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Deutschlands Gasimporte: Wie geht es auch ohne Gas aus Russland?

Nord Stream 2, eine gigantische Pipeline für fossiles Gas aus Russland
Foto © Nord Stream 2 / Nikolai Ryutin

Gas aus Russland heizt jede zweite Wohnung. Aber: Gibt es vielleicht doch einen Weg ohne fossiles Gas aus kriegerischen Autokratien? Was müssten wir eigentlich tun, um ohne russisches Gas auszukommen? Die Antworten existieren längst …

Disclaimer: Nord Stream 2 und die Energiewende scheinen derzeit nicht die dringlichsten politischen Entscheidungen – sind unsere Gedanken doch beim Leid der Menschen in der Ukraine. Dennoch hängen beide Themen zusammen. Denn unsere Versäumnisse bei der Energiewende führen dazu, dass wir durch unsere Öl- und Gasrechnungen den Krieg auf russischer Seite mitfinanzieren. Deshalb möchten wir euch hier einen Hintergrundbericht über die umstrittene Pipeline bieten. Die aktuelle Berichterstattung über den Krieg überlassen wir Expert:innen für internationale Konflikte.

Erdgas, egal woher, ist eine fossile Energiequelle: Es ist begrenzt verfügbar, ergo niemals nachhaltig, und es belastet unser Klima direkt. Aber können wir uns selbst einfach so den Gashahn zudrehen? Wie wichtig ist Gas für Deutschland, wie wichtig speziell Putins Erdgas? Welche Alternativen zu russischem Gas werden diskutiert? Um welche davon sind unterm Strich wirklich sinnvoll?

Warum wir Putin noch immer fossiles Gas abkaufen

Die Antworten auf diese Fragen fallen leider unangenehm aus:

  • Deutschland bezieht aktuell 55,2 Prozent seines Gases aus Russland.
  • Das russische Unternehmen Gazprom, das hinter Nord Stream 2 steckt, verfügt über ein Sechstel der weltweiten Gasvorkommen. Es ist das weltweit größte Erdgasunternehmen und zur Hälfte in russischem Staatsbesitz.
  • Deutschlands Regierungen der Vergangenheit haben immer wieder aufs falsche Pferd gesetzt und Erneuerbare Energien blockiert oder ungenügend gefördert. Statt dessen hat Deutschland Atomkraft, Fossil-Importe und andere Energieformen aus der Mottenkiste bevorzugt und sich dadurch ohne Not abhängig gemacht.
  • Die Folge dieser Politik: In Bereichen wie Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, aber auch in privaten Haushalten, ist Gas mit bis zu 35 Prozent Anteil noch immer extrem wichtiger Energieträger.

Also: Gas aus Russland ist derzeit noch sehr wichtig für uns. Aber wie kommen wir davon wieder weg?

Die ökologischen Folgen der Gas-Pipeline Nord Stream 2 sind immens
Die ökologischen Folgen der Gas-Pipeline Nord Stream 2 sind immens (Foto © Nord Stream 2 / Axel Schmidt)

Gas aus Russland ersetzen: die garantiert falschen Wege

Folgende Idee werden diskutiert – aber sie sind keine tatsächliche Hilfe und schaffen oft nur nur neue Probleme:

