Schanigärten sind temporäre Freischankflächen auf Parkplätzen. Sie haben nicht nur einen Mehrwert für die Gastronomie, sondern können die Lebensqualität in der Stadt erhöhen.
Vor Cafés, Restaurants, Bars und anderen Lokalitäten hat während der letzten beiden Sommer ein neues Straßenbild Einzug gehalten: Dort, wo normalerweise Autos parkten, wurden Tische aufgestellt. Diese Notlösung sollte die Gastronomie nach dem Lockdown finanziell entlasten. Um mehr Gäst:innen bewirten und so die Einbußen durch Schließungen und Abstandsregeln teilweise ausgleichen zu können, durften Lokalbesitzer:innen die Parkflächen vor ihren Läden an vielen Orten in temporäre Freischankflächen verwandeln.
In Anlehnung an ein ähnliches außengastronomische Konzept in Österreich, welches dort bereits seit zwei Jahrhunderten etabliert ist, taufte man diese Freischankflächen „Schanigärten“.
Was sind Schanigärten?
Schanigärten bezeichnen, vor allem in Österreich und Südbayern, sich auf öffentlichem Grund direkt vor einem Gastronomiebetrieb befindliche Flächen. Darauf dürfen die Besitzer:innen Tische zum Essen und Trinken aufstellen. Während Biergärten festinstallierte Bereiche auf dem privaten Gelände des Lokals sind, handelt es sich bei Schanigärten um temporäre Aufbauten im öffentlichen Raum. In einem Schanigarten sitzen die Gäst:innen oft abgegrenzt zum Auto- und Fußgängerverkehr hinter meist dekorierten und/oder bepflanzten Blickschutzwänden, auf einem Podium oder unter Markisen.
Wie der erste Schanigarten entstand und zu seinem Namen kam, ist Gegenstand mehrerer Mutmaßungen. Einer Erzählung zufolge gehen Schanigärten auf Johann Jakob Tarone zurück, der um 1750 die Erlaubnis erhielt, Tische und Stühle vor seinem Kaffeehaus aufzustellen. Die neu entstandenen Gastro-Gärten wurden nach ihrem Pionier benannt: Die italienische Version seines Vornamens, Gianni, wandelte sich dabei irgendwann zu „Schani“.
Schanigärten helfen der von der Pandemie getroffene Gastronomie
Während Außengastronomiebetriebe wie Eisdielen, Terrassen und Bistros nichts Ungewöhnliches sind, erlangte die Außenbewirtung während der Corona-Pandemie eine besondere Bedeutung. Da das Ansteckungsrisiko draußen geringer ist und die Zahl der Sitzplätze im Innenbereich aufgrund von Abstandsregelungen reduziert werden musste, durften Gastwirt:innen ihre Bewirtungsfläche häufig auch auf die Parkbereiche direkt vor ihren Lokalen ausweiten.
So sprossen vor allem in München hunderte Schanigärten in den verschiedensten Formen aus dem Straßenasphalt. Im Mai dieses Jahres ließen sich bereits 500 Schanigärten zählen. Die überwiegend positive Resonanz auf die neuen Gastro-Bauten am Straßenrand veranlasste den Münchner Stadtrat dazu, aus der Notlösung eine wiederkehrende Option für Lokalbetreiber:innen zu machen. Essen und trinken, wo früher Autos parkten, ist nun jedes Jahr zwischen April und Oktober möglich.
Schanigärten: Tipping Point der Stadtentwicklung?
Schanigärten stellen nicht nur eine ökonomische Erleichterung für die Gastronomie dar. Laut BR tragen sie auch zu einem „Tipping Point der Stadtentwicklung“ bei, also einem „Umschlagpunkt, nach dem die ewige Vorfahrt für alle automobilen Belange in deutschen Städten endgültig passé ist“.
Jahrzehntelang hat sich die deutsche Stadtentwicklung an dem Konzept der autogerechten Stadt orientiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Priorität von Stadtentwickler:innen, die Verkehrsinfrastruktur optimal auf den motorisierten Individualverkehr auszurichten. Autos sollten fließend und als schnellstes Verkehrsmittel durch den Verkehr kommen können. Voraussetzung dafür war eine Trennung der Verkehre mit klaren Flächenzuweisungen jeweils für Autos, ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehr.
Obwohl sich die Verkehrsplanung seit den 1970er-Jahren von dem Konzept abgewendet hat, wirken die damals unternommen Baumaßnahmen nach. Noch immer kennzeichnet das Stadtbild eine Trennung von Verkehren und verschiedenen Nutzungsflächen, beispielsweise in Form von mehrspurigen Straßen, neben denen sich Fahrradwege als schmale „Schutzstreifen“ befinden, Fußgängerzonen, Unterführungen, Parkhäusern und Parkleitsystemen.
Die autogerechte Stadt vernachlässigte ökologische Erfordernisse sowie die Bedürfnisse nicht-motorisierter Verkehrsteilnehmer:innen. Schanigärten bergen dahingegen das Potenzial, eine Stadtentwicklung voranzutreiben, die diese Erfordernisse und Bedürfnisse verstärkt in den Blick nehmen sollte, damit lebenswertere und nachhaltigere Städte entstehen können.
Schanigärten sorgen für mehr Flächengerechtigkeit
Der städtische Raum ist ungerecht aufgeteilt. Autos nehmen auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer:innen zu viel Platz ein und der Autoverkehr beschränkt Möglichkeiten für eine anderweitige Nutzung des öffentlichen Raums. Schanigärten sind eine verhältnismäßig unkomplizierte Maßnahme, um den öffentlichen Raum zugunsten mehr Lebensqualität neu zu verteilen. Dort, wo normalerweise Autos parken, können Stadtbewohner:innen gemeinsam essen, trinken und die Gastronomie unterstützen.
In den 1980er Jahren entstand ein neues Leitbild der Stadtentwicklung, das Konzept der sogenannten „Stadt der kurzen Wege„. In einer solchen Stadt sind die Wege zur Arbeit oder Ausbildung, zum Kindergarten, zu Versorgungsmöglichkeiten und Aufenthaltsorten möglichst so kurz, dass sie ohne Auto zurückgelegt werden können. Zu dem Leitbild gehört auch eine attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums, damit Anwohner:innen sich gerne dort aufhalten und weniger versucht sind, mit dem Auto woanders hinzufahren.
Schanigärten tragen dazu bei, die Stadt attraktiver und gerechter zu gestalten. Sie verwandeln „tote“ und quasi-private Flächen wie Parkbuchten, die entweder von Autos vollgestellt sind oder ungenutzt leer stehen, in Orte der Begegnung, räumen Menschen mehr Platz auf der Straße ein und beleben so die Nachbarschaft. Besonders während der Lockdowns haben viele Menschen das räumlich Nahe ganz neu erlebt und erkannt, wie wichtig ein lebenswerter öffentlicher Raum ist. Die überwiegend positive Resonanz auf die Schanigärten bezeugt dies.
Schanigärten verbinden Klimaschutz mit Lebensqualität
Wenn Schanigärten und andere Maßnahmen für eine lebenswertere Stadt durchgreifen, könnte sich in Folge der alltägliche Bewegungsradius der Menschen verkleinern. Sie würden dann alles, was sie brauchen, in der Nähe finden und könnten es zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. Diese sogenannte Nahmobilität hätte nicht nur positive Wirkungen auf die Gesundheit (mehr Bewegung), sondern auch auf die Umwelt und das Klima. Der motorisierte Verkehr könnte nämlich für viele weniger notwendig werden, was sich in einer verringerten Emission von Treibhausgasen niederschlägt.
Schanigärten dürfen aus Sicherheitsgründen nur in Tempo-30-Zonen entstehen. Würde es mehr solcher Zonen geben, dürften nicht nur mehr Gastronomiebetreiber:innen Schanigärten aufstellen, sondern die Lebensqualität in der Stadt würde sich auch Dank einer Lärmreduzierung erhöhen. Das Umweltbundesamt hat festgestellt, dass bei Tempo 30 die Lärmbelastung wahrnehmbar geringer ausfällt als in Tempo-50-Zonen.
Nicht alles ist paradiesisch im Schanigarten
Der Verlust an Parkflächen durch Schanigärten ruft auch Kritik von einigen Anwohner:innen hervor. Denn obwohl es für den Klimaschutz unumgänglich ist, dass es weniger motorisierten Verkehr gibt, da im Verkehrssektor mehr als ein Viertel aller CO2-Emissionen entstehen, sind doch einige Menschen auf ihr Auto und Parkbereiche dafür angewiesen.
Die Verkehrswende darf sich nicht nur um eine umweltverträglichere Mobilität sorgen, sondern muss auch sicherstellen, dass eine sozial gerechte Verkehrsteilnahme möglich wird. Es muss also dafür Sorge getragen werden, dass es trotz Schanigärten notwendige Parkflächen gibt. Dafür bedarf es dann gegebenenfalls anderer Parkkonzepte.
Auch über zusätzlichen Lärm klagen einige Anwohner:innen. Die Freischankflächen laden zu einem geselligen Miteinander ein, bei dem es auch mal lauter werden kann. Lokalbetreiber:innen sehen sich daher in der zusätzlichen Verantwortung, zu den gegebenen Ruhezeiten draußen für eine angemessene Lautstärke zu sorgen.
Schanigärten: Durchbruch in der Stadtentwicklung?
Schanigärten mögen zwar nicht im Alleingang den „Tipping Point“ hin zu einer lebenswerteren Stadt anstoßen. Laut des Architekten Alexander Fthenakis gäbe es nämlich noch zu viele andere Probleme in der Stadtentwicklung. Doch Schanigärten haben bewiesen, dass spontane urbane Architekturen möglich sind, obwohl das Bauen hierzulande stark reglementiert ist.
Schanigärten reihen sich neben Pop-Up-Radwegen und Shared-Space-Projekten wie „100 Meter Zukunft“ ein – Initiativen, die eins gemeinsam haben: Sie wollen für mehr Geselligkeit, Gerechtigkeit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum sorgen. Die Begeisterung, mit der Schanigärten überwiegend angenommen wurden, könnte dazu führen, dass solche Initiativen in der Zukunft noch mehr Unterstützung erhalten und so einen echten Unterschied machen könnten.
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