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Extreme Ernährungsform: Ist Rohkost wirklich gesund?

Wie gesund ist Rohkost?
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash.com – Natalia Rüdisüli

Was genau ist eigentlich Rohkost – und ist die Rohkost-Ernährung gesund oder nicht? Zu dem Ernährungstrend stellen sich viele Fragen. Utopia gibt Antwort und prüft Vorteile und Nachteile.

Rohkost klingt nach einschränkender Kost, in Wirklichkeit aber ist sie längst Bestandteil vieler gesunder Mahlzeiten, die wir im Alltag zu uns nehmen: Der Smoothie zum Frühstück, der Beilagensalat zum Hauptgericht, der Obstsalat zum Dessert, Sorbets, Säfte, Nüsse, Trockenobst – das ist alles Rohkost. Die ausschließliche Rohkost-Ernährung sieht allerdings noch ein bisschen anders aus.

Was ist eigentlich Rohkost?

An der Justus-Liebig-Universität in Gießen gab es in den 1990er-Jahren eine große Rohkost-Studie, bei der mehr als 700 Teilnehmer begleitet und untersucht wurden, die sich seit mindestens 14 Monaten von Rohkost ernährten. Von rund 200 Teilnehmenden konnten am Studien-Ende die vollständigen Daten ausgewertet werden. Aus dieser Studie stammt die gängigste Definition:

„Rohkost-Ernährung ist eine Kostform, die weitgehend oder ausschließlich unerhitzte pflanzliche (teilweise auch tierische) Lebensmittel enthält. Es werden auch Lebensmittel einbezogen, die verfahrensbedingt erhöhten Temperaturen ausgesetzt sind (z.B. kaltgeschleuderter Honig und kaltgepreßte Öle), ebenso Lebensmittel, bei deren Herstellung eine gewisse Hitzezufuhr erforderlich ist (z.B. Trockenfrüchte, Trockenfleisch, Trockenfisch und bestimmte Nußarten). Außerdem können kaltgeräucherte Erzeugnisse (z.B. Fleisch und Fisch) sowie essig- und milchsaure Gemüse Bestandteil der Rohkost sein.“

Wie vielfältig ist die Rohkost-Ernährung?

Wer sich wirklich ausschließlich von Rohkost ernährt, knabbert also nicht bloß rohe Möhren: Viele herkömmliche Gerichte lassen sich rohköstlich zubereiten: Pizza, Spaghetti (aus Gemüse), Suppe oder Kuchen etwa. Dank Dörren, Trocknen und Pürieren und die Kombination von Obst, Gemüse und Nüssen zeichnet die Rohkost-Ernährung sich durch eine erstaunliche Vielfalt aus.

Rohkost-Ernährung ist mehr als Obst & Gemüse
Rohkost-Ernährung ist mehr als rohes Obst & Gemüse. (Foto: © Unsplash)

Erhitzte Lebensmittel allerdings sind in der strengen Rohkost-Ernährung ausgeschlossen. Als “erhitzt” gelten Lebensmittel, die eine Temperatur über 42 Grad überschritten haben – auch wenn es nur kurzfristig war. Der Gedanke dahinter: Manche Eiweiße beginnen ab 42 Grad zu denaturieren. Daher halten manche Rohkost-Fans erhitzte Lebensmittel für “denaturiert” und nicht mehr vollwertig.

Auch wenn die Ernährungsform grundsätzlich vielseitig sein kann: Ob Rohkost – und das Ausschließen erhitzter Lebensmittel – langfristig gesund ist, ist nicht ganz eindutig. Mehr dazu unten.

Ist Rohkost vegetarisch und vegan?

Oft wird Rohkost mit veganer oder vegetarischer Ernährung gleich gesetzt oder verwechselt. Es ist zwar möglich, sich als Rohköstler:in vegan oder vegetarisch zu ernähren, jedoch nicht nötig. Tierische Bestandteile wie Rohmilchprodukte (auch Käse!), rohe Eier, roher Fisch und rohes Fleisch sind grundsätzlich erlaubt.

Dazu zählen Trockenfisch und Trockenfleisch, kalt geräucherte Fleisch- und Fischerzeugnisse und kalt „gegarte“ Produkte wie Matjeshering oder Ceviche sowie kalte Delikatessen wie Sushi oder Carpaccio. Rohkost-Ernährung kann also durchaus viele tierische Bestandteile enthalten.

Angeblich mehr Vitamine: Ist Rohkost wirklich gesund?

Ein Kerngedanke der Ernährung mit Rohkost ist, dass Vitamine durch das Erhitzen der Lebensmittel zerfallen und die Nahrung somit „nährstoffarmer“ würde. Tatsächlich ist das bei vielen Vitaminen so – ein klassisches Beispiel ist Vitamin C, das nicht nur beim Erhitzen, sondern auch bei unsachgemäßer Lagerung aus Obst und Gemüse schwindet. Allerdings deuten die Ergebnisse der großen Rohkost-Studie daraufhin, dass Rohkost nicht grundsätzlich nährstoffreicher ist.