  • Indem wir Gas woanders einkaufen? Zwar kommen über die Hälfte des Gases bei uns derzeit noch aus Russland, aber auch andere Länder verkaufen ja Erdgas.
    Problem: Solches Gas ist weiterhin keine nachhaltige Lösung. Auch und speziell LNG-Gas aus den USA, wo mit Fracking maximaler Klimaschaden angerichtet wird, ist auf keinen Fall eine mittel- oder gar langfristige Alternative.
    → Eine echte Lösung lautet: Weg vom Gas!
  • Indem wir Kohle statt Gas nehmen? Wie die LNG-Alternative würden wir das hier eigentlich am liebsten gar nicht auflisten, weil Unfug. Es wird aber von Politikern diskutiert: Habeck persönlich brachte die Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken ins Spiel.
    Probleme: 1. Ob Braunkohle oder Steinkohle – Kohle ist ein Klimakiller. 2. Wie Gas- sind Kohlevorkommen endlich, also ist das bestenfalls eine Scheinlösung auf Zeit. 3. Deutschland bezieht auch mehr als die Hälfte seiner Steinkohle aus Russland. Mittelfristig wäre mit Kohle also nichts gewonnen.
    → Eine echte Lösung lautet: Weg von der Kohle!
  • Indem wir Atomkraftwerke nutzen? Auch diesen Punkt listen wir hier nur auf, weil er trotz geringer Atomkraft-Relevanz immer wieder phantomdebattiert wird. Details hier: Energiekrise: Wie können wir auch ohne Atomkraft unabhängiger von russischen Importen werden?
    Probleme: Die Standorte (niemand will ein AKW vor der Haustür), der Betrieb (so schnell kriegen wir 30 AKWs auch nicht her), die Endlagerung (niemand weiss, wie die sicher funktionieren soll), und: der Energieträger. Denn: 1. Uran ist, wie Gas, Kohle, Öl, eine endliche Ressource, also wieder nur eine unnachhaltige, weil temporäre Pseudo-Lösung. 2. Auch Uran wird zu 100% eingeführt (UBA), wenig überraschend natürlich auch aus Russland. 3. Und: Woher Uran nun wirklich genau eingeführt wird, das wird seit Jahren verschleiert.
    → Eine echte Lösung lautet: Weg vom Atom!

So kommen wir wirklich ohne russisches Gas aus

Also, wie kommen wir denn wirklich ohne Gas aus, ob aus Russland oder sonstwoher? So:

  • Indem wir aufhören, Gas zu verwenden. Gas verwenden wir, weil wir damit zum Beispiel Heizen, zum Teil es aber auch verstromen. Man denkt ja immer, Deutschland sei in Sachen Energiewende ein Musterland – doch das gilt bisher nur für Strom (etwa 50 Prozent werden regenerativ produziert): Bei der Wärme hingegen sind wir noch immer auf Mineralöl und Gas angewiesen – Erneuerbare Energien spielen dort noch so gut wie keine Rolle. Hier müssen wir besser werden und die Energiewende endlich auch in die Gebäude hineintragen.
  • Indem wir aufhören, die ökologische Energiegewinnung kleinzureden. Wir könnten seit Jahrzehnten eine Energiewende betreiben, die uns von den Energieimporten aus kriegerischen Autokratien unabhängig macht. Wir tun es nur nicht, weil seit Jahrzehnten behauptet wird, das gelänge doch sowieso nicht. Dabei ist, was uns bis heute schon beim Strom gelungen ist, noch vor 20 Jahren als pure Fantasie diffamiert worden. Es geht also doch. Und es geht noch viel, viel mehr. (Und spätestens jetzt bleibt uns sowieso keine andere Wahl.)
  • Indem wir Energie sparen. Ja klar, wir haben auf LED-Lampen umgestellt, denn das war eben der erste, einfache Schritt. Jetzt müssen allein in Deutschland an die 60 Millionen Gebäude energetisch saniert werden – Gebäude die zu über zwei Dritteln noch immer mit Öl und Gas beheizt werden. Die „Energiewende im Heizkeller“ schieben wir schon zu lange vor uns hin und der aktuellen Regierung muß bei der energetischen Sanierung endlich der grosse Wurf gelingen.
  • Indem wir die Produktion von Biogas ankurbeln. Der Fachverband Biogas rechnete am 7. März 2022 das Potential von nicht-fossilem Gas vor: Demnach läge das Potential bei Abfällen, Reststoffen & Nebenprodukten, bei Energiepflanzen, bei Biomasse aus Agrarumweltmaßnahmen (z.B. Biodiversitätsflächen) etc. etc. bei bis zu 234 TWh, wovon nur ca. 95 TWh schon erschlossen seien. Die Schlussfolgerung: Etwa 42% der Erdgasimporte aus Russland“ wären potentiell ersetzbar. Zum Jubeln kein Anlass, denn es müsste natürlich erst erschlossen werden (noch was, was wir verschleppt haben), und auch wenn Biogas uns von Gas aus Russland unabhängiger macht, heisst das nicht, dass es nicht andere Probleme mit sich bringt (beispielsweise Monokulturen und Nahrungsmittelkonkurrenz bei Energiepflanzen). Aber es zeigt eben: Wir sitzen schon so lange auf riesigen Potentialen, dass wirklich die Frage erlaubt sein muss: Worauf warten wir eigentlich noch?
  • Am Ende gilt also:
    Indem wir endlich alle konzentriert daran arbeiten, die Produktion erneuerbarer Energien in Deutschland und in Europa voranzutreiben. Dazu muss aktiv Geld in den Ausbau regionaler Energieerzeugung fließen. Entsprechende EE-Projekte müssen beschleunigt, statt wie bisher, verhindert oder durch „Brückentechnologie“-Phantomdebatten verschleppt zu werden.

