Von seiner Therapeutin hat Kurt Krömer einiges gelernt. Im Interview spricht er nun offen über seine Depressionen – und erklärt, welche Einstellung man in seinem Leben lieber ganz streichen sollte.
Im Fernsehen kennt man ihn als harten Brocken. Jetzt erzählt Komiker Kurt Krömer in einem neuen Buch, wie es sich anfühlt, Depressionen zu haben. Im Interview mit der deutschen Presseagentur erklärt der 47-Jährige, warum die Gesellschaft dringend mehr darüber sprechen sollte – und weshalb er jetzt auch gerne mal ein paar Minuten zu spät kommt.
Herr Krömer, woran merkt man, dass man Depressionen hat?
Ich kann von mir sagen, dass ich morgens aufgestanden bin und schon das Gefühl hatte: „Scheiße, hoffentlich ist bald wieder abends, damit ich wieder schlafen gehen kann.“ Du bist antriebslos, du bist nicht motiviert. Du könntest das schönste Date haben und jemand sagt: „Komm‘, wir gehen Kaffee trinken und vielleicht noch ein bisschen shoppen.“ Und du hast null Emotionen dazu. Ich konnte jahrelang nichts mehr lesen. Angstzustände können auftreten. Du kannst Panikattacken kriegen, ohne zu wissen, wo kommt das jetzt her? Bei mir waren es noch dazu Potenzschwierigkeiten. Aber vor allem ist da diese innere Leere – eine Angst, die diffus ist.
Man kann sie also nicht zuordnen?
Nein. Torsten Sträter sagte damals bei „Chez Krömer“, es werde die Aufgabe seines Lebens sein, in einem Satz zu beschreiben, was eine Depression ist. Ich merke das auch: Ich hatte selber Depressionen – und kann es nicht in einem Satz beschreiben.
Der Aufenthalt in der Klinik habe Ihnen Mörderangst gemacht, schreiben Sie im Buch. Warum ging es Ihnen so?
Weil wir nicht wissen, was in so einer Klinik passiert. Ich hatte noch eine Vorstellung von Psychiatrie vergleichbar mit einem Gefängnis: Dass man eingesperrt wird, unter Medikamente gesetzt wird. Ich habe aber relativ schnell gemerkt, dass der beste Ort für einen schwer depressiven Menschen die Klinik ist. Es gibt leider keine Zauberpille, die ich mir einpfeifen und sagen kann: „Jetzt bin ich das los.“ Und ich kann auch nicht sagen: „Jetzt fahre ich mal drei Wochen in den Urlaub und dann muss ja wieder gut sein.“
Den Satz „Muss ja wieder gut sein“ sollte man vermutlich ohnehin streichen?
Ja. Auch das Wort „funktionieren“ zum Beispiel. In der Klinik hat die Therapeutin dann immer dazwischengefunkt. Als ich gefragt wurde, was sich ändern soll, habe ich gesagt: „Ich hätte gerne, dass es zu Hause wieder funktioniert.“ Dann hat sie gesagt: „Erklären Sie doch mal, was ist „es“? Was soll funktionieren? Sie sind kein Roboter. Bei einem Roboter können Sie auf Play drücken und dann geht’s los. Aber der Mensch kann nicht immer gleich funktionieren.“
Weil es einem immer auch mal schlecht geht?
Auch wenn du nicht mehr depressiv bist, hast du trotzdem mal einen schlechten Tag, einen euphorischen Tag. Ich habe Tage, wo ich verdränge, dann sehe ich wieder alles ganz klar. Deswegen: Wenn jemand sagt „Ich funktioniere nicht mehr richtig“, dann zucke ich immer zusammen. Funktionieren ist gleichzusetzen mit Hamsterrad. Funktionieren ist ganz doof. Der Chef sagt: „Sie müssen besser funktionieren.“ Das ist es, was uns alle kaputt macht.
Sie schreiben, heute seien Ihre Depressionen weg. Was hat sich seitdem verändert?
Na, das ist ein Prozess. Wenn Sie ins Krankenhaus kommen, weil Sie einen Blinddarmdurchbruch haben, dann wissen Sie: Okay, das wird operiert und dann müssen Sie ein paar Tage liegenbleiben. Und wenn Sie entlassen werden, wissen Sie, dass Sie nicht sofort Kraftsport machen können oder Wasserkisten in den fünften Stock hochtragen. Die Wunde muss heilen – und so ist das in einer Klinik für mentale Gesundheit auch. Bei mir hat es fast ein Jahr gedauert, bis ich mich wieder an alles gewöhnt habe. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nach der Klinik total euphorisch war.
Aha, warum?
Als Depressiver hat man kein Gefühl. Du kannst nicht sagen: „Oh, da scheint die Sonne!“ (Krömer dreht sich zum Fenster) Ich gucke jetzt mal raus, weil ich die Sonne sehe. Das hätte ich vor zwei, drei Jahren nicht gemacht. Wenn Sie zu mir gesagt hätten „Draußen scheint die Sonne“, hätte ich kein Gefühl dazu gehabt. Ich hätte zu Ihnen gesagt: „Ich verstehe Ihre Emotionen gerade nicht. Ich find’s nicht toll. Warum jetzt auch? Da scheint halt die Sonne.“
Und wie war das nach der Klinik?
