Natürliche, rohe und ursprüngliche Lebensmittel werden auf Social Media gerade als „Gottesnahrung“ gehyped. Was steckt hinter dem Trend? Welche Vorteile haben unverarbeitete Lebensmittel? Und welche Kritik gibt es?
Auf TikTok, Youtube und Instagram posten Fitness-Influencer:innen Content zum Thema Gottesnahrung. Hauptsächlich durchtrainierte Männer werben für Datteln mit Weidebutter, knabbern rohe Möhren, essen Eier vom Bio-Bauernhof und präsentieren Buchweizen-Pizza mit Rohmilchkäse auf Holzbrettern. Sie warnen vor schädlichen hochverarbeiteten Lebensmitteln und kritisieren andere Influencer:innen, die Proteinpulver und Süßstoffe empfehlen.
Was ist Gottesnahrung?
Bei der sogenannten „Gottesnahrung“ oder „Gottes Nahrung“ geht es darum, Lebensmittel so natürlich wie möglich zu konsumieren, ohne künstliche Zusätze, ohne unnötige Verarbeitung. Die Idee: Je unverarbeiteter das Essen, desto näher ist es an dem, was die Natur für uns vorgesehen hat – also quasi „von Gott gegeben“. Verarbeitete Produkte und stark veränderte Lebensmittel, die Zucker oder Zusatzstoffe enthalten, werden vom Speiseplan gestrichen.
Inwieweit der Trend mit Religion zusammenhängt, wird unterschiedlich interpretiert: Fallweise wird sich auf die Bibel als Anleitung für ein gesundes Leben bezogen. Dort seien Lebensmittel wie Obst und Gemüse, Honig, Milch und Fleisch in einem heilenden Kontext erwähnt. Für andere Influencer:innen spielt die Religion für die Ernährungsform keine Rolle.
Was sind die Kriterien für den Trend?
Lebensmittel, die als Gottesnahrung gelten, erfüllen bestimmte Kriterien:
Gottesnahrung ist roh und nährstoffreich
Besonders wichtig ist der natürliche Ursprung der Lebensmittel: Sie sollen direkt aus der Natur kommen, ohne künstliche oder industrielle Verarbeitung. Bei Produkten wie Honig, Sauerkraut oder Milchprodukten – die ja nicht ganz ohne Verarbeitung auskommen – wird auf Rohprodukte gesetzt. Rohprodukte seien trotz Verarbeitung noch näher am Ausgangsprodukt und sollen mehr Nährstoffe enthalten als stärker verarbeitete Produkte.
Gottesnahrung ist bio und qualitativ hochwertig
Neben dem natürlichen Ursprung ist im Gottesnahrungs-Trend die Qualität der Lebensmittel wichtig: Produkte sollten in der höchstmöglichen Qualität gekauft oder sogar selbst angebaut werden. Häufig werden Lebensmittel aus biologischem Anbau empfohlen, da diese Produkte ohne Pestizide, künstliche Düngemittel und gentechnikfrei produziert werden. Dabei reicht das grüne EU-Bio-Siegel jedoch nicht aus: Die Lebensmittel sollen möglichst direkt vom Demeter– oder Bioland-Bauernhof kommen und nicht vom Discounter.
Selbst beim Trinkwasser wird empfohlen, die bestmögliche Qualität in Form von reinem Quellwasser zu wählen. Leitungswasser aus dem Wasserhahn gilt bei vielen Anhänger:innen als ungesund, da es Schadstoffe enthalten könne.
Gottesnahrung ist frei von Zucker
Zucker oder Zuckerersatzstoffe sind bei Anhänger:innen der Gottesnahrung nicht erlaubt. Auch Produkte, die süß schmecken und beim Abnehmen helfen sollen, wie beispielsweise Süßstoffe oder Proteinpulver, zählen nicht zur Gottesnahrung. Natürliche Süße darf höchstens aus rohem Honig oder von Früchten wie Datteln stammen.
Es geht um mehr als die Ernährung
Teilweise ist die Gottesnahrung, wie sie in den sozialen Medien derzeit angepriesen wird, eher eine Lebensphilosophie oder ein Lifestyle als eine reine Ernährungsform. Es wird versucht alle Schadstoffe aus dem Leben zu verbannen: Alltägliche Produkte wie Duschgel, Waschmittel, Reinigungsmittel und Parfum sollen so natürlich wie möglich sein. Umweltfreundliche Reinigungsmittel, Alepposeife, Waschnüsse oder biologische Duftöle werden konventionellen Produkten vorgezogen.
Kleidung und Bettwäsche soll bevorzugt aus natürlichen Materialien wie Bio-Baumwolle bestehen. Anstelle von Küchenutensilien aus Kunststoff werden Produkte aus Holz bevorzugt und anstelle einer beschichteten Pfanne sollte es eine gusseiserne Pfanne sein.
Der Lifestyle bezieht sich auch auf weitere Aspekte des Lebens: Auf Social Media werden Menschen dazu aufgefordert „Gottes Beine“ zu nutzen anstelle von beispielsweise E-Rollern. Die Influencer:innen empfehlen, weniger Zeit auf TikTok zu verbringen und die Zeit eher zum Lesen von Büchern über Ernährung zu nutzen.
Welche Effekte hat Gottesnahrung?
