Rewilding: Das steckt hinter dem Renaturierungskonzept Von Sarah Brockhaus Kategorien: Umweltschutz Stand: 24. Mai 2020, 20:05 Uhr Foto: CC0 / Pixabay / DmitryMedved „Macht Europa zu einem wilderen Ort“ – so lautet die Aufforderung der Initiative Rewilding Europe. Exemplarisch will sie wieder Wildnisgebiete in Europa schaffen und zeigen: Das senkt Kosten, schützt das Klima und fördert die Artenvielfalt. Was sind die Ziele von Rewilding? Die Forderung nach Rewilding tauchte vor zwanzig Jahren zum ersten Mal als Antwort auf Klimakrise und Artensterben auf. Mit dem Schlagwort Rewilding fordern Ökolog*innen, dass bis 2030 mindestens zwanzig Prozent der degenerierten Landstriche in Europa renaturiert werden, so der Biologe Néstor Fernández in der Süddeutschen Zeitung. Oder anders ausgedrückt: Rewilding ist die Forderung nach mehr Wildnis. Der Zusammenhang mit Artensterben und Klimakrise ist folgender: Die renaturierten, intakten Ökosysteme, die im Zuge von Rewilding entstehen sollen, bieten bedrohten Tier- und Pflanzenarten wieder Lebensraum. Sie wirken außerdem als Puffer bei Hochwasser und binden mithilfe von Photosynthese Kohlenstoff im Boden. Wenn die Ökosysteme erstmal wieder hergestellt sind, können sie sich weitgehend frei von menschlichen Eingriffen selbst regulieren – das spart also auch Geld. In Rewilding ist der Grundgedanke verwurzelt, dass die Natur selbst am besten für ihr ökologisches Gleichgewicht sorgen kann und daher in einem intakten Ökosystem Eingriffe wie die Eindämmung von Populationen nicht mehr nötig sind. Zu diesem Zweck sollen auch ehemals einheimische Arten wieder neu angesiedelt werden. Menschen vertrieben werden sollen trotzdem keine, im Gegenteil: Die Einheimischen sollen im Umweltschutz oder Naturtourismus neue Anstellungsmöglichkeiten finden, so das Rewilding-Konzept. Die Rückbesinnung auf die Natur ist ebenfalls Bestandteil des Rewilding-Konzepts, denn der Aufenthalt dort hat auch positive Effekte auf unsere Gesundheit. Wer hat Rewilding initiiert? Berge sind heutzutage häufig die unberührtesten Landschaften. (Foto: CC0 / Pixabay / 272447) Im Jahr 2011 hat sich die Non-Profit-Organisation Rewilding Europe in den Niederlanden gegründet. Ihr Ziel: Mindestens zehn große Landschaften in ganz Europa wieder wild machen, um zu zeigen, dass und wie Rewilding funktioniert. Dafür arbeitet die Initiative mit verschiedenen Partnern auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene zusammen. Ihr Ziel ist nicht „nur“ das Rewilding selbst, Rewilding Europe unterteilt sich auch in verschiedene, miteinander vernetzte Unterinitiativen. Mit Rewilding Areas sollen europaweit Gebiete wild gemacht, Impulse gegeben und die Menschen wieder in Kontakt mit der Natur gebracht werden. Das European Rewilding Network vernetzt lokale und nationale Rewilding-Initiativen europaweit Die Firma Rewilding Europe Capital vergibt Kredite an Unternehmen, die Rewilding-Prozesse unterstützen oder Arbeitsplätze im Wildnis-Sektor schaffen. Die European Wildlife Bank kümmert sich darum, die Pflanzen und Tiere wieder im Ökosystem anzusiedeln, die für seine Funktion von essenzieller Bedeutung sind. European Safari Company ist eine Firma, die mithilfe von Naturtourismus Aufmerksamkeit generieren und die Vorteile und den Nutzen der renaturierten Wildnis bewerben soll. Zuletzt agiert Rewilding Europe auch auf politischer Ebene. Dazu haben sie 2016 das Dossier „Making Space for Rewilding“ herausgegeben. Letzteres führte auch dazu, dass sich Rewilding Europe mit zahlreichen Wissenschaftler*innen und anderen Umweltinitiativen an der Studie „Boosting Ecological Restoration for a Wilder Europe“ beteiligt hat. Die Studie ist ein wichtiger Baustein im Wegweiser für die europäische Biodiversitätsstrategie 2030, den Forscher*innen als einen Zehnjahresplan für mehr Biodiversität verfasst haben. Wie funktioniert Rewilding? Die Karparten – eines der wenigen Gebiete Europas, wo es noch wirklich unberührte Natur gibt. (Foto: CC0 / Pixabay / fishka1380) Insgesamt acht Rewilding-Projekte hat Rewilding Europe in Europa schon initiiert. Für die Umsetzung hat die Initiative ein breites Netzwerk an Partner*innen für Kommunikation, Finanzen, Initiierung von Wildnisprojekten, Businesspartner und Partnerorganisationen geschaffen, die sich um die Umsetzung kümmern. Dazu gehören etliche wissenschaftliche Institutionen, um die Notwendigkeit für und die Erkenntnisse aus den Rewilding-Prozessen zu unterstützen. Partner sind aber auch der WWF und andere NGOs, die Europäische Investitionsbank und das European Environmental Bureau, eine Dachorganisation von 140 Umweltorganisationen, die in Brüssel sitzt. Die einzelnen Rewilding-Gebiete haben in der Regel eine lokale