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Wir sollten aufhören über den Klimawandel zu sprechen

Warum nicht mehr vom Klimawandel sprechen sollten
Foto: CC0 Public Domain / Unsplash – fabian jones

Das Eis schmilzt, der Meeresspiegel steigt, Hitzerekorde und Überflutungen kosten weltweit Menschenleben – das sind die Folgen einer Klimakrise, die das Überleben der Menschheit gefährdet. Darum sollten wir aufhören, über den „Klimawandel“ zu sprechen. Stärkere Begriffe könnten uns helfen, die Bedrohung ernster zu nehmen.

Die globale Erhitzung ist real – und menschengemacht: Wissenschaftlich gesehen besteht daran quasi kein Zweifel. Bereits jetzt zwingt die Klimaveränderung mehr Menschen zur Flucht als Kriege und Gewalt, kostet Menschen ihre Gesundheit und ihr Leben ist mit dafür verantwortlich, dass weltweit immer mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Eine Katastrophe.

„Wandel ist etwas Gemächliches“: Warum Klimakrise oder Klimakatastrophe besser passt

Aber obwohl der von den meisten Menschen immer noch so genannte Klimawandel die größte Bedrohungen unserer Zeit ist, hat der Kampf dagegen noch immer nicht die höchste politische und gesellschaftliche Priorität. Dass das so ist, könnte auch an dem Begriff „Klimawandel“ liegen. Ein „Wandel“ klingt deutlich weniger alarmierend als eine „Krise“ oder gar „Katastrophe“. Und wir sollten alarmiert sein.

Der Meteorologe und ZDF-Wettermoderator Özden Terli schreibt in einer Kolumne bei Übermedien:

„Wandel ist etwas Gemächliches, etwas, das langsam abläuft. Aber der Vorgang, der als Klimawandel beschrieben wird, ist ein brachialer, epochaler Umbruch. Das hat es so in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben“

Blickt man auf die weltweiten, durch die Klimaveränderung verstärkten Wetterereignisse, kann man daran nichts Gemächliches mehr erkennen – im Gegenteil. Es zeichnet sich ab, dass einiges von dem, was wir derzeit erleben, sogar über die Worst-Case-Prognosen der Klimawissenschaftler:innen hinausgeht.

Diese existentielle Bedrohung sollten wir auch nicht sprachlich verharmlosen. Özden Terli weist darauf hin, dass bereits in den 1990er Jahren Begriffe wie „Klimakatastrophe“ oder „globale Erwärmung“ in Gebrauch waren – dann aber durch den harmloseren „Klimawandel“ abgelöst wurden. Er findet „globale Erhitzung“ den besseren Begriff: „Er beschreibt den rasanten Anstieg besser.“

Die Klimakrise und die Macht der Worte: Ein Experiment

Ein Experiment bestätigte bereits vor einigen Jahren die Macht der Worte: Einer Studie des New Yorker Unternehmens „Spark Neuro“ aus dem Jahr 2019 zufolge weckte der Begriff „Klimawandel“ kaum Emotionen. Eine deutlich stärkere Reaktion bewirkten Ausdrücke wie „Klimakrise“ oder „Umweltzerstörung“.

Das Neurowissenschafts-Unternehmen misst in Experimenten Reaktionen wie Hirnströme, Mikrogesichtsausdrücke, Hautwiderstände und Augenbewegungen, eigentlich um daraus Empfehlungen für bessere Werbung abzuleiten. Für ein Experiment 2019 wurden 120 Versuchspersonen sechs verschiedenen Ausdrücke vorgespielt, die mit Klimaveränderungen und Umweltproblemen zu tun hatten. Bei der Untersuchung ging es unter anderem darum, wie man den Klimawandel in einem politischen Umfeld am besten kommuniziert. Daher wurde bei den Teilnehmenden zwischen Anhänger:innen von Demokraten, Republikanern und „Unabhängigen“ (Independents) unterschieden.

Das Ergebnis: Begriffe wie „Klimakrise“ wirken allgemein emotional deutlich stärker als der neutralere Begriff „Klimawandel“.

  • Die Begriffe „Klimawandel“ und „Erderwärmung“ lösten bei Demokrat:innen und Republikaner:innen die geringste Reaktion aus.
  • Bei den Republikaner:innen wirkte der Ausdruck „Umweltzerstörung“ am stärksten, bei den Unabhängigen „Klimakrise“
  • Bei den Demokraten waren die Reaktionen bei „Destabilisierung des Wetters“ („weather destabilization“) am stärksten, dicht gefolgt von „Umweltzerstörung“ und „Klimakrise“.

„Klimakrise“ und „Klimakatastrophe“ klingen bedrohlicher

Man kann zu Recht anmerken, dass die Stichprobe klein ist und das Messen körperlicher Reaktionen allein begrenzte Aussagekraft hat. Was aber einleuchtet: „Klimawandel“ und „Erderwärmung“ vermitteln keine unmittelbare Dringlichkeit. Wenn das Klima sich „wandelt“, oder die Erde „wärmer“ wird, klingt das nicht besonders bedrohlich.

Die Schlussfolgerung: Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für ein Problem zu erzeugen, ist die richtige Wortwahl zentral. Viele Medien, mächtige politische Organisationen und Aktivist:innen weltweit bevorzugen inzwischen den Begriff „Klimakrise“ (climate crisis), Redaktionen vom Spiegel bis zum Guardian verwenden ihn.

Es ist also Zeit, dass wir alle aufhören, über den Klimawandel zu sprechen – dafür umso mehr über die Klimakatastrophe, den Klimakollaps, die Klimakrise oder die globale Erhitzung. Denn die Begriffe beschreiben das, was uns und der Erde bevorsteht, nicht nur sehr viel präziser. Sie vermitteln auch deutlicher, dass wir jetzt schnell und entschieden handeln müssen, um das Schlimmste abzuwenden.

Denn, wie Özden Terli schreibt:

„Sollte sich die globale Erhitzung aber weiter fortsetzen, werden die Ereignisse massiv zunehmen und extremer ausfallen. Ist Physik. Gilt für alle. Ausnahmslos.“

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