Fünf Millionen Pakete verschicken die Deutschen pro Tag. Die Kartons verschlingen Unmengen Holz, Wasser, Chemie und Energie. Neue Versandkartons aus Gras sollen den Öko-Fußabdruck minimieren. Aber funktioniert das wirklich?
Stell dir vor, du bestellst Kleidung – und sie kommt in einem Paket aus Heu. Gehäckselt, zerrieben, zu Karton gepresst. In mattgelb, mit zart-glänzenden Heu-Stückchen drin. Genau das passiert, wenn du zum Beispiel ein T-Shirt bei der Fair-Fashion-Marke Armedangels bestellst. Die Firma versendet ihre Öko-Mode nicht mehr in Kartons aus Papier, sondern hat seit März auf „Grasboxen“ umgestellt. Weil Gras fast überall und ständig nachwächst, mehrmals im Jahr geerntet werden kann und dabei kein Wald vernichtet wird.
Das klingt gut, denn: Unsere Online-Bestellungen können noch so öko und fair sein – wenn es die Kartons nicht sind, ist der ökologische Fussabdruck trotzdem hoch. Allein in Deutschland verschicken wir täglich mehr als fünf Millionen Pakete – und vor allem deshalb steigt unser Papierverbrauch noch immer an. Viel Papier, das bedeutet auch: viel frisches Holz. Und das kommt vor allem aus den Urwäldern: Die Papierindustrie ist einer der wesentlichen Regenwaldzerstörer, zum Beispiel im indonesischen Borneo.
Papier aus Gras: geringer Wasserverbrauch und keine Chemie
„Klar, da gibt es recyceltes Altpapier. Aber geht es auch noch nachhaltiger?“ Diese Frage stellte sich Armedangels – und kam auf den Graskarton. Denn damit Gras zu Papier oder Karton wird, braucht es laut Graspapier-Hersteller Creapaper kaum Ressourcen: keine Chemie, nur Gras und wenig Wasser. Das Heu wird zu sehr kurzen Fasern gehäckselt, weiter zerrieben und mechanisch zu Pellets gepresst. Papierfabriken verwandeln diese mithilfe von Wasser in Papier und Kartonagen. Pro Tonne Graspapier sind nur zwei Liter nötig, während die gleiche Menge Papier aus Zellstoff, also Holz, 6.000 Liter Wasser verbraucht.
Auch sonst kann das Papier aus Gras sparsam produziert werden: Es benötigt nur ein Zehntel der Energie im Vergleich zu holzbasiertem Papier. Und 75 Prozent weniger CO2, denn die Transportwege sind kurz. Das Gras der Armedangel-Grasboxen stammt von Ausgleichsflächen auf der Schwäbischen Alb, nicht weit von der Papierfabrik. Standard-Zellstoff wird dagegen im Durchschnitt 4.000 Kilometer weit transportiert.
Der Grund für den verbrauchsarmen Prozess: Gras enthält im Gegensatz zu Holz kein Lignin. Das ist der pflanzliche Klebstoff, mit dem Bäume so hoch wachsen können. Und der mit viel Chemie und Wasser herausgelöst werden muss, wenn aus hartem Holz weicher Zellstoff werden soll.
Doch nicht nur bei der Verpackung setzen Hersteller auf Graspapier: Beim Hamburger Label Kiss My World gibt es schöne Hefte, Kalender oder Ordner in minimalistischem Design aus dem Material. Derzeit läuft ein Crowdfunding für die Produkte auf Ecocrowd.
Graspapier mit 50 Prozent Holzanteil
Zu schön um wahr zu sein? Tatsächlich minimiert Graspapier den Holzverbrauch nur. Denn der Armedangels-Karton etwa besteht lediglich zu 40 Prozent aus Gras. Die Kalender, Schulhefte, Mappen oder Klemmbretter von Kiss My World bestehen bis zu 50 Prozent aus Gras. Der Rest ist weiterhin herkömmlicher Zellstoff, allerdings immerhin FSC-zertifziert (sowohl bei Armedangels als auch bei Kiss My World), weil der Karton sonst nicht stabil genug wäre. Creapaper arbeitet daran, den Anteil auf 60-70 Prozent zu erhöhen.
Die Vorteile der Graskartons haben längst auch große Konzerne erkannt: Besonders für die Verpackung von Obst und Gemüse nutzen Supermärkte wie Rewe, Penny, Edeka oder Norma Graskarton. Und Aldi-Süd, die momentan ihre Bio-Äpfel darin verpacken. Denn klassische Altpapier-Kartons enthalten oft schädliche Druckfarbenrückstände – Graspapier ist hingegen sauber. Weitere Creapaper-Kunden sind Otto – mit einem Schuhkarton aus Gras -, Tee Gschwendner mit einer Teeverpackung oder VW mit einem Duftbaum aus Graspapier.
