Ginseng ist wohl die bekannteste Arzneipflanze aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Sie steht im Ruf, das Altern praktisch aufhalten zu können und beinahe alle Altersbeschwerden zumindest zu lindern.
Die Ginsengwurzel soll als Tee, Extrakt oder Pulver das Immunsystem stärken, gegen Alzheimer helfen und die geistige Leistungsfähigkeit steigern. Außerdem soll sie Müdigkeit vertreiben, die Rekonvaleszenz nach schweren Krankheiten oder Operationen beschleunigen und eine Potenz steigernde Wirkung haben.
Bei dieser beeindruckenden Liste an Anwendungsgebieten ist es kein Wunder, das Ginseng auf Deutsch auch als „Allheilwurzel“ bezeichnet wird. Aber stimmen alle diese Behauptungen wirklich oder ist das alles nur eine Möglichkeit, die gar nicht bewiesen ist? Das wollten wir herausfinden und sind bei unserer Recherche auf noch einen ganz anderen, negativen Aspekt der angeblichen Wunderwurzel gestoßen.
Typologie und botanische Eigenschaften des echten Ginseng aus Korea
Die Bezeichnung Ginseng wird umgangssprachlich für mehrere asiatische Wurzeln verwendet, die alle die sogenannten Ginsenoside enthalten. Bei Panax Ginseng, dem echten Ginseng aus Korea, ist die Konzentration und damit die Wirkung aber am höchsten. Andere Namen für den echten Ginseng sind auch Koreanischer oder Asiatischer Ginseng.
Ursprünglich kam die krautige Pflanze, deren Wurzeln als natürliche Arznei gelten, aus den Laub- und Mischwäldern Koreas, ein paar kleine Vorkommen des wilden Ginsengs gab es auch im nordöstlichen China. Mittlerweile gibt es aber kaum noch wild wachsende Pflanzen, der heutige Ginseng stammt aus Plantagen. Geerntet und angebaut wird die Ginsengwurzel aber immer noch per Hand, da sie sehr pflegeintensiv ist. Der Name „Ginseng“ stammt übrigens aus dem Chinesischen und bedeutet übersetzt in etwa „Menschenwurzel“.
Ginseng ist eine sehr langsam wachsende Pflanze, erst nach mindestens vier, besser sechs bis acht Jahren können die Wurzeln geerntet werden.
Welche Wirkung hat die Ginsengwurzel?
In der TCM sowie in Korea hat Ginseng als Heilpflanze eine lange Tradition, seit über 2000 Jahren wird die zerriebene Wurzel dort genutzt. In Europa ist die Pflanze etwa seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Als Heilpflanze anerkannt wurde sie hierzulande erst im 20. Jahrhundert. Die in der Wurzel enthaltenen Wirkstoffe, die Ginsenoside, wurden mehrfach auf ihre Wirkung in den traditionellen Anwendungsgebieten untersucht.
Die Ginsengwurzel wird vor allem als belebendes Mittel geschätzt, das den Stoffwechsel anregt, munter macht und das Immunsystem stärkt. Damit sollte die Allheilwurzel bei fast jeder Art von Krankheit zumindest unterstützend wirken und die Rekonvaleszenz beschleunigen. Aus demselben Grund wird Ginseng auch ein Anti-Aging-Effekt zugeschrieben, die Ginsenoside sollen auch als Radikalfänger und Antioxidantien dienen. Das wiederum soll gerade, aber nicht nur, bei älteren Menschen zu besseren kognitiven und motorischen Leistungen führen. Zudem deuten mehrere Untersuchungen in amerikanischen Kliniken darauf hin, dass Ginseng Stress, Entzündungen und das Krebsrisiko senken kann.
Auch als Mittel gegen Alzheimer ist die Ginsengwurzel ein heißer Kandidat. Noch ein wichtiges Wirkspektrum hat die Wunderwurzel: Sie soll Potenz und Libido bei Männern fördern und Frauen bei Wechselbeschwerden helfen.
Ist die Ginsengwurzel also tatsächlich eine Allheilwurzel?