Die Ergebnisse der Rohkost-Studie

Bei der Rohkost-Studie aus Gießen stellte man fest, dass die Teilnehmenden mit den Vitaminen B1, B6 und β-Carotin ausreichend versorgt waren. Bei den Vitaminen A und E sowie Magnesium und Eisen lässt sich zwar eine hohe Zufuhr verzeichnen, allerdings spiegelte sich diese nicht in den Blutwerten wider. Das lässt an der Gesundheit der Ernährungsform zweifeln.

Denn es deutet darauf hin, dass der Körper diese Nährstoffe aus rohen Lebensmitteln nicht richtig aufnehmen kann. Einerseits kann das daran liegen, dass fettlösliche Vitamine wie E und A nur in Kombination mit Fett optimal aufgenommen werden können. Möglicherweise haben die Probandinnen nicht ausreichend Fett aufgenommen. Andererseits zählen die beiden Vitamine zu denen, durch Erhitzen erst optimal bioverfügbar, also für unseren Körper aufnahmefähig gemacht werden.

Bei Nährstoffen wie Eisen liegt es vermutlich daran, dass Eisen aus pflanzlichen Lebensmitteln, die den Hauptteil der Rohkosternährung ausmachen, weniger gut verfügbar ist als Eisen aus tierischen Lebensmitteln.

Rohkost-Fans kann gesund, aber auch ungesund sein: oft fehlen Calcium, Zink, und einige Vitamine
Rohkost kann gesund, aber auch ungesund sein: Oft fehlen Calcium, Zink, und einige Vitamine (Foto: © Unsplash)

Die Gießender Langzeitstudie zeigte, dass Rohköstler:innen Defizite bei Vitaminen und Mineralstoffen aufweisen: Die Versorgung mit den Vitaminen D, B2, B12 und Niacin sowie den Mineralstoffen Zink, Calcium und Jod waren nach den (damaligen) Empfehlungen der DGE unzureichend. Bei diesen Nährwerten handelt es sich um solche, die überwiegend aus Getreideprodukten oder Lebensmitteln tierischer Herkunft stammen – also Lebensmittelgruppen, die in der klassischen Rohkost eine untergeordnete Rolle spielen.

Eine Ernährung mit Rohkost kann also auf lange Sicht ungesund werden, denn sie führt teilweise zu einer niedrigeren Vitaminzufuhr. Wer sich ausschließlich roh ernährt, sollte sein Blut regelmäßig darauf kontrollieren lassen und gegebenenfalls auf ärztliches Anraten Vitaminpräparate einnehmen.

Kann Rohkost Krankheiten heilen?

Es gibt Erfahrungsberichte von Rohköstler:innen, die durch die Rohkost-Ernährund gesund geworden sind. Tatsächlich kann Rohkost durch den hohen Anteil an Ballaststoffen bei bestimmten Verdauungsbeschwerden helfen: Bei chronischer Verstopfung und Darmträgheit helfen die Ballaststoffe den Darm wieder anzuregen und in Gang zu kommen.

Allerdings sollte man Heilsversprechen, in den sozialen Medien oder anderswo, immer vorsichtig begegnet: Teilweise wird etwa behauptet, dass Rohkost Krebs vorbeugen oder sogar heilen könnte. Das ist wissenschaftlich nicht belegt.

Grundsätzlich kann die Auseinandersetzung mit einer gesunden Ernährung und ein gesünderer Lebensstil zu einem besseren Gesundheitszustand führen. Gleichzeitig kann man keine Wunder von der Rohkost-Ernährung erwarten und sollte sich bei Krankheiten ärztlich beraten oder behandeln lassen.

Darf man alles roh essen?

Nein, es gibt einige Lebensmittel, die du besser nicht roh essen solltest: Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen solltest du nicht roh essen, da sie sich vor Fressfeinden schützen, indem sie Gifte produzieren. Für uns Menschen sind rohe Hülsenfrüchte deshalb ungenießbar. Lässt man sie keimen, wird beim Keimvorgang ein Teil dieser Gifte abgebaut. Allerdings werden nur durch Erhitzen die Fraßgifte komplett abgebaut, sodass kein Vergiftungsrisiko mehr besteht.

Ein weiteres Lebensmittel, dass du nicht roh essen solltest: Kartoffeln. Sie enthalten Solanin, ein Nervengift, das auch viele andere Nachtschattengewächse beinhalten. In großen Mengen wirkt es auch für Menschen giftig. Der Solaningehalt ist von Sorte zu Sorte recht unterschiedlich. Moderne Sorten enthalten jedoch relativ wenig davon.

Wer Lebensmittel roh verzehrt, sollte sich also vorher immer gut informieren, ob dies eventuell gesundheitliche Nachteile mit sich bringt, also ungesund bis giftig ist.

Ist Rohkost bakteriell belastet?

