Utopia-Redakteur Benjamin hat sich einem Selbstversuch unterzogen und 30 Tage in Folge ausgeschlafen. So ausgeruht war er sein ganzes Berufsleben noch nie – trotzdem war er unzufrieden.
Als ich im November 2022 meinen Job bei Utopia angetreten war, hatte ich mir etwas vorgenommen: Anstatt mich jeden Morgen aus dem Bett zu quälen und fünf Minuten vor Arbeitsbeginn wie ein Zombie Richtung Schreibtisch zu schlurfen – im Home Office zum Glück kein weiter Weg – wollte ich von nun an früh ins Bett gehen und ausgeschlafen in den Tag starten. Doch dazu musste ich erstmal herausfinden, wie viel Schlaf ich brauche.
Was heißt „ausgeschlafen“ überhaupt?
Eine Meta-Analyse von Scientific Reports aus dem Jahr 2016, die 35 Studien untersuchte, kam zum Schluss, dass die perfekte Schlafdauer für Erwachsene sieben Stunden pro Tag beträgt, um das Risiko eines vorzeitigen Todes zu minimieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) warnte jedoch 2022 in einer Pressemitteilung davor, sich zu eng an derartigen Richtwerten zu orientieren. Sieben Stunden Schlaf seien demnach „kein Garant für erholsamen Schlaf“ und der Schlafbedarf eines Menschen individuell sehr unterschiedlich.
Die meisten Erwachsenen hätten eine durchschnittliche Schlafdauer von etwa sechs bis acht Stunden und „sowohl Menschen, die einen chronischen Schlafmangel haben als auch Menschen, die regelmäßig zu lange (über 9 Stunden pro 24h) schlafen“, hätten ein erhöhtes Risiko für diverse Erkrankungen, erklärt die DGSM. Außerdem sei nicht nur die Schlafdauer, sondern auch die Schlafqualität entscheidend für die Erholungswirkung.
Neun Stunden Schlaf als Ziel
Wissenschaftliche Quellen konnten mir also nur sagen, dass alles zwischen sechs und neun Stunden pro Tag normal ist, aber eine genaue Angabe für meinen individuellen Schlafbedarf lieferten sie mir nicht. Wie man diesen herausfinden kann und vieles mehr rund um erholsame Nächte, erklärte mir eine Schlafmedizinern im Utopia-Interview:
Um herauszufinden, wie viel Schlaf ich brauche, nutzte ich die Woche Resturlaub aus meinem vorherigen Job. Ohne irgendwelche Verpflichtungen bin ich in dieser Zeit immer so lange im Bett geblieben, bis ich mich wirklich ausgeschlafen fühlte. Ich notierte mir meine jeweilige Schlafdauer, nahm den Durchschnitt und voilà: Offenbar benötigt mein Körper fast neun Stunden Schlaf pro Tag, um optimal ausgeruht zu sein.
Diese Erkenntnis hat mich überrascht, hatte ich doch davor immer zwischen sieben und acht Stunden geschlafen und dabei nie das Gefühl gehabt, nicht ausgeruht zu sein. Zwar hatte ich mich dabei jeden Morgen aus dem Bett gequält, aber nach zehn Minuten war die Müdigkeit meist schon dahin und auch Kaffee oder Tee hatte ich schon seit Jahren nicht mehr nötig gehabt.
Der Selbstversuch zum Ausschlafen
Um mein Ziel zu erreichen, jeden Tag neun Stunden zu schlafen, musste ich von nun an eineinhalb Stunden früher ins Bett gehen – zumindest an Werktagen. An Wochenenden ging ich durchaus auch mal spät nachts schlafen und blieb dann eben länger liegen. Allerdings habe ich mich auch nicht stur auf die neun Stunden festgenagelt. Manchmal war ich schon nach sieben oder acht Stunden hellwach und weiterschlafen wäre unmöglich gewesen. In den meisten Fällen habe ich die neun Stunden aber genutzt.
Jeden Tag ausschlafen: Die Vorteile
Ohne Frage: Jeden Tag satte neun Stunden zu schlafen, hat mein Wohlbefinden in mehrfacher Hinsicht verbessert. Es fühlt sich einfach gut an, früh morgens komplett ausgeruht aufzustehen und ohne Stress beim Frühstück und im Bad tiefenentspannt in den Tag zu starten. Im Vergleich mit den frühen Morgenstunden (bzw. -minuten) meines sonstigen Arbeitslebens war das ein starker Kontrast.
