Gaskrise, Klimakrise und Inflation: Es ist eine selten angespannte Situation, in der wir uns im Moment befinden. Die logische Konsequenz aus allen drei Krisen ist aber dieselbe: Energie sparen. Wenn’s sein muss darf das auch zu „Duschscham“ führen – auch wenn es nicht allen passt. Ein Kommentar.
Es ist kein Geheimnis, dass Warmwasser zum Erhitzen Energie braucht und dass daher weniger Wasserverbrauch Energie spart. Neu ist nur, dass nun auch Bundeswirtschaftsminister Habeck öffentlich verkündet, dass er „schnell“ duscht, was viele als Aufruf verstehen, es ihm gleich zu tun. Sein Ministerium ruft tatsächlich dazu auf, zu einem sparsamen Duschkopf zu wechseln.
Wenn man es vernunftgeleitet betrachtet, ist eigentlich eine ziemlich gute Sache, dass nun die Regierung – wenn auch notgedrungen – den Bürger:innen eine konkrete Maßnahme empfiehlt, die nachgewiesenermaßen helfen kann, das Klima zu schützen. Und die Umweltschützer:innen darum bereits seit Jahrzehnten fordern: Warmwasser sparen, Energie sparen, Strom sparen.
„Duschscham“? Die Dusche wird politisch
Einen vernünftigen Zweifel daran, dass Energiesparmaßnahmen dringend notwendig und unvermeidlich sind, kann es eigentlich nicht geben.
Aber Vernunft kann man den Herren, die sich nun über Kurzduscher:innen ärgern, vielleicht auch gar nicht unbedingt vorwerfen. Die Argumentation, mit der sich nun zum Beispiel der Focus-Kolumnist Helmut Markwort (der nicht zufällig auch FDP-Politiker ist) und der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki gegen den Dusch-Appell wehren? Ein trotziges „Ich lasse mir doch nichts verbieten“ – mal so ganz grob zusammen gefasst. Kubicki will so lange duschen, wie er eben will und das will er der Bild-Zeitung auch unbedingt erzählen. Und Markwort empfindet „keine Spur von Duschscham“ und denkt gar nicht daran, „das erfrischende Wasser in Litern zu messen und zu rationieren.“ (Wie er es dann messen will, verrät er nicht.)
Während also ältere Herren leidenschaftlich die Freiheit der langen Dusche verteidigen, wächst in der realen Welt die Sorge vor einem möglichen kompletten Lieferstopp von russischem Gas. Der Chef der Bundesnetzagentur warnt, dass hunderttausende Gasthermen plötzlich ausfallen könnten. Der Umweltsenator der Stadt Hamburg kündigt an, im Ernstfall eines Gaslieferstopps womöglich Warmwasser rationieren zu müssen. Und zahllose Menschen in Deutschland wissen schon heute nicht mehr, wie sie ihre Gas- und Stromrechnungen bezahlen und gleichzeitig noch essen sollen.
Mehr lesen: Gas-Alarmstufe: Das können Verbraucher:innen jetzt tun
Warum wir mehr Duschscham brauchen
Markworts alberne „Duschscham“ kommt da eigentlich wie gerufen. Ja, dann sollen sich doch ruhig die Menschen, die nicht daran denken, ihre täglichen ausgiebigen Duschen bei 37 Grad einzuschränken, ein kleines bisschen schämen. So ein kleines bisschen gesellschaftlichen Druck auf Vielflieger:innen hat die sogenannte „Flugscham“ ja immerhin auch bewirkt. Zumindest ist heute allen klar, dass Flugreisen mies fürs Klima sind und mit ruhigem Gewissen fliegen heute eigentlich nur noch die Markworts und Kubickis dieses Landes.
Scham ist natürlich im Prinzip nichts Wünschenswertes. Aber positiv umgedeutet könnte die neue Duschscham helfen, ins Bewusstsein jedes und jeder Einzelnen dringen zu lassen, dass es gesamtgesellschaftliche Anstrengungen braucht, wenn wir alle halbwegs gut durch den kommenden Winter kommen wollen. Und dass es dafür auch ein klitzekleines bisschen Solidarität braucht mit allen, die jetzt schon mit den Preisanstiegen kämpfen und mit den künftigen Generationen, die auch irgendwie noch gerne auf diesem Planeten überleben würden.
Wobei natürlich die Energiekrise längst nicht nur finanziell schwächer gestellte Menschen betrifft. Denn wofür sollen denn die Reichen ihr Geld ausgeben, wenn irgendwann auch die Industrie ruht, weil kein Gas mehr da ist?
Also: Lasst uns dem Focus-Grantler danken für den schönen Begriff der Duschscham, lasst ihn uns klauen und etablieren und so hoffentlich noch ein paar mehr Leute dazu bringen, beim Duschen (und natürlich auch sonst) möglichst viel Energie zu sparen.
Denn: Kürzer, weniger häufig und weniger warm zu duschen ist eine sehr einfache Möglichkeit, wie jede:r im Alltag ein bisschen was zum unumgänglichen Großprojekt „Energie sparen“ beitragen kann. Und es schadet höchstwahrscheinlich niemandem, es einfach mal auszuprobieren. Hier gibt’s übrigens Tipps zum Non-Bathing-Trend.
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