Dadurch, dass die Ginsengwurzel schon vor längerer Zeit als pflanzliches Heilmittel anerkannt wurde, gibt es eine Reihe von Studien zu den diversen Anwendungsgebieten. Sie alle lassen vermuten, dass Ginseng die behaupteten Wirkungen wirklich haben könnte. Aber (und es gibt immer ein „Aber“ bei solchen angeblichen Wundermitteln): So ganz stimmt das nicht. Sieht man sich die Studien genauer an, entdeckt man, dass diese nur in vitro (also im Reagenzglas) oder an Mäusen und Ratten durchgeführt wurden. Und selbst wenn es Versuche mit menschlichen Probanden gab, waren die Stichproben nur klein oder der Versuchsaufbau nicht geeignet, um andere Einflussfaktoren auszuschließen. Die Werbeversprechen der Hersteller über die angeblich wissenschaftlich bewiesene Wirkung sind also nicht korrekt. Die vorhandenen Ergebnisse liefern Hinweise, mehr aber auch nicht.
Als Muntermacher und belebendes Mittel in Zeiten erhöhter Belastung ist die Wurzel dagegen durchaus wirksam. Die Ginsenoside haben eine ähnliche Wirkung wie Koffein. Ginseng hat daher einige Nebenwirkungen, die unbedingt zu beachten sind. So kann die belebende Wirkung zu Bluthochdruck und Herzrasen führen; außerdem verstärkt sie die Wirkung von Koffein. Des weiteren verstärkt Ginseng die Blutungsneigung und ist daher vor allem in Verbindung mit ASS (Wirkstoff in Aspirin) und Cumarinen (Blutgerinnungshemmer) gefährlich. Diabetiker, Menschen, mit hohem Blutdruck und alle, die die genannten Medikamente nehmen, sollten daher besser vor der Einnahme mit ihrem Arzt sprechen.
Die Einnahme: Ginsengtee, Kapseln und Tabletten
Radix Ginseng, die Ginsengwurzel, verarbeitet man auf zwei Arten: Der weiße Ginseng wird nur getrocknet und zu Ginsengpulver vermahlen, der rote Ginseng wird vor dem Trocknen gekocht und erhält dabei seine Farbe. Wirksamer ist angeblich die rote Variante. Eingenommen wird eher selten das reine Pulver, dieses wird auch nicht zum Kochen oder Backen verwendet. Entweder wird es konzentriert in Kapseln gefüllt oder zu Tabletten gepresst, oder es wird als Ginsengtee getrunken. Zusätzlich wird die Allheilwurzel auch noch in Form von Extrakten oder Tonikum verkauft.
Für Ginsengtee übergießt du etwa drei Gramm Ginsengpulver mit 150 Milliliter heißem Wasser und lässt den Sud fünf bis zehn Minuten ziehen; dann seihst du den Tee ab und genießt ihn. Ginsengkapseln und -tabletten sollten nach den Angaben auf der Packung dosiert werden. Die Anwendung sollte täglich über mindestens vier Wochen erfolgen, da die Wirkung nicht sofort einsetzt. Mediziner empfehlen, nach drei Monaten eine mehrmonatige Pause einzulegen, da es keinerlei Studien über die Langzeitwirkung der Allheilwurzel gibt. Danach kann Ginseng wieder für drei Monate eingesetzt werden.
Ginseng kaufen
Dass der Preis von Ginseng hoch ist, liegt an dem aufwendigen Anbau von Hand. Die koreanische Wurzel wird über mindestens vier Jahre gepflegt und gegossen, bevor sie von Hand geerntet, schonend getrocknet (weißer Ginseng) oder gekocht und getrocknet (roter Ginseng) und anschließend in feine Scheiben geschnitten oder zermahlen wird.
Für 30 Gramm reiner Ginsengwurzel musst du mit mindestens 40 Euro rechnen, bei Kapseln, Extrakt, Tonikum und Tabletten ist der Preis vom Gehalt der Allheilwurzel abhängig – je mehr, desto teurer. Trotzdem solltest du lieber einen Blick auf die Packung werfen: Nicht immer spiegelt der Preis die Qualität. Und nicht immer steckt der echte koreanische Ginseng in „Ginseng“-Produkten. Hochwertigen Ginseng kaufen kannst du natürlich im Internet in diversen spezialisierten Onlineshops, in Apotheken und Reformhäusern.