Wenn ich normalerweise um 8 Uhr arbeiten muss, stelle ich meinen Wecker auf 7.30 Uhr. Tatsächlich schaffe ich es aber oft erst um 7.50 Uhr aus dem Bett. Ich muss Vollgas geben, um mich in den verbleibenden zehn Minuten halbwegs frisch zu machen und trotzdem rechtzeitig an meinem Arbeitsplatz zu sein.
Ich kann ohne Übertreibung sagen: Die zehn Minuten zwischen Aufstehen und der Arbeit sind der Aspekt meines Alltags, den ich am wenigsten mag. Ich weiß, dass ich hier aus einer sehr privilegierten Position spreche. Nicht jede:r kann aus dem Home Office arbeiten. Aber bei vorherigen Jobs war es dann eben die Zeit zwischen dem Aufstehen und dem Verlassen der Wohnung, die mich quälte. Ich bin einfach kein Morgenmensch!
Diese Tortur durch längere Schlafenszeiten aus meinem Leben verbannen zu können, war sehr viel wert. Doch damit hörten die positiven Effekte nicht auf:
- Insgesamt habe ich mich während des Selbstversuchs körperlich und geistig fast durchgehend frisch gefühlt.
- Selbst wenn ich mal einen stressigen Tag hatte, hatten die neun Stunden Schlaf dafür gesorgt, dass ich am nächsten Morgen wieder ausgeruht und emotional ausgeglichen war.
- Außerdem hatte ich seltener mit trockenen Augen zu kämpfen, die mir bei der langen Bildschirmarbeit öfter mal zur Last werden.
Jeden Tag ausschlafen: Das Problem
Doch trotz dieser spürbar positiven Auswirkungen auf mein Wohlbefinden brachte das lange Ausschlafen auch ein entscheidendes Problem mit sich: Ich musste jeden Tag eineinhalb Stunden dafür opfern. Dabei sind es gerade diese eineinhalb Stunden, die den schönsten und entspanntesten Teil meines Alltags darstellen.
Um das mal rechnerisch aufzudröseln: Von 24 Stunden brauchte ich acht für die Arbeit und neun für den Schlaf. Eine weitere Stunde ging durch das ins Bett gehen und Aufstehen drauf. Dazu zähle ich die Morgen- und Abendhygiene, aber auch das im Bett liegen vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen.
1,5 Stunden entfielen in der Regel auf Kochen, Essen und Abspülen. Weitere 1,5 Stunden widmete ich der Erhaltung meiner Gesundheit, zum Beispiel durch Spaziergänge an der frischen Luft, Workout und Meditation. Eine weitere Stunde war nötig, um andere Aufgaben abzuhandeln, die im Leben einfach so anfallen. Sei es meine Finanzen zu managen, Weihnachtsgeschenke zu besorgen oder diverse Hausarbeiten.
Es blieben mir also nur zwei Stunden echte Freizeit pro Tag, die ich zu einem großen Teil meiner Freundin und anderen freundschaftlichen und familiären Kontakten widmen wollte. Zeit für mich und meine Hobbys blieb während des Selbstversuchs also kaum.
Außerdem fühlte ich mich mehr denn je einem konstanten Zeitdruck ausgesetzt, alle Aspekte meines Lebens irgendwie unter einen Hut zu bringen, weil der Hut kleiner war als gewohnt. Es ist ein wenig wie bei der Inflation: Die Tage waren theoretisch gleich lang, aber ich konnte weniger damit machen.
Fazit: Immer ausschlafen ist für mich keine Lösung
Was bringt es, so viel Zeit für Schlaf zu verwenden, wenn ich dafür ausgerechnet auf die Stunden verzichten muss, auf die ich mich in meinem Alltag am meisten freue? Diese Frage stellte ich mir während des Experiments. Zwar ist ausreichend Schlaf gut für die Gesundheit und trägt zu einem längeren Leben bei. Doch niemand kann mir garantieren, dass ich die investierten Stunden am Ende meines Lebens wirklich wieder zurückbekomme.
In dem Jahr nach meinem Selbstversuch bin ich deshalb wieder davon abgerückt, jeden Tag neun Stunden schlafen zu wollen. Stattdessen handhabe ich das seitdem flexibler. Ich höre mehr auf meinen Körper. Fühle ich mich besonders erschöpft, überlasse ich dem Schlaf den Vorzug. Doch meist genieße ich meinen Feierabend lieber noch ein bis zwei Stunden länger, sodass ich trotzdem auf mindestens sieben bis acht Stunden komme. In Ausnahmefällen kann es auch mal weniger sein. Doch dann weiß ich, dass sich mein Körper den Schlaf spätestens am nächsten Wochenende wieder zurückholt.
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