Ich konnte mich auf eine Parkbank setzen und gucken, wie die Sonne scheint; wie im Herbst die Blätter runtergefallen sind; zusehen, dass die Blätter gelb sind, rot, braun und dunkelbraun, frisch, schon zerfallen. Das hat mich wahnsinnig gemacht, das habe ich auch im Buch geschrieben: Das war wie damals, als die Mauer aufging und die Leute aus Ost-Berlin in einen Supermarkt kamen mit 80 000 verschiedenen Produkten und Farben.
Klingt aber auch, als hätte sich das wieder verändert?
Ja (lacht). Das ist normal geworden. Für mich war damals die ganze Welt schön, alles war toll. Damals war leider schon Corona – ich hätte am liebsten wildfremde Menschen umarmt und gesagt: „Du, ich bin wieder da. Mit mir kannst du rechnen.“ Und das musste sich dann setzen. Ich habe gemerkt: Du bist jetzt nicht dein Leben lang euphorisch. Das Gegenteil von Depression lautet nicht gute Laune oder sorgenfrei. Da draußen die Welt ist schon ordentlich krank. Und das hat sich eingenordet, dass ich beides realisiere.
Wenn Sie das gerade sagen mit der guten Laune – das klingt nach typischen Postersprüchen. Was halten Sie davon?
Finde ich blöd. Auch diese Wandtattoos, wo draufsteht „Sorge dich nicht, lebe“ oder „Carpe Diem“. Das sind Kalendersprüche, das bringt mir persönlich nichts. Das brauche ich nicht – das habe ich jetzt in mir. Aber das fand ich auch vorher schon scheiße.
Ein Kapitel ist besonders schön. Darin erzählen Sie, wie Sie das erste Mal nach acht Jahren mit Ihren Kindern wieder in den Urlaub gefahren sind. Warum haben Sie sich so darüber gefreut?
Außenstehende denken immer: „Häh, wir fahren jedes Jahr in’n Urlaub. Warum hast du das denn nicht gemacht?“ Aber was sich ändert mit dem Ende der Depression, sind ganz profane Sachen. Ich war in Griechenland und am ersten Tag in der Badehose in der Sonne. Ich hatte einen kompletten Sonnenbrand. Und alle haben gesagt: „Mensch, das ist gefährlich, das macht man doch nicht!“ Und ich hab‘ mich darüber gefreut, weil ich das erste Mal nach ungefähr acht Jahren auch körperlich gespürt habe: Ich lebe noch. Alles brannte, tat weh. Und am nächsten Tag: gleich wieder in die Sonne. Ist krebserregend, ich weiß, gesundheitlich total scheiße. Nächstes Mal werde ich mich wieder in den Schatten setzen. Aber ich war jahrelang blass. Als Depressiver kannst du dich nicht in die Sonne legen, weil du nach einer Minute denkst: „Was mache ich denn hier?“ Und jetzt? Ich war stundenlang in der Sonne und habe mich verbrannt.
Hatten Sie denn immerhin eine gute After-Sun-Creme?
Ja, das habe ich auch gelernt, dass es sowas gibt. Ich möchte keine Werbung machen – aber ich habe Spitzenprodukte kennengelernt.
Was muss sich in der Gesellschaft ändern im Umgang mit Depressionen?
Wir müssen offen darüber reden. Wir müssen das ansprechen und das Ding mal aus der Tabu-Ecke rausholen.
Damit man Depressionen wie etwas Normales ansieht?
Genau. Wenn ich zwei gebrochene Beine hätte, dann würden Sie auf gar keinen Fall zu mir sagen: „Laufen Sie mal ein bisschen schneller!“ Sie wissen sofort: Der hat einen Gips. Sie wissen auch sofort – ohne Medizin studiert zu haben: Die Dinger hat der mindestens sechs Wochen. Danach sind die Muskeln schwach und man muss erst wieder laufen lernen. Aber so ein Beinbruch im Gehirn, das ist schwierig zu erklären. Und ich gehöre ja selber zu den Leuten, die vor drei Jahren noch nicht wussten, was das ist.
Wenn man merkt, dass es einem nicht gut geht, oder wenn jemand anderes Hilfe braucht, was kann man dann tun?
Ich würde ihm zureden. Und ich würde raten, mal auf die Internetseite der Deutschen Depressionshilfe zu gehen. Die haben dort einen kleinen Fragenkatalog, der dauert ungefähr fünf Minuten. Und dann gerne zum Hausarzt.
Was machen Sie heute, was Sie früher nicht gemacht hätten?
Ich nehme mir Auszeiten. Ich habe mich heute ja entschuldigt fürs Zuspätkommen. Ich hätte rennen können, ich hätte ein Taxi nehmen können, ich hätte mir einen Roller nehmen können. Und jetzt dachte ich aber: Ich habe davor schon Termine gehabt und brauche etwas Pause. Sonst wäre ich völlig entnervt hier angekommen, hätte patzig auf Ihre Fragen geantwortet. Und jetzt bin ich zu spät gekommen – aber dafür bin ich gut drauf.
Zur Person: Alexander Bojcan (47) tritt unter dem Künstlernamen Kurt Krömer auf. Der Berliner moderiert beispielsweise die rbb-Sendung „Chez Krömer“ und hat in der Comedyshow „LOL: Last One Laughing“ mitgemacht. Nun erscheint sein neues Buch „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst. Meine Depression“. Darin erzählt er etwa von seinem früheren Alkoholproblem, seinem Leben als alleinerziehender Vater und seinen jahrelangen Depressionen. Mit seiner Geschichte will er anderen Menschen helfen.
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