Doch lange würden die Wiesen der Schwäbischen Alb nicht reichen, wenn die ganze Welt mit Graspapier versorgt werden soll. Creapaper arbeitet bereits daran, „überall auf der Welt Papier mit Grasfaseranteil aus der Region dezentral herstellen zu lassen“, sagt Creapaper-Geschäftsführer Uwe D’Agnone. Dafür hat die Firma eine Anlage konzipiert, die 25.000 Tonnen Grasfaserpellets pro Jahr produzieren kann. Die Idee: Creapaper betreibt diese Anlagen in der Nähe der Papierfabrik, stellt selber aus regionalem Gras die Pellets her und verkauft diese an die Fabrik – die daraus Papier und Pappe herstellt.
„Die Frage ist, wieviel Fläche das brauchen würde – und ob das in Nahrungskonkurrenz zur Viehwirtschaft tritt“, sagt Sonia Grimminger, Umweltchemikerin vom Umweltbundesamt. Die Flächen auf der Schwäbischen Alb sind weitgehend ungenutzte Ausgleichsflächen, die als Biotope erst spät gemäht werden – und damit zu verholzt, um sich noch als Futter zu eignen, so Armedangels. Dazu kommt, zumindest in Deutschland, ein Heu-Überschuss, wie eine Studie belegt: Weil in der Tierhaltung immer mehr Ackerfutter anstelle von Wiesenheu verfüttert wird, seien allein in Rheinland-Pfalz fünf Prozent oder 62.000 Tonnen Heu pro Jahr übrig. Das ist: viel Heu. Und offenbar für Graspapier in Deutschland erstmal genug.
Einfach auf den Kompost: Kartons aus Gras sind recycelbar
Bleibt noch die Frage, wie gut sich Graskartons wiederverwenden und recyceln lassen. Die Festigkeit sei vergleichbar mit Altpapierkartons, nicht mit Frischfaserkartons, schreibt Eva Höhner von Creapaper. Die Langlebigkeit der Kartons könnte das zwar etwas einschränken. Aber wenn der Karton kaputt ist: einfach in die Altpapiertonne damit, genau wie herkömmliche Kartons. Oder auf den Kompost.
„Das ist genau die Frage“, sagt dazu Tim Janßen vom Verein Cradle to Cradle e.V. Denn in den biologischen Kreislauf dürften nur wirklich gesunde Materialien zurückgehen. Doch Druckfarben und Klebstoffe verunreinigten Kartons oft so sehr, dass sie auf keinen Fall auf den Kompost gehörten. Wie Penny, Otto oder Ikea die Kartons bedrucken und verkleben, weiß auch Creapaper nicht.
Zumindest die Armedangels-Kartons sind mit gesundheitlich unbedenklicher, wasserbasierter Farbe bedruckt. Die Kartons sind gefaltet, nicht geklebt – und mit einem Paketband mit natürlichem Klebstoff versiegelt. Damit ist der biologische Kreislauf möglich – und auch Experte Janßen hält die Grasboxen für eine „grundsätzlich gute Innovation“.
Auch die Kalender, Hefte und Ordner von Kiss My World sind mit Cradle-2-Cradle-Farben bedruckt – und können somit theoretisch auf dem Kompost entsorgt werden. Praktisch funktioniert das im Moment noch nicht: Ösen, Gummis und weitere Materialien sind nicht biologisch abbaubar, das Label arbeitet aber an einer Lösung.
Weitere Alternativen: Verpackungen aus Pilz und Algen
In Algen verpackte Fischbrötchen – das soll es bei der Restaurantkette Nordsee bald geben. Die Kartons entwickelt die Firma für ihr wachsendes To-Go-Geschäft zusammen mit dem Alfred-Wegener-Institut und der Hochschule Bremerhaven. Auf jeden Fall kompostierbar, möglichst sogar essbar sollen die Verpackungen sein. Nach Algen schmecken, abfärben oder gar aufweichen soll die Verpackung natürlich nicht. Das Problem allerdings: Aus dem Biomüll fischen die Sortiermaschinen solche Verpackungen derzeit noch aus, weil die Zersetzung zu lange dauert – und dann werden sie am Ende meist doch verbrannt.
Einen besonderen Pilz züchtet die US-amerikanische Firma Ecovative direkt in die gewünschte Form. So entstehen exakt passende Verpackungen etwa für Weinflaschen. Dieser „Mycelium“-Pilz kann unterschiedliche Konsistenzen ausprägen: von einer festen, styroporähnlichen Verpackung über große, belastbare Paletten bis hin zu biegsamen Schaummaterialien. Zu den Kunden dieses schadstofffreien, biologischen Materials zählt bereits der Computerhersteller Dell.
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