bisschen. Sie stellen da in Ihrem Buch folgende Frage: Ist das Kinderkriegen unseren Mitmenschen gegenüber verantwortungsvoll, da statistisch gesehen nichts einen größeren CO2-Fußabdruck hinterlässt als ein Kind?“
Neubauer erklärte daraufhin, dass Sie von ganz vielen jungen Frauen in Deutschland darauf angesprochen werde: „Die kommen zu mir und sagen: ‚Luisa, ist es noch verantwortungsbewusst, ein Kind in die Welt zu setzen?‘“ Dabei ginge es nicht nur um die vielen Menschen und deren Emissionen. „Die zentrale Frage, die sich reell für junge Frauen stellt, ist: Ist es noch verantwortungsbewusst, junge Menschen in diese Welt hineinzusetzen, die ihr ganzes Leben lang mit dieser Krise zu kämpfen haben werden? Und ich weiß es nicht…“
Lanz unterbrach sie und wollte wissen, was Sie denen dann sagen würde. Neubauer sprach von Zuversicht und davon, „dass wir gerade wissenschaftlich an einem Scheideweg“ seien – mit vielen Möglichkeiten, Zukunft zu gestalten. „Und das heißt, an dieser Stelle ermutige ich die Frauen, mit uns für diese Veränderung zu kämpfen und diese Zukünfte so zu gestalten, dass wir irgendwann an einem Punkt sind, wo wir sagen können: Ja, wir haben die Krise unter Kontrolle, wir betreiben Krisen-Management.“
Neubauer: „Sorry, so einfach ist es nicht“
Lanz insistierte weiter: „Nochmal, das ist nicht die Antwort auf die Frage.“ Spätestens an dieser Stelle war Neubauer anzumerken, dass sie wenig begeistert war. „Wenn Sie jetzt von mir hören wollen, dass Leute keine Kinder mehr bekommen sollen im globalen Norden: Sorry, so einfach ist es nicht.“ Die Frage sei nicht die Anzahl von Menschen auf der Welt, sondern vielmehr, wie diese Menschen leben.
Es gebe im Buch aber „immer wieder diese sehr irritierenden, für mich auch verstörenden Einwürfe, wenn dann zum Beispiel Kinder mit CO2 verrechnet werden“, so Lanz. „Es tut mir leid, ich frage mich immer: Was ist das für ein Menschenbild, was da dahintersteckt? Wo ist dieser Optimismus, der uns als Menschheit auch immer weitergebracht hat?“ Der Moderator stellte in Frage, ob eine solch „radikale“ Beschreibung der Dinge hilfreich sei und uns weiterbringe. Dabei zog er Parallelen zwischen dem „ideologischen Unterbau“ von Fridays for Future und der „Sprache und Art und Weise, wie beispielsweise die AfD agiert“. Und er implizierte, Neubauer könnte zu einer „Verhärtung“ der Dinge beitragen, die letztlich auch die Gewaltbereitschaft mancher Klimaaktivisten befördern könnte – davon distanzierte sich Neubauer.
Ihr zynischer Tweet nach der Sendung: „Aufzeichnung war eine Party“
Neubauer betonte, sie setze sich immer für friedlichen, gewaltfreien Protest ein und natürlich würden sie sich „Gedanken um Grenzen“ machen. Aber die Aktivistin war sichtlich irritiert, in die radikale Ecke gedrängt zu werden und zeigte kein Verständnis für Lanz‘ Dreiecksverbindung „Buchaussage: Zusätzliche Kinder verursachen CO2“ / „Verhärtung der Fronten“ / „Gewalttätige Ausschreitungen“.
Der Moderator und die Klimaaktivistin fanden an diesem Punkt eindeutig nicht zusammen. Neubauer twitterte im Anschluss zynisch: „Nach der Sendung heute kann man Herrn #Lanz immerhin nicht mehr vorwerfen ,er würde nicht kritisch genug gegenüber Klimaaktivistinnen sein. Fair enough✌️ Aufzeichnung war eine Party.“
Lanz ging es in der Debatte vor allem um Sprache
Utopia meint: Wir versuchen an dieser Stelle zu vermitteln. Lanz ging es in dieser Debatte vor allem um Sprache. Wie in der Sendung ebenfalls klar wurde, störte er sich auch an Greta Thunbergs „radikaler“ Rhetorik in ihrer Rede beim UN-Klimagipfel sowie an Neubauers „verächtlicher“ Schilderung ihres Treffens mit Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) – sie hatte beschrieben, wie dieser in ihrem Beisein ein Rührei verzehrte.
Neubauer ging es vor allem um Inhalte. Ihr „Sorry, so einfach ist es nicht“ und die Tatsache, dass sie die Frage nach dem Kinderkriegen angesichts der Klimakrise nicht klar beantworten wollte, muss dabei nicht heißen, dass sie ihre Aussagen im Buch relativierte. Es kann auch heißen, dass Lanz der Stelle in ihrem Buch zu viel Bedeutung beimaß. Im Gegensatz zu Verena Brunschweiger, die mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos – ein Manifest“ vehement die These vertrat, es sei richtig, dem Klima zuliebe auf Kinder zu verzichten, formuliert Neubauer das Thema als Frage – und zwar eine, auf die es keine leichte und eindeutige Antwort gibt.
Kinder nach ihrem CO2-Abdruck zu bewerten, ist ethisch schwierig
Nach Neubauers Aussagen in der Sendung könnte man ihre eigene Position vielleicht mit der von Kindern und Jugendlichen in Kanada vergleichen, die kürzlich einen Gebärstreik für das Klima ausgerufen hatten – aber auf Zeit, und gekoppelt an die Hoffnung, dass die Regierung endlich die nötigen Schritte unternimmt, um ihren potenziellen Kindern eine Zukunft zu sichern. Auch Neubauer gibt sich hoffnungsvoll, dass wir die Klimakrise lösen können und damit eine Welt schaffen, in der Kinder nicht mehr mit dieser existenziellen Bedrohung aufwachsen müssen.
Doch egal, wie vorsichtig man es formuliert: Dass man Kinder nach ihrem CO2-Abdruck bewertet und als einen weiteren Faktor sieht, der den Klimawandel befeuert, ist ethisch schwierig, selbst wenn die Statistik recht haben mag – und eine solche Aussage dürfte nicht nur Markus Lanz, sondern auch viele andere Menschen irritieren.
Wir von Utopia schrieben selbst einmal: „Wenn wir das tun, wenn wir Menschen mit Flugreisen und mit Autos vergleichen, wenn wir sie zu einer Sache erklären, die unseren Planeten gefährdet, weil sie atmet und Ressourcen verbraucht, dann befinden wir uns einem Punkt, an dem Umweltbewusstsein in Menschenfeindlichkeit umschlägt.“ Zum Schluss noch ein Denkanstoß aus dem Buch „Wir sind das Klima!“ von Jonathan Safran Foer: „(…) Es ist gar nicht der Planet, den wir retten wollen. Wir wollen das Leben auf dem Planeten retten – die Pflanzen, die Tiere und den Menschen.“
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