Klimaaktivistin Leena Norms kaufte im Jahr 2024 keine Klamotten. Alles, was sie an neuer Kleidung wollte, nähte sie sich in dieser Zeit selber. Ich habe beschlossen, den gleichen Selbstversuch zu machen. Wie ging es mir damit?
Ich habe mehr Klamotten in meinem Kleiderschrank, als ich brauche. Und dennoch werden es Jahr für Jahr immer noch mehr. Damit bin ich eindeutig nicht alleine!
Laut einer Umfrage von Greenpeace tragen wir gute 19 Prozent unserer Kleidung – also jedes fünfte Kleidungsstück – so gut wie nie. Trotzdem kaufen wir immer wieder neue Klamotten dazu, und zwar im Schnitt ganze 60 neu produzierte Kleidungsartikel pro Jahr.
Diese Zahlen stehen im Kontrast zur Menge an neuen Kleidungsstücken, die für ein klimafreundlicheres Leben empfohlen wird. Eine Initiative schlägt vor, jährlich nicht mehr als drei neue Kleidungsstücke anzuschaffen (Unterwäsche, Socken sowie Secondhand-Mode sind hiervon ausgeschlossen).
Unter anderem vor diesen Hintergründen hat die Künstlerin und Aktivistin Leena Norms die „My Year of Make-Do“-Challenge ins Leben gerufen, an der ich dieses Jahr teilgenommen habe. Was ist mein Fazit vom Selbstversuch?
Die Challenge: Gegen Fast-Fashion und für umweltfreundlichere Mode
Die Regeln der „My Year of Make-Do“-Challenge (wörtlich übersetzt „Mein Jahr des Machens“, aber auch des Improvisierens oder des „Klarkommens“) sind relativ simpel: Leena Norms kauft im Jahr 2024 keine neuen Klamotten, um sich stattdessen mit jenen Kleidungsstücken zu beschäftigen, die sie bereits hat. Sie geht allerdings noch einen Schritt weiter, denn wenn sie neue Kleidung braucht oder möchte, muss sie diese selber nähen, stricken oder auf andere Art herstellen.
Ziele dieser Challenge sind unter anderem, das eigene Konsumverhalten von Klamotten zu hinterfragen und sich zu sensibilisieren für die Arbeit und die Ressourcen, die es braucht, um ein Stück Mode herzustellen – ein Prozess, den Leena Norms auf sehr gewitzte und reflektierte Art auf ihrem Youtube-Kanal und ihrem Instagram-Account dokumentiert.
Warum habe ich mich entschieden, diese Challenge mitzumachen?
Seit ein paar Jahren schon beschäftige ich mich privat mit den Umweltfolgen von Textilproduktion sowie mit den menschenrechtlichen Auswirkungen von Fast-Fashion. Der Grund dafür ist einfach: Ich ziehe sehr viel Freude aus meinen Klamotten, habe deswegen früh angefangen, mich mit dem Nähen zu beschäftigen und bin dabei automatisch über Artikel zu den Folgen von Ultra-Fast-Fashion gestoßen.
Diese haben dafür gesorgt, dass ich auf lange Zeit meinen Kleiderschrank so umweltfreundlich und ethisch füllen möchte, wie es irgendwie realistisch ist. Und ich denke, dieser Selbstversuch ist ein guter Schritt in diese Richtung – schon alleine, weil ich durch die Challenge sozusagen „Daten“ über mein eigenes Kauf- und Trageverhalten von Klamotten sammeln kann.
Warum kaufe ich dieses Jahr auch keine Secondhandkleidung?
Es stimmt, dass der Kauf von Secondhandkleidung grundsätzlich deutlich umweltfreundlicher ist als der Kauf von neu produzierter Mode. Allerdings löst Secondhandware nicht mein Problem, dass ich mir mehr Kleidung anschaffe, als ich tatsächlich trage. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, die günstigeren Klamotten befeuern diese Tendenz von mir eher noch, wodurch mich Secondhand zum Überkonsum verleitet.
Secondhandmode hat – neben Aspekten wie umweltschädliche Textilien und teilweise schwer nachvollziehbaren Beschaffungswegen – ein Überschussproblem. Das konnte ich mit eigenen Augen beobachten, als ich mehrere Jahre in einem großen Secondhandladen gearbeitet habe. Denn nur etwa 20 Prozent der global anfallenden Altkleider werden in irgendeiner Form wiederverwendet, während ganze 80 Prozent verbrannt werden oder auf Deponien landen.