„Cook it, peal it, wash it or forget it“ ist der Leitsatz vieler Reisenden, um sich vor Magen-Darm-Erkrankungen zu schützen. Doch was, wenn man als Rohköstler:in seine Nahrung nicht erhitzt – ist sie dann keimbelastet und gesundheitsgefährdend? Das kann sein, muss aber nicht. Rohes Obst und Gemüse sollten vor dem Verzehr natürlich gründlich gewaschen werden, um eine potentielle Keimbelastung zu vermeiden.

Rohkost
Rohkost sollte man prinzipiell gut waschen – und bei tierischen Lebensmiteln sehr vorsichtig sein. (Foto: © Unsplash)

Wenn es jedoch um Rohmilchprodukte, rohes Fleisch, rohe Schalentiere und Fische geht, gilt es vorsichtig zu sein. Denn: Mit rohen tierischen Produkten können unter anderem Salmonellen, Campylobacter, E. coli einschließlich EHEC, Yersinien, Listerien, aber auch Viren und Parasiten übertragen werden.

Kann man mit Rohkost abnehmen?

Ein Ergebnis der Gießener Rohkost-Studie war, dass 57 Prozent der Studienteilnehmenden Untergewicht hatten und alle Teilnehmenden im Laufe der Jahre aufgrund ihrer Ernährung kontinuierlich an Gewicht verloren. Im Durchschnitt hatten die teilnehmenden Männer 10 Kilogramm und Frauen 12 Kilogramm über den Zeitraum von vier Jahren verloren.

Statistisch gesehen, führt eine Rohkost-Ernährung also zu einer Gewichtsreduktion. Doch das kann auch schnell gefährlich werden. Wer langfristig und gesund abnehmen möchte, sollte anstelle einer reinen Rohkost-Diät auf Zeit lieber eine generelle Ernährungsumstellung in Erwägung ziehen.

Führt Rohkost-Ernährung zu Blähungen?

Ja, insbesondere in der Anfangsphase haben viele Menschen Blähungen. Das liegt daran, dass rohes Obst, Gemüse und Getreide reich an Ballaststoffen, Säuren und anderen Stoffen ist, die zu Gärungen und Blähungen führen können. Wenn der Körper sich an die Rohkost-Ernährung gewöhnt hat, kann es aber sein, dass sich die Beschwerden verbessern und du wenig oder sogar keine Probleme mehr verspürst.

Ist Rohkost-Ernährung umweltfreundlich?

Man könnte meinen, dass Rohkost energiesparender ist, da kein Strom für Herd, Backofen und Mikrowelle verbraucht wird. Gleichzeitig werden Geräte wie Entsafter, Mixer, Dörrautomat und Pürierstab vermehrt genutzt. Durch den Verzicht auf die meisten industriell hergestellten Lebensmittel kann der CO2-Fußabdruck von Rohköstler:innen allerdings tatsächlich geringer ausfallen als der von „Warmessern“.

Diese Rechnung geht aber nicht immer auf: Weil es schwer für reine Rohköstler:innen ist, ihren Eiweißbedarf ausschließlich aus pflanzlichen Quellen zu decken (Stichwort: Fraßgifte), gehören zum Beispiel Rohmilchprodukte teils zum alltäglichen Speiseplan. Und: Die Fleisch- und Milchindustrie gehört zu den größten Klimakillern im Lebensmittelsektor.

Um den Nährstoffbedarf zu decken, greifen viele Fans der rohen Kost außerdem zu sogenannten „Superfoods“, die aus weiter Ferne importiert werden und den CO2-Fußabdruck vergrößern. Ob Rohkost oder nicht – wer sich umweltfreundlich ernähren möchte, kauft regional, saisonal, bio und verzichtet auf tierische Produkte.

Fazit: Ist Rohkost nun gesund oder ungesund?

Die Ergebnisse der Gießener Rohkost-Studie deuten darauf hin, dass Rohkost zu einer Mangelernährung führen kann. Dadurch, dass die Ernährung auf rohe Produkte und überwiegend pflanzliche Lebensmittel eingeschränkt ist, ist es schwieriger, der Körper ausreichend mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen. Die Autor:innen empfehlen Rohkost nicht als alleinige Kost – insbesondere nicht für Schwangere, Stillende, Kinder und ältere Menschen.

Es ist aber möglich, sich mit einem recht hohen Rohkostanteil ausgewogen und nachhaltig zu ernähren – schließlich ist es für die allermeisten von uns empfehlenswert mehr Obst und Gemüse zu essen. Rohkost an sich ist eine sinnvolle und gesundheitsfördernde Art der Zubereitung, die täglich etwa zur Hälfte unseren Speiseplan füllen sollte.

Wer sich dennoch rohköstlich ernähren möchte, sollte sich ausreichend mit der Ernährungsform beschäftigen. Achte darauf, dich mithilfe von Nüssen, Samen und gegebenenfalls sogar tierischen Produkten so ausgewogen wie möglich zu ernähren. Lasse deine Blutwerte regelmäßig untersuchen. Gegegenenfalls solltest du bestimmte Nährstoffe durch Nahrungsergänzungsmittel supplementieren.

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