Unterorganisation für die Umsetzung vor Ort. So gibt es zum Beispiel folgende: Rewilding Lapland möchte zwischen den Bergen in Lappland und dem Meer Wildkorridore schaffen für die Migration von Tieren. Die Zusammenarbeit erfolgt mit dem dort ansässigen indigenen Volk der Sami. Rewilding Apennines möchte auch in den Zentral-Apenninen in Italien Wildkorridore schaffen, die Braunbärenpopulation wieder vergrößern und die Gegend als Wildnisparadies für Naturliebhaber*innen interessant machen. Rewilding Velebit renaturiert die Wälder im Velebit-Gebirge in Kroatien und fördert mithilfe von großen Pflanzenfräsern grasbewachsene Flächen am Fuße der Berge, die sogenannten Lika-Ebenen. Rewilding Danube Delta ist zuständig für ein Gebiet, das von der Ukraine über Rumänien bis nach Moldavien reicht. Das Delta ist Heimat zahlreicher Wasservogelarten und soll mithilfe der Naturkräfte wieder zu einem dynamischen, vielfältigen Lebensraum werden. Außerdem gibt es Rewilding-Projekte in den südlichen Karpaten, wo das Bison wieder angesiedelt werden soll und eine lokale Ökonomie und ein Naturerlebnis-Tourismus entstehen sollen. In den Rhodopen, einem Gebirge in Bulgarien, sollen die Nahrungsketten wieder intakt gebracht werden und die typische Balkan-Steppenlandschaft wiederhergestellt werden. Rewilding in Deutschland: Das Oder-Delta Er soll auch in Teilen Deutschlands wieder heimisch werden: Der Elch. (Foto: CC0 / Pixabay / 272447) In Deutschland ist es eine schwierige Mission, überhaupt größere Wildnisgebiete zu finden: Laut Expert*innen in der Süddeutschen Zeitung sind die Naturräume in Mitteleuropa durch Infrastruktur stark segmentiert und die vorhandenen natürlichen Ressourcen werden intensiv genutzt. Für große Säugetiere gibt es im Grunde keinen Platz. Aber auch in Deutschland gibt es ein erstes Rewilding-Projekt. An der Ostseeküste zwischen Deutschland und Polen liegt das Stettiner Haff. Eine Landschaft, die eine Lebensraumvielfalt besitzt, wie sie in Europa sonst kaum noch zu finden ist, so die Deutsche Umwelthilfe. Hier gibt es Auenwälder, Steilküsten mit Buchenwäldern, Moore, Heidelandschaften, Seen und zahlreiche Flussdeltas. Diese Vielfalt bietet einen Lebensraum für selten gewordene Arten wie Seeadler, Biber, Lachse, Wölfe und sogar Elche. Auch die Kegelrobbe siedelt sich hier wieder an. Die Ansiedlung von Rothirschen, Elchen und Wisenten wird aktiv gefördert. Auch hier sollen Mensch und Natur lernen, miteinander zu leben. Außerdem soll die Wildnis neue lokale Einnahmequellen schaffen, um so zu verhindern, dass die Flächen mit Maisanbau übernutzt werden. So kannst du selbst ein bisschen Wildnis erschaffen Das übergreifende Ziel von Rewilding Europe und Wissenschaftler*inen ist es, ein Netz aus Wildniskorridoren über ganz Europa zu spannen, damit Tiere wieder bessere Möglichkeiten zur Migration haben und nicht durch Straßen und Siedlungen auf ihrem Gebiet eingeschränkt bleiben. Eine Maßnahme hierfür sind Wildbrücken, also begrünte Brücken, die über Autobahnen führen, um den Tieren die Wanderung vom Waldgebiet auf der einen zum Waldgebiet auf der anderen Seite zu ermöglichen. Aber jedes bisschen Wildnis ist schon ein Zugewinn für uns und die Natur. Und dazu kannst auch du als einzelner Mensch beitragen: Achte bei Wanderungen oder Spaziergängen auf Hinweisschilder und respektiere Naturschutzgebiete. Bleibe auf den Wegen, damit du die Tiere nicht störst. Dein Garten muss nicht perfekt beschnitten und bemessen sein: Lass die ein oder andere Ecke einfach mal versuchsweise wild wachsen und beobachte, was passiert: Wer siedelt sich dort an? Wie entwickelt sich der Fleck im Laufe der Zeit? Verzichte auf künstliche Düngemittel und Pestizide, mit denen du Insekten schadest. Vielleicht bietet es sich ja auch an, die ein oder andere Lücke in deinem Zaun zu lassen, sodass Tiere Wege in und durch deinen Garten finden. Besonders wertvoll für viele Tiere sind Hecken: Sie sind zwar blickdicht, bieten aber einen geschützten Laufweg für Mäuse und andere Kleintiere und einen Nistplatz für Vögel. Betreibe Guerilla Gardening: Begrüne mithilfe von Samenbomben deine Nachbarschaft. Achte beim Konsum auf Bio-Produkte und Regionalität: Das spart Transportwege und den Einsatz von künstlichen Düngern, die ebenfalls der Artenvielfalt schaden. Weiterlesen auf Utopia: Lichtverschmutzung: So beeinflusst sie Menschen, Insekten und andere Tiere Humus: Entstehung und Bedeutung für den Boden Nachtfalter bestimmen: Das unterscheidet sie von Tagfaltern ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. War dieser Artikel interessant? 29 27 Vielen Dank für deine Stimme! Verwandte Themen: Gewusst wie Natur HOL DIR DEN UTOPIA NEWSLETTER Leave this field empty if you're human: