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Menschenkenntnis: Gibt es so etwas überhaupt – und kann man es lernen?

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Foto: CC0 / Pixabay / MabelAmber

Menschenkenntnis soll es möglich machen, andere schnell zu durchschauen. Das wünschen sich wohl viele. Einige sind fest überzeugt, sie können es. Oft ist das aber mehr Schein als Sein.

Unter Menschenkenntnis versteht man in der Regel die Fähigkeit, andere Menschen einschätzen zu können – häufig schon nach sehr kurzer Zeit oder auf den ersten Blick. Das wird zum Beispiel auf Intuition, Empathie oder Erfahrung zurückgeführt. Nicht selten finden sich zudem Angebote, die versprechen, einem dieses Talent beizubringen.

So verlockend dieser Gedanke für viele klingen mag, handelt es sich bei Menschenkenntnis aber nicht um ein wissenschaftliches Konzept. Vielmehr weisen Studien darauf hin, dass unser eigenes Urteil oft falsch ausfällt.

Es gibt eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen, denen wir regelmäßig beim Beurteilen von Menschen unterliegen. Es gibt allerdings auch ein paar Techniken, mit denen du dich davor schützen kannst. Der Psychologe Chaehan So geht in seinem TEDx-Talk von 2015 darauf ein.

Welche Fehler machen wir beim Einschätzen anderer?

Tatsächlich entspricht unsere Wahrnehmung, wenn wir andere Menschen oder gar uns selbst beurteilen, häufig nicht der Realität. Wissenschaftliche Untersuchungen haben mehrere Urteilsverzerrungen nachgewiesen, denen wir dabei regelmäßig zum Opfer fallen. Diese können auch dafür sorgen, dass wir uns Menschenkenntnis einbilden, in Wirklichkeit aber nur selber täuschen.

Zu diesen Urteilsverzerrungen gehören unter anderem die folgenden:

  • Bestätigungsfehler oder Confirmation Bias: Dieser sorgt dafür, dass wir einmal gefällte Urteile nicht hinterfragen, sondern versuchen, sie immer wieder zu bestätigen. So halten wir den ersten Eindruck eines Menschen möglicherweise für richtig, sehen in Wirklichkeit jedoch nur, was wir sehen wollen. Vorurteile können hierbei ebenfalls eine Rolle spielen: Wir gehen bereits mit einer Erwartungshaltung an eine Person heran und suchen vorrangig nach Bestätigungen dafür.
  • Dazu kommt, dass Menschen ihren ersten Eindruck ziemlich ungern ändern. Das hat eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2010 herausgefunden.
  • Rückschaufehler: Wenn du sagst „ich hab’s doch gleich gewusst“, kann es auch sein, dass du deine frühere Prognose beschönigst. Wenn sich ein vorheriges Urteil als falsch herausstellt, tendieren wir nämlich ebenfalls dazu, uns selbst zu belügen. Wir glauben fälschlicherweise, wir hätten dies bereits so vorausgesagt.
  • Attributionsfehler: Wir neigen dazu, die Situation auszuklammern, in der andere agieren. Anstatt die Umstände für das Handeln unseres Gegenübers verantwortlich zu machen, schreiben wir es der Person zu. So kann es etwa passieren, dass du einen Menschen als unfreundlich einschätzt, der in Wirklichkeit nur einen anstrengenden Tag hat. Bei unserem eigenen Verhalten beziehen wir die Umstände viel eher in die Gründe mit ein.
  • Dunning-Kruger-Effekt: Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten auf einem Gebiet besonders, wenn sie sich damit nur wenig auskennen. Das kann ebenso auf die Einschätzung der eigenen Menschenkenntnis zutreffen.

Dass wir unsere eigenen Fähigkeiten überschätzen, gilt nicht nur für die Menschenkenntnis. In vielen Bereichen neigen Menschen dazu, ihre Fertigkeiten und Leistungen zu überschätzen und zu glauben, sie seien besser als der Durchschnitt.

„Gute Menschenkenntnis“ kann ausgenutzt werden

Eigene Schwächen bei der Menschenkenntnis zu kennen, kann helfen, nicht auf Verkaufstricks hereinzufallen.
Eigene Schwächen bei der Menschenkenntnis zu kennen, kann helfen, nicht auf Verkaufstricks hereinzufallen.
(Foto: CC0 / Pixabay / TungArt7)

Dies sind leider nicht die einzigen Schwachstellen menschlicher Wahrnehmung. Es gibt noch einige weitere, die es sich lohnt, im Blick zu behalten. Auf diese Weise kannst du dich besser vor einer Einflussnahme von außen schützen.

Gerade, wenn es darum geht, etwas zu verkaufen, kann eine vermeintlich gute Menschenkenntnis ausgenutzt werden. Mehrere Verkaufstricks und Marketingtechniken basieren auf Wahrnehmungsverzerrungen, denen Menschen unterliegen.

Einige davon werden in dem Klassiker „Die Psychologie des Überzeugens“ von Robert. B. Cialdini beschrieben. Dazu gehört beispielsweise, dass wir Menschen als sympathischer wahrnehmen, die attraktiv sind („Halo-Effekt“), uns ähnlich sehen oder wenn sie uns Komplimente machen. Außerdem vertrauen wir eher Personen, die Autorität in einem Bereich ausstrahlen. Mit Autos oder Kleidungsstücken wie einem Anzug lässt sich diese aber auch vortäuschen.

Körpersprache als vermeintliche Menschenkenntnis

Fehlschluss statt Menschenkenntnis: Ein schwacher Händedruck deutet nicht unbedingt auf Charakterschwäche hin.
Fehlschluss statt Menschenkenntnis: Ein schwacher Händedruck deutet nicht unbedingt auf Charakterschwäche hin.
(Foto: CC0 / Pixabay / un-perfekt)

Bei unserem ersten Eindruck von einer Person kann des Weiteren die Körpersprache eine Rolle spielen. Dabei sind ebenfalls Fehleinschätzungen möglich, die wir irrtümlicherweise als Menschenkenntnis verbuchen. Denn wie ein Mensch körperlich auftritt, kann an verschiedenen Gründen liegen. Ein dominantes Auftreten lässt sich zum Beispiel auch gezielt zur Täuschung einsetzen.

Einige vermeintliche Expert:innen für Körpersprache überinterpretieren die Bewegungen und das Auftreten von Menschen. Es ist falsch, dass eine Geste oder Bewegung immer das Gleiche bedeutet. Dass sich eine Person etwa öfter an der Nase kratzt oder den Blickkontakt meidet, heißt nicht automatisch, dass sie lügt. Stattdessen kann dies schlicht an einem Juckreiz oder an kulturellen Gepflogenheiten liegen.

Lösung: Die eigene Wahrnehmung hinterfragen

Abschließend lässt sich festhalten, dass Menschenkenntnis oft eher Wunschdenken darstellt. Du solltest deinem eigenen Urteil nicht ohne Weiteres vertrauen, besonders nicht dem ersten Eindruck. Was hilft nun aber gegen solche Urteilsverzerrungen?

Um nicht in die Falle deiner eigenen Wahrnehmung zu tappen, ist es an erster Stelle hilfreich, ihre Schwachstellen zu kennen und im Blick zu behalten. Laut Chaehan So können zudem diese drei Strategien helfen:

  1. Um ein korrektes Urteil zu fällen, hilft es, dich gezielt nach möglichen Fehlerquellen abzufragen. Du kannst dich zum Beispiel fragen: „Erscheint mir diese Person möglicherweise unsympathisch, weil mir ihr Aussehen nicht gefällt?“ 
  2. Häufig versuchen wir nur, unseren ersten Eindruck zu bestätigen, und ändern diesen später sehr ungern. Daher solltest du bewusst nach Informationen suchen, welche gegen deinen Ersteindruck von einem Menschen sprechen.
  3. Nimm dir innerlich vor, Wahrnehmungsverzerrungen zu vermeiden und sage dir das wiederholt und gezielt. Etwa: „Wenn ich einen neuen Menschen kennenlerne, erinnere ich mich gleichzeitig daran, kein vorschnelles Urteil zu fällen.“

Übrigens: Du kannst dir auch die „Macht der Gedanken“ zunutze machen, um deine Wahrnehmung und Gefühle zu beeinflussen. Das geht unter anderem, indem du übst, positiv zu denken, und mit positiven Affirmationen arbeitest.

Hier findest du den kompletten TEDx-Talk:

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