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Fischsterben und toxisches Wasser: Wie gefährdet sind Deutschlands Flüsse?

Wie gefährdet sind Deutschlands Flüsse?
Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – Tama66

Noch immer ist ungeklärt, warum in der Oder derzeit unzählige Fische sterben – und wie gravierend die Folgen sein werden. Wie konnte das überhaupt passieren und sind andere Flüsse in Deutschland ebenfalls gefährdet? Wir haben Expert:innen gefragt.

Quecksilber stand schon im Verdacht, Salz und nun toxische Algen – die Ursache des massiven Fischsterbens in der Oder ist noch immer nicht ermittelt. Längst warnen Fachleute: Das gesamte Ökosystem des Flusses könnte massiv geschädigt sein, langfristige Folgen sind zu erwarten.

Mindestens so wichtig, wie die Suche nach der konkreten Ursache ist daher die Frage: Wie lässt sich verhindern, dass so etwas noch einmal passiert? Und wie steht es überhaupt um die Wasserqualität in den deutschen Flüssen?

„Ganz grundsätzlich ist der Allgemein- und Gesundheitszustand der Fische in unseren Gewässern in den meisten Fällen schlecht“, sagt Prof. Dr. Rita Triebskorn, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Evolution und Ökologie an der Uni Tübingen. Übereinstimmend mit anderen Expert:innen glaubt sie, dass bereits vorhandene Stressfaktoren – gemeinsam mit einem bislang unbekannten Faktor – zur aktuellen Katastrophe beigetragen haben: „Die Tiere werden kontinuierlich durch einen Chemikaliencocktail belastet, der sie zwar nicht umbringt, aber ihre Vitalität negativ beeinflusst.“ Zusätzlich zu den Chemikalien würden Gewässerorganismen heute durch zu hohe Temperaturen, verringerte Sauerstoffgehalte, Parasiten und invasive Arten belastet.

„Das, was wir gerade an der Oder erleben, droht auch in anderen Gewässern“

Die Wissenschaftlerin warnt: „Deshalb droht das, was wir gerade an der Oder erleben, leider auch in anderen Gewässern, auch wenn dort aktuell das Fass vielleicht noch nicht so knapp vor dem Überlaufen ist.“

Sowohl das Umweltbundesamt als auch der BUND stuften in den vergangenen Jahren die ökologische und chemische Qualität vieler deutscher Flüsse als mangelhaft ein. Trotz einiger Verbesserungen gibt es noch immer viele Grenzwertüberschreitungen bei gefährlichen Chemikalien und deren Rückständen. Der BUND kritisiert insbesondere die Auswirkungen von Bergbau und Landwirtschaft auf die Gewässer.

Die Landwirtschaft belastet die Wasserqualität von Flüssen
Die Landwirtschaft ist einer von vielen Faktoren, welche die Wasserqualität von Flüssen beeinträchtigen. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – Kollinger)

„Bei der Ökologie, also den Lebensmöglichkeiten der Ökosysteme in den Flüssen sieht es am schlechtesten aus. Nur etwa neun Prozent der deutschen Flüsse ist hier in einem guten Zustand“, erklärt uns Dr. Volker Mohaupt, Fachgebietsleiter für Binnengewässer am Umweltbundesamt. Bei keinem deutschen Fluss gilt der chemische Zustand derzeit als gut; Grund sind vor allem Spuren von Quecksilber und anderen schwer abbaubaren Stoffen.

Als weitere Stressfaktoren für die Ökosysteme nennt der Gewässerexperte den Verlust von Lebensräumen durch Umgestaltungen der Flüsse, einen zu hohen Nährstoffgehalt und zu viele Schadstoffe.

Immerhin: „Die Wasserqualität ist vor allem durch effizientere Kläranlagen in den letzten Jahrzehnten deutlich besser geworden“, sagt uns Prof. Dr. Thomas Ternes. Er ist Abteilungsleiter für Qualitative Gewässerkunde bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) und gibt zu bedenken: „Diese Kläranlagen waren aber nie ausgerichtet für Mikroschadstoffe.“ Gemeint sind damit zum Beispiel kleinste Verunreinigungen aus Haushalten, etwa aus Kosmetika oder Medikamenten. Diese Mikroverunreinigungen können die Kläranlagen nicht effizient zurückhalten, sie gelangen in unsere Fließgewässer. Eine wirksame Lösung, der flächendeckende Einsatz einer weitergehenden sogenannten vierten Reinigungsstufe in Kläranlagen, lässt derzeit noch auf sich warten. Ternes sagt daher, die Qualität der Flüsse habe zwar zugenommen, „aber sie könnte noch besser sein. Wir sind hier noch längst nicht am Ende der Fahnenstange.“

Wasserqualität deutsche Flüsse
Die Wasserqualität in den deutschen Flüssen war schon schlechter – doch die Flüsse leiden unter der Klimakrise. Und: „Unfälle können immer passieren“, sagt Prof. Dr. Thomas Ternes von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG). (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – 12222786)

Sind die Flüsse für Menschen sicher?

