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Nestlé-Video: Lanz nimmt Ausreden von Klöckner auseinander

Julia Klöckner bei Markus Lanz
Foto: Screenshot ZDF

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) versuchte bei Markus Lanz, ihre „Reduktionsstrategie“ für Zucker und Co. zu verteidigen – und Lanz konfrontierte die Politikerin mit ihrem Video, das sie mit dem Nestlé-Deutschland-Chef gedreht hatte.

Im Juni hatte Julia Klöckner mit einem Video bei Twitter für Irritation gesorgt, in dem sie dem Deutschland-Chef von Nestlé eine Plattform bot. Der gefilmte Auftritt mit Marc-Aurel Boersch, das sie damals nach eigener Aussage „im Überschwang der Freude gepostet“ hatte, war vielfach kritisiert und als Werbevideo für den Konzern bezeichnet worden (wir berichteten).

Jetzt, etwa ein halbes Jahr später, bekam Klöckner den Clip in der Sendung von Markus Lanz am Dienstagabend wieder aufgetischt. „Die Frage ist: Warum haben Sie dieses Video gemacht?“, wollte der ZDF-Moderator in seiner Talkrunde wissen.

„Da steht die Landwirtschaftsministerin und ist die PR-Frau von Nestlé“

Darauf antwortete die Bundesministerin für Ernährung zunächst nicht direkt. Sie habe vor, dass wir in Fertignahrungsmitteln weniger Salz, weniger Zucker und auch weniger Fett vorfinden. Das gehe nur mit der Industrie und mit „ganz konkreten Produkten“. Im Übrigen habe sie auch mit diversen Verbänden schon ähnliche Videos gedreht.

Lanz bohrte nach: „Mir geht’s um die Form – weil das ist es ja, woran sich die Kritik so entzündet hat. Also: Der Vorwurf war, da steht die Landwirtschaftsministerin, die auch zuständig ist für uns alle als Verbraucher, als Menschen, die das essen, was die Landwirtschaft herstellt, und ist sozusagen die PR-Frau von Nestlé.“

Hier noch einmal der Tweet mit Klöckners Video:

„Aber 5 Prozent, Frau Klöckner!“, entfuhr es Lanz

Das sah Klöckner allerdings nicht so – und interpretierte das Geschehen zu ihren Gunsten: „Ich muss Ihnen sagen, ich glaube, seine Leute sind ein bisschen ins Koma gefallen danach…“ Denn Boersch hätte im Video eine klare Zusage gemacht, dass seine Firma Zucker, Salz und Fett „massiv“ reduzieren werde.

Wir erinnern uns: Der Nestlé-Chef hatte im Video behauptet, circa zehn Prozent dieser Inhalte seien in den letzten Jahren reduziert worden – eine Aussage, die die Verbraucherzentrale Hamburg nach einer stichprobenartigen Untersuchung von Nestlé-Produkten nicht bestätigen konnte. Darüber hinaus hatte Boersch versprochen, dass in Zukunft „sicherlich nochmal fünf Prozent dazukommen“. Keine besonders ambitionierte Zahl.

Auch Lanz zeigte sich daher verblüfft über Klöckners Triumphgefühl: „Massiv? Er hat gesagt 5 Prozent.“ Das sei nur der erste Schritt bis 2023 und das gehe weiter, verteidigte sich die Landwirtschaftsministerin. „Aber 5 Prozent, Frau Klöckner!“, entfuhr es Lanz ein weiteres Mal.

Salz oder Zucker kann man laut Klöckner nicht schlagartig reduzieren

Daraufhin äußerte die Politikerin den Wunsch, „mal in die Fachlichkeit einzusteigen“. Salz oder Zucker könne man nicht schlagartig, sondern nur sukzessive reduzieren, weil sonst der Geschmack der Verbraucher nicht mitgehe – das hätten Beispiele in Skandinavien gezeigt.

Klöckner pries ihre „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie“, die „Schritte in einem Gesamtkonzept“ unternehme und nannte im Verlauf der Sendung mehrere Einzelbeispiele: Frühstückscerealien für Kinder sollen 20 Prozent weniger Zucker enthalten, Gelbwurst könne dank Innovation und Forschung inzwischen um 40 Prozent fettreduziert werden.