Keine Kleidung kaufen: Meine Vorsätze für den Selbstversuch
Deswegen habe ich mich Ende 2023 hingesetzt und mir, neben den Regeln von Leena Norms, ein paar individuelle Vorsätze für meinen Selbstversuch ausgearbeitet.
Ganz oben stand hierbei das Motto: Ich nehme die Challenge ernst und verfolge sie, so gut ich kann – auf der anderen Seite halte ich mir aber offen, das „Regelwerk“ im Laufe des Jahres ein wenig anzupassen. Wenn ich am Ende „nur“ ein oder zwei Aspekte der Challenge erfüllen und auf dem Weg etwas lernen kann, verbuche ich es für mich als einen Erfolg.
Meine Vorsätze für die Challenge:
1. Ich als Privatperson kaufe 2024 keine neue Kleidung, weder Neuware noch Secondhand. Hierbei erlaube ich mir allerdings von Anfang an drei realistische Ausnahmen, die alle primär mit meinen verschiedenen Jobs zu tun haben. Und zwar 1) Schuhe, 2) von meiner Arbeit vorgeschriebene Arbeitsuniformen und 3) T-Shirts, die ich selbst mit Motiven bedrucke und auf Kunstmärkten verkaufe (eine meiner Einnahmequellen). Sollte ich diese Dinge benötigen, möchte ich sie nach Möglichkeit Secondhand und aus Naturfasern kaufen.
2. Wenn ich neue Kleidung brauche oder möchte, muss ich sie mir selber nähen oder häkeln. Ja, auch Unterwäsche! Außerdem möchte ich nach Möglichkeit entweder Secondhandstoffe verwenden, Stoffe aus Naturfasern oder Stoffe aus anderen biologisch abbaubaren Materialien, zum Beispiel Viskose. Einen großen Bogen mache ich hingegen um Stoffe aus Plastik, wie etwa umweltschädliches Polyester oder Kunstleder.
Dies gilt übrigens auch für die Häkelgarne, die ich benutze. Hier kommt noch hinzu, dass ich primär Secondhandwolle benutze oder beim Kauf von zum Beispiel Wolle darauf achte, pflanzliche Fasern mit Bio-Qualität zu wählen oder nachhaltige Wolle von Schafen zu besorgen.
Keine Kleidung kaufen: Wie liefen die ersten 6 Monate?
Nachdem ich also nun mein eigenes Regelwerk aufgestellt hatte, war es an der Zeit zu schauen, wie sich meine Vorsätze in der Realität und im Alltag umsetzen lassen.
Insgesamt kann ich sagen: Während ich in den ersten Monaten der Challenge das Klamottenshopping vermisst habe, hat dieser Drang stetig nachgelassen. Auch, weil ich Wege gefunden habe, aus meinen alten Klamotten etwas Neues zu machen. Dabei hat mir sehr geholfen, Onlineläden sowie Secondhandshops einfach nach Möglichkeit komplett zu meiden.
Keine Kleidung kaufen – was habe ich beobachtet?
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Zuallererst kann ich bestätigen, was ich bereits vor der Challenge vermutet habe: Ich habe bereits genug Klamotten in meinem Kleiderschrank, sodass es mir an nichts fehlt. Tatsächlich habe ich, was einige Kleidungsteile angeht, einen Überschuss (zum Beispiel an T-Shirts), von anderen wiederum deutlich weniger (zum Beispiel Hosen). Ebenso habe ich angefangen, Kleidungsstücke häufiger zu tragen, zu denen ich vorher eher selten gegriffen habe. Und auch mit der Kombination der einzelnen Teile bin ich kreativer geworden.
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Ich merke, dass ich mehr Nutzen aus den Kleidungsstücken ziehe, die ich bereits habe. Auch bemerke ich, was für mich ein absolutes Lieblingskleidungsstück ausmacht und was für Klamotten ich vielleicht in der Theorie mag, in der Praxis jedoch wirklich nur von der Kleiderstange nehme, wenn alles andere in der Wäsche ist. Diese Beobachtungen haben sich vor allem als nützlich erwiesen, als ich angefangen habe, eigene Stücke zu nähen und zu häkeln.