Die Idee bei dem Trend ist es, den Körper als heiligen Tempel zu betrachten, den man so gut wie möglich mit Nährstoffen versorgt und vor schädlichen Stoffen schützt. Menschen, die sich entsprechend ernähren, berichten von positiven Effekten wie zum Beispiel:
- mehr Energie und bessere kognitive Leistungsfähigkeit
- bestmögliche Versorgung mit Nährstoffen
- bessere Verdauung
- reinere Haut
- stärkeres Immunsystem
- Gewichtsabnahme ohne Kalorienzählen
- höhere Testosteronwerte
Zudem wird auf die spezifischen gesundheitlichen Vorteile bestimmter Lebensmittel hingewiesen: Honig wird für seine entzündungshemmenden Eigenschaften geschätzt. Karotten sollen überschüssiges Östrogen binden und eine schöne Hautfarbe im Winter machen. Olivenöl soll positiv auf das Herz-Kreislauf-System wirken.
Diese Lebensmittel sind „Gottesnahrung“ – Liste
Zu den Lebensmitteln, die der Gottesnahrung zugeordnet werden, zählen hauptsächlich bestimmte Obst- und Gemüsesorten, aber auch einige weitere Produkte:
- Gemüse: Ingwer, Chili, Kräuter, Karotten, Kartoffeln, Knoblauch, Zwiebeln, Sellerie, Süßkartoffeln, Rote Bete, Kimchi und Sauerkraut (Roh, nicht pasteurisiert)
- Obst: Ananas, Beeren, Granatapfel, Äpfel, Avocado, Bananen, Datteln, Heidelbeeren, Mango, Trauben mit Kernen, Orangen, Papaya, Sauerkirschen, Wassermelone, Zitronen
- Fette / Öl: Avocadoöl, Weide- oder Rohmilch-Butter, Ghee, Kokosöl, Olivenöl (nativ, kalt gepresst), Schwarzkümmelöl, Rindertalg
- Tierisches Protein: Eier von freilaufenden Hühnern, Hähnchen, Rindfleisch, Rohmilch, Rohmilch-Kefir, Rohmilchkäse, Wildlachs, Ziegenjoghurt
- Snacks, Getränke & Würzmittel: Apfelessig, Kokoswasser, Kakaonibs, Rohkakao, Nüsse, Pfeffer, Roher Honig, Ur-Salz, Zartbitterschokolade
Zwei Tipps auf Social Media, wie man Gottesnahrung erkennen kann: Der Großmutter-Test und der Blick auf die Zutatenliste. Produkte, die deine Oma schon kannte und die keine Zutatenliste haben, sondern nur aus einer Zutat bestehen, gelten als Gottesnahrung.
Übrigens: Hülsenfrüchte sind bei dem Trend umstritten. Sie enthalten zwar wertvolle Proteine, aber auch hemmende Stoffe wie Phytinsäure und Lektine.
Welche Kritik gibt es an dem TikTok-Trend?
Grundsätzlich klingt der Trend nach einer potenziell gesunden Ernährungsform. Trotzdem gibt es Kritikpunkte. Einer davon sind überzogene Gesundheitsversprechen: Viele Influencer:innen behandeln bestimmte Produkte wie Wundermittel, dank derer Krankheiten geheilt werden und das ganze Leben gesünder wird. Viele der empfohlenen Lebensmittel sind tatsächlich gesund und empfehlenswert. Allerdings gibt es in den Videos viele Aussagen, die keine wissenschaftliche Grundlage haben.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umweltaspekt. Zwar werden bevorzugt umweltschonende Bio-Produkte verwendet, gleichzeitig gibt es auch fragwürdige Empfehlungen: Lebensmittel wie Avocados, Kokosnüsse, Papayas oder Datteln müssen importiert werden und haben lange Transportwege hinter sich. Fleisch und Milchprodukte wie Rohmilch, Butter und Rohmilchkäse spielen in der Gottesnahrung eine wichtige Rolle, zählen jedoch zu den klimaschädlichsten Lebensmitteln.
Insbesondere die Empfehlung von Rohmilch ist kontrovers: Während die Influencer:innen Rohmilch als besonders natürlich und gesund bezeichnen, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor möglichen Gesundheitsgefahren. Rohmilch kann mit krankmachenden Keimen kontaminiert sein. Deshalb sollten Kinder, Schwangere, kranke oder ältere Menschen Rohmilch nicht ungekocht verzehren, so empfiehlt es das BfR. Aber auch für gesunde Erwachsene besteht beim Verzehr von nicht abgekochter Rohmilch ein erhöhtes Risiko einer Lebensmittelinfektion.
Wichtig: Obwohl es sich bei der Gottesnahrung grundsätzlich um eine gesunde Ernährungsform handelt, werden verarbeitete Produkte teilweise aggressiv als ungesund angeprangert und abgelehnt und die eigene Ernährungsweise als die einzig richtige angepriesen. Eine so dogmatisch umgesetzte Ernährungsweise kann unter Umständen Essstörungen begünstigen.
Utopia-Fazit: Balance statt Dogma
Die Gottesnahrung steht für unverarbeitete Lebensmittel und eine prinzipiell gesunde Ernährungsform. Die Influencer:innen setzen sich für einen gesunden Lifestyle ein und empfehlen umweltschonende Bio-Produkte. Gleichzeitig gibt es aber berechtigte Kritik, vor allem an überzogenen und unbelegten Gesundheitsversprechen, der Empfehlung von klimaschädlichen tierischen Lebensmitteln und potenziell gefährlicher Rohmilch. Eine dogmatische Auslegung jedes Ernährungstrends birgt zudem das Risiko von Essstörungen.
Im besten Fall kann dieser Trend motivieren, sich stärker mit gesunder Ernährung zu beschäftigen, Essen selbst zuzubereiten und weniger verarbeitete Lebensmittel zu konsumieren. Dabei gilt es eine gute Balance zwischen einer gesunden Ernährung mit allen wichtigen Nährstoffen, Nachhaltigkeit und Genuss zu finden.
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
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