„Warum machen Sie es nicht verbindlich? Warum sagen Sie nicht: Wir machen ein Gesetz.“

Das Konzept sei jetzt so weit, dass es andere Mitgliedsstaaten aus Europa übernehmen wollten – und sie finde, das sei ein Erfolg. „Wenn wir Erfolge zeigen können, dann kann man das auch so machen, dass andere – ich sag’s jetzt mal positiv – auch unter Druck gesetzt werden mitzumachen“, schlug Klöckner wieder den Bogen zum Nestlé-Video.

Julia Klöckner bei Markus Lanz
Julia Klöckner bei Markus Lanz (Foto: Screenshot ZDF)

Doch der Moderator war mit ihren Erklärungen noch nicht zufrieden: „Wissen Sie, was meine große Frage ist in dem Zusammenhang? Die stell ich mir seit Monaten. Wieso sagen Sie ihm das nicht einfach an, was zu machen ist? Warum machen Sie es nicht verbindlich? Warum sagen Sie nicht: Wir machen ein Gesetz. Und in diesem Gesetz steh drin: Ihr reduziert jetzt Zucker, und zwar um so und so viel Prozent? Und wenn ihr das nicht macht, dann gibt es eine Zuckersteuer wie in England beispielsweise.“

Klöckners Konter: „Bei uns funktioniert’s.“

Klöckner packte ihre Standardantwort aus: „Wir machen ja nicht die Rezepte, wir sind jetzt mit der Reduktionsstrategie schneller als es je ein Gesetz wäre.“ Und von Lanz, der ihre Argumentation nicht verstand und nochmals nachhakte, wollte sie wissen, was genau er festschreiben wolle. „Ich würde es machen wie in England. Ich würde klipp und klar festschreiben, um wie viel Prozent Zucker im Laufe der nächsten Jahre die Unternehmen zum Beispiel bei Süßigkeiten runtergehen sollen – auch Salz“, erklärte dieser und erntete Applaus.

Es gehe ihm um einen politischen Ordnungsrahmen. Die Pharmaindustrie habe man zum Beispiel über Jahrzehnte hinweg versucht „auf freiwilliger Basis zu irgendwelchen Dingen zubewegen, und es hat nichts funktioniert.“ Klöckners Konter: „Bei uns funktioniert’s.“ Ende des Jahres fände eine Evaluation statt. Unternehmen seien Selbstverpflichtungen eingegangen, sie selbst habe eine Verordnung vorgelegt, um Zucker und andere Süßungsmittel in Babytees zu verbieten.

Lanz: „Sie können ja das eine tun, ohne das andere zu lassen!“

„Aber was für Babys gut ist, kann doch auch für Jugendliche und Erwachsene nicht schlecht sein, das ist mein Punkt“, betonte Lanz. Er sprach von einem „echten Problem“: 61 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen seien übergewichtig. „Und darum die Frage: Warum können Sie Kraft Ihres Amtes und mit der ganzen Power, die Sie haben, nicht hingehen und sagen: So, und jetzt sag ich euch das an? Ihr habt das jahrzehntelang gemacht, wie ihr es wolltet. Wir haben gebettelt, und jetzt sagen wir es euch an – verbindlich.“

Klöckner ließ nicht von ihrer Überzeugung ab: Ihr Gesamtkonzept „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie“ sei viel umfassender als ein Gesetz, mit dem sie es sich jetzt ganz einfach machen könnte. Lanz‘ Einwurf „Sie können ja das eine tun, ohne das andere zu lassen!“ hatte die Landwirtschaftsministerin allerdings nichts entgegenzusetzen.

Für entschlossenes Handeln ist Julia Klöckner nicht bekannt

Utopia meint: Weder bei der Verteidigung des umstrittenen Nestlé-Videos noch bei der Rechtfertigung ihrer Strategie, mit der sie Zucker, Salz und Fett in Fertiglebensmitteln reduzieren will, machte Klöckner eine gute Figur. Stattdessen sprach sie immer wieder ausführlich von konkreten Teilerfolgen – die müssten aber keineswegs dazu im Widerspruch stehen, mit einem Gesetz noch entschlossener gegen ungesunde Nahrungsmittel vorzugehen.

Für entschlossenes Handeln ist Julia Klöckner ohnehin nicht bekannt: Verbraucher- und Tierschützer kritisieren etwa das staatliche Tierwohllabel der Landwirtschaftsministerin als viel zu kurz gegriffen. Und gegen das Ampel-System „Nutri-Score“ zur klaren Kennzeichnung von Lebensmitteln hatte sich Klöckner lange Zeit gesperrt, bevor sie ihren Widerstand kürzlich aufgab zugunsten einer nur freiwilligen, nicht verpflichtenden Kennzeichnung.

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