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Ich mache insgesamt weniger Impulskäufe. Dies war eine interessante Beobachtung. Denn nicht nur habe ich in den ersten sechs Monaten der Challenge privat keine Kleidung gekauft, ich überlege auch bei anderen Dingen genauer, ob ich etwas wirklich brauche und/oder möchte, oder ob sie mich nur interessieren, weil sie neu und aufregend sind – zum Beispiel Bücher oder Hobbyartikel.
Das Nähen wiederum ist der Teil des Selbstversuches, bei dem ich mich am schwersten getan habe, denn: Gutes Nähen kann viel Zeit und Konzentration brauchen, welche ich nach Feierabend oft leider nicht mehr habe.
Dafür habe ich es für mich entdeckt, Reparaturen zu machen und Kleidung anzupassen – und ich habe auch angefangen, Änderungsschneidereien in meiner Umgebung zu registrieren. Diese werde ich auf alle Fälle im Hinterkopf behalten für zukünftige Reparaturen, für die ich eventuell einfach nicht die Zeit oder das Wissen habe.
Meine Kleidung selber nähen: Was habe ich dieses Jahr gelernt?
Während ich in den ersten sechs Monaten meines Selbstversuchs nahezu keine neuen Klamotten herstellen musste, wurde vor allem in der zweiten Jahreshälfte das Nähen zu einem Muss. Diese Dinge habe ich das Jahr über gelernt:
Kleidung reparieren oder anpassen ist die halbe Miete!
- Kleidung zu reparieren lohnt sich. Denn wie Kostümhistorikerin Bernadette Banner sagt: Die ressourcenschonendsten Klamotten sind ohnehin die, die wir bereits haben. Meine Reparaturen bestanden zum Beispiel daraus, Knöpfe anzunähen, Löcher in Pullovern zu stopfen oder Risse in Jackentaschen zu nähen. Später im Jahr habe ich mich sicher genug gefühlt, dass ich auch Reparaturen an Schuhen vorgenommen habe, zum Beispiel habe ich kaputte Reißverschlüsse an meinen Winterstiefeln ersetzt.
- Hierbei ist mir immer wieder aufgefallen, wie wenig Zeit diese kleinen Eingriffe in Anspruch nehmen – und wenn ich nicht weiß, wie ich ein bestimmtes Problem lösen kann, gibt es im Internet genug hervorragende kostenlose Anleitungen.
- Ich habe bemerkt, was mich an Kleidungsstücken, die ich nie trage, stört – und begonnen, Lösungen zu finden. Zwei Beispiele: Ich habe eine Hose, die mir zu lang war, gekürzt und von einer Jacke den Reißverschluss entfernt, da dieser beim Tragen sehr unbequem war.
- Klamotten, die mir zu klein oder zu kurz waren, habe ich vergrößert. So habe ich zum Beispiel zwei Jeanshosen zu einer größeren Jeans kombiniert, wodurch ich Nutzen aus zwei Kleidungsstücken ziehen konnte, die jahrelang unberührt in meinem Schrank lagen. Das Gleiche galt für zwei Pullover, die mir beide zu kurz waren und die ich zu einem Patchwork-Kleidungsstück kombiniert habe.
Komplett neue Kleidung selber nähen – was habe ich beobachtet?
- Neues zu nähen braucht viel Zeit und Übung, vor allem, wenn ich komplett neue Kleidungsstücke schneidern muss, an denen ich mich noch nie probiert habe. Für meine Hose zum Beispiel habe ich circa acht Stunden gebraucht, für meinen gehäkelten Pullover bestimmt 40.
- Auch hat in beiden Fällen nicht alles auf Anhieb geklappt und ich habe mich schnell mit meinem Fadentrenner anfreunden müssen. Alles das hat allerdings auch einen spannenden Nebeneffekt: Ich überlege mir sehr genau, ob ich ein neues Kleidungsstück brauche und möchte und welche Eigenschaften es haben soll, ehe ich mich an die Arbeit mache. Was wiederum dazu führt, dass ich meinen Kleiderschrank nur durch Sachen ergänze, aus denen ich garantiert viel Nutzen ziehe.