Zwar sind die konkreten Auswirkungen der Oder-Katastrophe noch unklar. Doch übereinstimmend warnen die beiden Experten vor dem Baden in Flüssen. „Da können immer mal Abwasserreste vorbeischwimmen. Wenn es weiter flussaufwärts ein Gewitter gab, muss man davon ausgehen, dass da ungereinigte Abwässer in den Fluss gelangt sind,“ so Mohaupt. Dazu kommen Strömungen und die Schiffahrt. Nicht umsonst seien an Flüssen nur wenige offizielle Badestellen ausgewiesen.

Eher weniger besorgt sind Fachleute derzeit, wass die Auswirkungen von verunreinigtem Flusswasser auf die Trinkwasserversorgung angeht. Nur ein geringer Teil des deutschen Trinkwassers stammt aus sogenanter Uferfiltration.

Regelmäßige Messungen und Prüfungen an allen deutschen Flüssen sollen dennoch sicherstellen, dass auffällige Werte schnell erkannt werden und gegebenenfalls Warnungen an betroffene Unternehmen und Anwohner:innen abgegeben werden können. Wie die Ereignisse an der Oder zeigen, ist auf dieses Frühwarnsystem jedoch offenbar nicht immer Verlass. UBA-Experte Mohaupt gibt allerdings zu bedenken: Sollte sich eine der aktuellen Hypothesen bestätigen, dass eine hohe Konzentration bestimmter Algen der Auslöser für das Fischsterben war, könne es sein, dass zunächst für niemanden erkennbar war, dass hier eine Katastrophe droht.

Wenn kein konkreter Unfall, etwa in der Industrie, gemeldet wird, kann die Suche nach Ursachen für – glücklicherweise extrem seltene – Fälle wie derzeit an der Oder lange dauern. Expert:innen gehen derzeit von mehreren Wochen aus.

Kann also ein vergleichbares Desaster wieder passieren? „Ich halte es immerhin für möglich – falls sich die Algenhypothese bewahrheitet und keine menschliche Ursache dahinter steckt“, so Mohaupt. Und: „Unfälle können immer passieren“, sagt sein Kollege Ternes von der BfG.

Flüsse im Klimastress

Auch wenn derzeit viel von Chemikalien, Abfällen und möglichen industriellen Einleitungen in die Oder die Rede ist: Die Suche nach einem Schuldigen für die aktuelle Katastrophe sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Klimakrise und ihre Folgen die europäischen Gewässer ganz grundsätzlich bedroht. Hohe Wassertemperaturen und niedrige Wasserstände aufgrund von Trockenheit erhöhen den Druck auf die Ökosysteme und machen viele Arten anfälliger für weitere Belastungen – die dann das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen.

Brandenburg, Genschmar: Unzählige tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder. Das Fischsterben in der Oder beunruhigt seit Tagen die Menschen in Brandenburg an der Grenze zu Polen.
Brandenburg, Genschmar: Unzählige tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

„Dieses Überlaufen des Fasses geschieht meines Erachtens an der Oder gerade vor dem Hintergrund des extremen Niedrigwassers, da hierdurch die Stoffkonzentrationen steigen und mögliche zusätzliche Stoffeinleitungen – aus noch unbekannten Quellen – jetzt durchschlagen“, sagt Ökotoxologie-Expertin Triebskorn.

Auch Sascha Maier, Experte für Gewässerpolitik beim BUND, glaubt, „dass mehrere Stress­faktoren zusammen­gekommen sind: erhöhte Temperaturen aufgrund der an­haltenden Hitze, niedrige Wasser­stände, die Bau­arbeiten zur Fluss­vertiefung, Nährstoff­einträge aus der Land­wirt­schaft sowie Schad­stoffe aus Abwasser­- und Regen­wasser­ein­leitungen oder Versickerungen. Dazu eine wahr­scheinlich giftige Substanz, die wir noch nicht kennen.“

Zusammengenommen und im Hinblick auf die sich verschärfende Klimakrise klingt das, als wären vergleichbare Katastrophen an anderen deutschen Gewässern in der Zukunft nicht völlig unwahrscheinlich.

„Wir müssen Stressfaktoren verringern“

Der BUND-Experte fordert in einem aktuellen Sondernewsletter: „Wir müssen all diese Stressfaktoren verringern bzw. ganz beseitigen! Also weniger Dünger und Pestizide, die Gewässer belasten. Eine beschleunigte Energiewende, damit wir die Erderhitzung eindämmen. Kein weiterer Ausbau von Flüssen für die Schifffahrt bzw. Rückbau von Maßnahmen, die den natürlichen Lauf von Flüssen verändern.“

Damit sind Industrie, Landwirtschaft und Politik aufgerufen, mehr für den Gewässerschutz zu tun. Gleichzeitig können aber auch wir Verbraucher:innen dazu beitragen – etwa, indem wir durch unsere Konsumentscheidungen eine schonendere Bio-Landwirtschaft unterstützen, Wasser und Energie sparen, auf individueller Ebene klimafreundlicher handeln und darauf achten, keine möglichen Schadstoffe ins Abwasser gelangen zu lassen.

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