Die Produktion in Ginsengfarmen – alles andere als ökologisch und nachhaltig
Ginseng ist zwar eine uralte Heilpflanze aus dem asiatischen Raum. Sie hat jedoch mehr als einen Nachteil. Bis die Wurzel des Krauts ihre Wirkung entfalten kann, muss sie mindestens vier, besser sechs bis acht Jahre alt sein. Dazu ist der Anbau sehr aufwendig, die Pflanzen brauchen eine bestimmte Zusammensetzung der Erde, die an Waldboden erinnert. Um die Lichtverhältnisse herzustellen, muss Ginseng mit Bambusmatten beschattet werden. Und jedes Unwetter, Dürre oder Schädlinge bedrohen die Ernte – bei durchschnittlich sechs Jahren Wachstum ist die Gefahr eines Ernteausfalls entsprechend hoch. Um das Risiko zu vermindern, werden speziell in China, woher rund 80 Prozent der Weltproduktion stammen, gerne und großzügig Pestizide eingesetzt.
Der Rest kommt großteils aus Korea, wo die Qualität deutlich höher ist, auch Bio-Ginseng wird dort angebaut. Wirklich kontrolliert ist der Bio-Anbau aber auch in Korea nicht.
Hinzu kommt: Ginseng laugt den Boden extrem aus. Nach der Ginseng-Ernte braucht es rund 20 Jahre mit anderen, den Boden sanierenden Pflanzen, bis sich ein Anbaugebiet wieder erholt hat. Angesichts der Welternährungsproblematik ein ziemlicher Nachteil der Allheilwurzel.
Die asiatische Wunderwurzel kann in sämtlichen Gegenden der gemäßigten Klimazone wachsen. Tatsächlich gibt es seit einigen Jahren kleinere Plantagen mit biologischem Anbau in Deutschland (Lüneburger Heide und Brandenburg), in Österreich (Waldviertel) und in der Schweiz (bei Ginseng Helvetica wird Ginseng nur unter Dach gezogen, sodass auf Fungizide verzichtet werden kann).
Muss es wirklich Ginseng sein?
Der Großteil des Ginsengs, der heute erhältlich ist, stammt aus Plantagen, mit allen ihren negativen Aspekten. Dazu kommt noch der Transport aus China oder Korea (eventuell noch Japan oder Sibirien). Die große Entfernung macht die Ökobilanz nicht gerade besser. Wildvorkommen wären ökologisch verträglicher, weil sie in Laub- oder Mischwäldern wachsen. Die Beanspruchung des Bodens fällt für Bäume mit ebenfalls sehr langen Lebenszyklen nicht so sehr ins Gewicht, Pestizide würden auch kaum oder gar nicht genutzt. Doch: es gibt so gut wie keine Wildvorkommen mehr. Durch die gestiegene Nachfrage nach der Ginsengwurzel wurden in Korea und China alle Vorkommen abgesammelt. Lediglich im Südosten Sibiriens gibt es noch wilden Ginseng, der streng geschützt ist.
Erheblich besser sieht die Ökobilanz bei den kleinen Anbietern aus, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz Ginseng selbst anbauen und online vertreiben. Große Mengen darf man von ihnen allerdings nicht erwarten: So gibt es beispielsweise bei FloraFarm nur alle sechs Jahre eine neue Ernte (im Oktober war es so weit).
In Summe ist die Wunderwurzel eher schädlich für unseren Planeten. Die Wirkung ist wissenschaftlich nicht bewiesen oder nicht wirklich relevant. Es gibt unzählige heimische Pflanzen, Obst- und Gemüsesorten, die ebenfalls belebend positiv auf das Immunsystem oder den Stoffwechsel wirken. Wenn du nicht gerade bei einem „Anbauer deines Vertrauens“ einkaufst, raten wir von Ginseng eher ab. Heimische Alternativen wie Knoblauch, Hagebutten oder Kürbis sind die bessere Wahl.
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