- Und: Das Ergebnis ist mir die Arbeit wert! Ich empfand es als sehr befreiend, dass ich die Kleidungsstücke genau so herstellen kann, wie ich will, und sowohl in Materialauswahl als auch im Schnitt komplett freie Hand habe. Auch persönliche Kleidungspräferenzen kann ich so perfekt mitdenken. Zum Beispiel vertrage ich aus sensorischen Gründen bestimmte Materialien nicht, die ich beim Schneidern komplett meiden kann. Auch greife ich inzwischen viel auf Schnittmuster von Designer:innen wie Sasha Starlight zurück, die Mode entwerfen, die sich mehreren Größen anpasst –perfekt für Leute mit Gewichtsschwankungen und sich ändernden Körperformen.
Jahres-Fazit zum "My Year of Make-Do"-Selbstversuch
Ich habe durch diesen Selbstversuch viel gelernt und beobachtet, was ich bereits erwartet habe. Doch auch ein paar Überraschungen waren dabei.
Vorweg kann ich diesen Selbstversuch allen empfehlen, die ihrem Verhältnis zum Kleiderkauf auf den Grund gehen möchten. Dabei müssen auf keinen Fall alle Aspekte der Challenge umgesetzt werden – ich glaube zum Beispiel nicht, dass jede Person nähen lernen sollte oder muss, um einen ethischen Umgang mit Mode zu pflegen. Wir haben alle unterschiedliche Ressourcen, auch was Zeit und Energie angeht, und ich bezweifle, dass ich die Challenge bis zum Ende durchgehalten hätte, wenn ich nicht Freude an Schneidern und Handarbeit hätte.
Aber vielleicht könnte es für dich eine Tradition werden, geliebte Kleidungsstücke in die Reparatur zu geben, anstatt dir Ersatz zu kaufen, oder du richtest dich beim Kleiderkauf nach dem vorgeschlagenem Richtwert von drei neuen Kleidungsstücken pro Jahr der Take The Jump Initiative.
Neben den bereits angesprochenen Aspekten habe ich am Ende des Jahres noch folgende große Punkte festgestellt:
- Ich kleide mich nach meinem Selbstversuch unabhängiger von aktuellen Trends und priorisiere eindeutig persönlichen Geschmack und eigenes Wohlbefinden – eine Haltung, die sich auch sehr auf das Nähen neuer Klamotten übertragen hat. Dabei möchte ich aber betonen, dass dies auch ein Luxus ist, den ich mir in meiner persönlichen Arbeitsbranche (Kulturbetrieb) leichter leisten kann als zum Beispiel meine Freund:innen, die sich nach einem vorgeschriebenen Dresscode richten müssen.
- Dementsprechend habe ich eindeutig auch Geld gespart. Wie viel genau, ist schwer zu sagen, da ich zuvor meine Ausgaben für Kleidung nicht dokumentiert habe. Laut einer Statistik von 2016 geben Konsument:innen in Deutschland allerdings zwischen 300 Euro und 2136 Euro oder mehr pro Jahr für Klamotten aus, Tendenz steigend. Ich schätze, ich habe dieses Jahr um die 500 Euro gespart – Geld, welches ich in Materialien für selbstgemachte Kleidung investieren konnte.
- Allerdings vermisse ich nach wie vor das Onlineshopping – primär das Schnäppchenjagen auf Plattformen wie Vinted oder das Stöbern in Secondhandläden. Mir ist bewusst geworden, wie häufig ich Kleidung kaufen als Zeitvertreib gesehen oder neue Kleidungsstücke als Belohnung genutzt habe, zum Beispiel nach einer anstrengenden Arbeitswoche.
- Überraschenderweise: Durch das Nähen hat sich mein Verhältnis zu meinem Körper deutlich gewandelt, und zwar zum Besseren. Wenn mir ein Kleidungsstück nicht passt, sehe ich das nicht mehr als „Fehler“ meines Körpers, sondern des Kleidungsstücks – denn wenn mir das Schneidern eines gezeigt hat, ist, dass jeder Körper komplett unterschiedliche und individuelle Maße und Eigenschaften hat und Klamotten für Körper gemacht sind, nicht umgekehrt.
Ich weiß bereits jetzt, dass ich viele Aspekte dieses Selbstversuches auch in Zukunft in meinen Alltag einbinden werde, wie zum Beispiel das Reparieren meiner Kleidung und Schneidern besonderer neuer Teile. Und wenn ich dann mal Kleidung kaufe, habe ich nun ein viel besseres Gefühl, welche Klamotten wirklich für mich funktionieren und lange von mir geliebt werden.
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