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„Früher waren die Sommer auch so heiß“ – Klima-Argument im Faktencheck

Früher gab es auch heiße Sommer?
Foto: CC0 Public Domain / Pexels - BARBARA RIBEIRO

Auch früher gab es in der Schule hitzefrei und wir schwitzten im Büro – Hitze im Sommer sei eben normal, so eine gängige Meinung. Aber stimmt das oder trügt uns unsere Erinnerung?

Immer wieder hören und lesen wir Aussagen wie folgende: „Früher gab es auch schon so heiße Tage.“ und „30 Grad und mehr sind im Sommer ganz normal.“. Stimmt das oder spielt uns unsere Erinnerung hier einen Streich?

So viele heiße Tage gab es früher tatsächlich

Für den DWD ist es ein „Hitzetag“ oder „heißer Tag“, wenn die maximale Lufttemperatur mehr als 30 Grad Celsius beträgt. Aus seinen Wetterdaten ist herauszulesen: In den meisten Sommern der 1970er und 1980er gab es deutschlandweit jeweils kaum eine Handvoll Hitzetage, besonders wenige etwa 1970 (2,0), 1977 (1,3), 1980 (1,5) oder 1987 (1,6). Doch um einen Trend zu bestimmen, müssen Wetter-Phänomene über mehrere Jahrzehnte betrachtet werden. Auch dafür hat der DWD Daten.

8,9 Hitzetage pro Sommer gab es in Deutschland in den 30 Jahren zwischen 1991 und 2020 im Mittel, in der Periode zuvor (1961 bis 1990) lag der Wert noch bei weniger als der Hälfte: Nur 4,2 heiße Tage gab es damals im Schnitt jährlich.

Das zeigt sich auch, wenn man sich anschaut, wie oft es mehr als zehn Hitzetage gab. In den 50 Sommern vor dem Jahr 2000 war das nur dreimal der Fall: 1976 (10,2), 1994 (16,3) und 1995 (10,5). Schlusslicht ist bis heute 1956 mit deutschlandweit 0,6 heißen Tagen.

Zum Vergleich: In den 25 Jahren seit der Jahrtausendwende gab es schon elf Sommer mit mehr als zehn Hitzetagen, die meisten davon sogar in der jüngsten Vergangenheit. Spitzenreiter ist 2018 mit 20,4 heißen Tagen, 2024 gab es 12,5. Es zeigt sich also: Im langjährigen Trend betrachtet steigt die Zahl der heißen Tage in Deutschland.

Auch über 40 Grad werden häufiger

1983 wurde in Gärmersdorf bei Amberg (Oberpfalz) ein bis 2001 gültiger Temperaturrekord von 40,2°C gemessen. Es war das erste Mal seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881, dass es in Deutschland über 40 Grad Celsius heiß war. Seit den 2000er Jahren dagegen wurde diese Temperatur wiederholt gemessen: im „Jahrhundertsommer“ 2003, im August 2015 an drei Stationen gemessen, vier Jahre später im Juli 2019 sogar an 25 Stationen. Und die Abstände werden immer kürzer: Auch im Juli 2022 war es über 40 Grad heiß.

„In 20 Jahren wird womöglich in jedem Sommer irgendwo in Deutschland eine Temperatur von mehr als 40 Grad gemessen“, sagt Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) 2024 gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Hitzewellen werden zunehmen, es wird immer wieder Rekordtemperaturen geben.“

Psychologin: „Temperaturentwicklungen sind für unser Gehirn nicht wichtig genug“

Warum glauben wir trotz eindeutiger Daten, dass sich die Temperaturen im Sommer nicht geändert haben? Utopia.de hat bereits 2022 mit Kommunikationspsychologin Anita Habel darüber gesprochen. Deren Aussagen von damals sind auch heute noch relevant und gültig.

Die verzerrte Erinnerung habe mehrere Gründe: Zunächst neigen wir Menschen dazu, uns die Dinge zu merken, die emotional wichtig für uns waren. „Temperaturentwicklungen sind für unser Gehirn nicht wichtig genug, wir können uns schwer an Details erinnern, die für uns keine wichtige Rolle gespielt haben“, so Anita Habel.

Auch verschätzen wir uns, wenn wir uns beispielsweise daran erinnern wollen, wie viele Tage hintereinander es heiß war. „Dauern und Häufigkeiten können wir schwer einschätzen, vor allem wenn es sich um alltägliche Dinge wie das Wetter handelt“, weiß die Psychologin.

Wichtige Details und Ereignisse bleiben dagegen einfacher im Gedächtnis. Habel erklärt: „Wenn Details Kontraste zum Alltag darstellen, merken wir sie uns.“ Habe ich an einem heißen Tag beispielsweise einen Sonnenstich erlitten, kann ich mir besser merken, dass es an diesem Tag über 35 Grad Celsius hatte.

Klima ändert sich nicht schnell genug, als dass wir es sofort bemerken würden

Doch nicht nur Erinnerungen spielen laut der Expertin in diesem Kontext eine Rolle, sondern auch die menschliche Wahrnehmung. „Menschen können Veränderungen schwerer einschätzen, wenn diese sich langsam, also nicht schlagartig, vollziehen.“ Bei der Klimakrise und den schleichend steigenden Temperaturen sei dies der Fall, denn erst über einen längeren Zeitraum fallen die klimatischen Veränderungen im Alltag auf.

„Deswegen ist es so wichtig, die wissenschaftlichen Befunde ernst zu nehmen, auch wenn diese noch nicht mit dem eigenen Erleben zusammenpassen. Denn sie belegen zweifelsfrei: Es wird heißer“, sagte Habel im Gespräch mit Utopia.de.

Fazit: Wir erinnern uns nicht unbedingt falsch daran, wie heiß es früher war. Aber wir erinnern uns nicht genau genug daran, um verlässliche Aussagen zu treffen.

Auch Meteorologe Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) sagt: „In der Erinnerung bleiben vor allem persönliche Rekordmomente und Extreme.“ Besonders warme und sonnenreiche Sommer hielten sich eher im Gedächtnis als die regenreichen und kälteren. „Der Mensch erinnert sich eben statistisch nicht sauber„, so der Wetterexperte.

Hitze und extreme Niederschläge treten häufiger auf

Einzelne Hitzerekorde können immer wieder auftreten, doch durch den Klimawandel werden sie sich häufen. Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig erklärt: „Ein einzelnes Extremereignis ist erstmal immer nur eine Manifestation von Wetter“. Dieses könne theoretisch unter vielen Klimabedingungen auftreten. „Was sich ändert, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen, wie Hitze- und Niederschlagsextreme.“

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„Eine Hitzewelle, die ohne Klimawandel ein Jahrhundertereignis gewesen wäre, ist jetzt normaler Sommer„, sagt Friederike Otto vom Environmental Change Institute an der Universität in Oxford. „Das, was ohne Klimawandel unmöglich gewesen wäre, sind jetzt die neuen Extremereignisse.

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