Also: Wir kommen ohne (russisches) Gas aus, indem wir die Energiewende weiter beschleunigen. Und das hätten wir, das muß an dieser Stelle betont werden, schon viel früher haben können, wenn wir die Energiewende früher eingeleitet und sie auch ernsthaft betrieben hätten.

Die geplanten Gesamtkosten von Nord Stream 2 lagen zuletzt bei 9,5 Milliarden Euro, Chef des Aktionärsausschusses von Nord Stream 2 ist Altkanzler Gerhard Schröder
Die geplanten Gesamtkosten von Nord Stream 2 lagen zuletzt bei 9,5 Milliarden Euro, Chef des Aktionärsausschusses von Nord Stream 2 ist Altkanzler Gerhard Schröder. (Foto © Nord Stream 2 / Nikolai Ryutin)

Die beste Sanktion wäre: mehr Energiewende!

Warum wir seit Jahrzehnten Milliardenbeträge an Länder wie Russland überweisen, um Energieträger wie Gas, Kohle, Uran einzukaufen, statt damit die heimische Energiewende zu finanzieren, das ist eine Frage, die spätestens jetzt mal ganz laut an die Politiker:innen von Gestern gestellt werden müsste. Denn wenn jetzt russische Kampfpanzer über Grenzen in Osteuropa rollen, dann wurden die auch durch unsere Öl- und Gas-Heizungen finanziert.

Die einfachste Sanktion gegen Putins Regierungskurs wäre, ganz schnell maximale Unabhängigkeit von Energieimporten (nicht nur, aber auch aus Russland) zu erreichen. Die Pläne für derlei liegen längst auf dem Tisch, denn es sind die gleichen, mit denen wir auch Emissionen senken und dadurch das Klima und damit am Ende uns selbst schützen wollen.

Was können wir selbst als Individuen tun? Jetzt Wodka zu boykottieren bringt niemanden weiter, denn ob jeder Spirituosenhersteller aus Moskau stramm hinter Putins Kurs steht, darf zumindest bezweifelt werden.

Was du aber tun kannst:

Brauch(t)en wir Nord Stream 2 wirklich?

Nord Stream 2 wurde inzwischen gestoppt. Aus den falschen Gründen zwar, aber dennoch war der Stopp nicht falsch. Brauchten wir dieses Projekt (Kosten: fast 10 Milliarden Euro) denn jemals? Hier muss man unterscheiden zwischen der sachlichen und der politischen Perspektive.

Bei politischer Betrachtung ist Nord Stream 2 längst zu einem Symbol geworden. Vor allem die USA wollen schon lange und aus eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen heraus nicht, dass diese Pipeline existiert.

Die sachliche Perspektive ist hingegen überraschend eindeutig: Viele Experten bezweifeln schon seit Jahren, dass Nord Stream 2 überhaupt jemals notwendig war!

„Nord Stream 2 stellt weder eine Gefährdung für die europäische Energiesicherheit dar, noch ist sie für die Gasversorgung unabdingbar“, resümiert aktuell die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), denn mit der Nord-Stream-1-Leitung könnte eigentlich genug Gas geliefert werden.

„Wir benötigen diese Pipeline ohnehin nicht, das sagen wir seit vielen, vielen Jahren“, sagte die Energie-Expertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, im Deutschlandfunk. Die Nord-Stream-2-Pipeline sei unnötig, unrentabel und sie widerspreche auch den Klimazielen.

Und genau hier ist der springende Punkt: Wir wollen doch sowieso weg vom Gas, von fossilen Brennstoffen überhaupt. Also warum nicht jetzt endlich diesen Weg gehen, den wir schon lange hätten gehen sollen?

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