Panaoramafenster mit Blick auf Bergseen, Emporen, die zur kuscheligen Schlafhöhle stilisiert werden und smarter Stauraum unter Treppen: Wer auf Instagram unterwegs ist, hat sich sicher schon mal durch Bilder von Tiny Houses gescrollt. Doch ist ihr ökologischer Fußabdruck wirklich so klein wie ihre Grundfläche? Können Tiny Houses das Zuhause der Zukunft sein – und wann wird aus einem kleinen Haus ein großes Problem?
Tiny Houses sind in der Regel pro Quadratmeter teurer als gewöhnliche Häuser. Das macht sie als Kapitalanlage nicht gerade attraktiv. Doch viele Tiny-House-Enthusiast:innen ziehen vor allem der Nachhaltigkeit zuliebe ins kleine Zuhause. Dieser Plan könnte in manchen Fällen jedoch nicht aufgehen, denn klein ist nicht gleich klein.
Ein kurzes Leben auf Rädern
Tiny Houses gibt es in drei Ausführungen: Die Mobilen auf Rädern, die Halbmobilen, die auf einem speziellen Laster transportiert werden können und die klassischen Immobilen.
Schätzungen zufolge sind die Tiny Häuser auf Rädern lediglich 30 bis 50 Jahre nutzbar. Das hängt davon ab, wie oft sie genutzt werden, von den Witterungsverhältnissen, denen sie ausgesetzt sind, von der Bauart, von der Qualität der verwendeten Baumaterialen und wie oft sie tatsächlich auf dem Anhänger durch die Gegend fahren. Bei einem klassischen Haus wird nach 20 bis 30 Jahren meist etwas Arbeit an Dach und Fenstern fällig, für mobile Tiny Houses geht dann mitunter schon das Leben zu Ende.
Das ist allerdings nicht nur problematisch, wenn das Tiny House ein Altersruhesitz werden soll – sondern auch für unsere Umwelt. Denn eine kürzere Lebensdauer geht in der Regel mit einem größeren CO2-Fußabdruck einher.
Wohin mit dem Abwasser?
In den USA haben die kleinen Häuser längst ein Zuhause gefunden. Dass sie in Deutschland bisher noch nicht oft vorzufinden sind, liegt vor allem am deutschen Baurecht. Denn komplizierte Bauvorschriften und Genehmigungsverfahren machen es Tiny-Haus-Fans hierzulande noch schwer, ins kleine Eigenheim zu ziehen.
Wie jedes andere Haus muss auch ein Tiny House erschlossen werden, also an das Strom-, Wasser-, Straßen- und Kanalisationsnetz angeschlossen werden. Denn gerade die stylischen Häuser auf Rädern in unberührter Natur sind alles andere als nachhaltig. „Ein solches Haus dauerhaft in die Natur zu stellen ist rechtlich in der Regel gar nicht möglich“, erklärt der Experte Marvin Nöller. Der Umweltingenieur ist Co-Gründer einer Forschungsgruppe zu alternativen Wohnformen.
Platz ist für die kleinste Hütte
Einen klaren Vorteil haben die Tiny Häuser: Sie passen auch auf kleine Grundstücke „Lücken in der Bebauung in der Stadt zu schließen, ist ökologisch recht sinnvoll, da Neubau und Neubaugebiete sowie deren infrastrukturelle Anbindung dadurch überflüssig werden“, erklärt Nöller. „Es gibt ökologisch vertretbare Tiny Houses: kleine Wohnform, die da zum Einsatz kommt, wo noch Platz ist, aber kein normales Haus hinpassen würde, zum Beispiel an Brandwänden.“
Ein Tiny House könnte sich also an die Außenwand eines bereits bestehenden Hauses schmiegen und durch ein paar bauliche Maßnahmen die Strom- und Wasserleitungen des bestehenden Hauses nutzen. „Ideal wäre es natürlich, wenn dabei mehrere kleine Wohneinheiten übereinandergestapelt werden.“ So würde der begrenzte Raum in den Ballungsräumen sinnvoll und nachhaltig genutzt.
Sozial umdenken
Durch die kleinen Extra-Häuser in den Lücken der Städte könnte sich theoretisch auch sozial einiges verändern. „So könnten beispielsweise Eltern, die sich nach dem Auszug der Kinder verkleinern wollen, in ein Tiny House ziehen und so ihre große Wohnung oder das eigene Haus für Haushalte mit mehreren Personen und größerem Platzbedarf frei machen,“ so Nöller.
In diesem Szenario könnte das Ehepaar etwa ein Tiny House im eigenen Garten bauen und den Familien ihrer Kinder das große Haus überlassen. Durch dieses Konzept könne auch zwischenmenschlich ein neuer Zusammenhalt entstehen. „Tiny House sind besonders dann nachhaltig, wenn sie mit dem Teilen und der Sharing Economy einhergehen“, erläutert Nöller die Ergebnisse seiner Forschung. Nicht jede Tiny-House-Bewohnerin braucht eine eigene Bohrmaschine. Waschmaschinen und Gartenwerkzeuge könnten in Tiny-House-Siedlungen einfach geteilt werden – auch das schont Ressourcen.
Minimalismus – ein Konzept für spezielle Menschen
Wer sich für ein Minihaus entscheidet, sucht meist nicht nur ein Leben, das sich gut unter einem Instagram-Filter macht. Oft hat der Umzug in das Tiny House mit dem Wunsch nach einem bewussteren Lebensstil zu tun. „Man muss sich auch reduzieren, das muss einem vorher bewusst sein“, sagt Nöller. „Bevor es in ein Tiny House geht, muss man aussortieren, denn man kann nur das Wesentliche mitnehmen.“
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Ohne Ausmisten wird es im Tiny House schnell eng: Im Schnitt hat jeder Mensch in Deutschland 10.000 Dinge in seinem Haushalt und verteilt diese auf durchschnittlich 47,4 Quadratmeter pro Person. Ein Tiny House bietet dagegen lediglich zehn bis 55 Quadratmeter Wohnfläche, wobei die größeren Häuser meist von mehreren Personen bewohnt werden. Viel Platz für ungenutzten Krempel bleibt da nicht – auch wenn der Innenausbau der Tiny Houses oft recht clevere Stauräume bietet. Wer irgendwann mehr Platz, mehr Dinge oder mehr Mitbewohner:innen haben möchte, muss zwangsläufig auch nach mehr Wohnraum Ausschau halten.
Oberflächlichkeiten: Tiny Houses sind oft nicht energieeffizient
Bei kleinen Häusern ist die Oberfläche im Verhältnis zum Volumen viel größer als bei einem größeren Haus. „Im Sommer ist die verhältnismäßig große Gebäudeoberfläche viel Wärme ausgesetzt und heizt sich entsprechend auf. Im Winter verliert das Haus andersherum leichter Wärme“, erklärt Nöller einen Nachteil der kleinen Häuser. Deshalb sei eine hochwertige Dämmung zentral für ein nachhaltiges Tiny House.
Da mobile Minihäuser allerdings nur 2,55 Meter breit und 3,5 Tonnen schwer sein dürfen, sind sie oft nur dürftig gedämmt. Ein mobiles Tiny House hat oft eine Wandstärke von gerade einmal 10 Zentimetern. Energetisch ist das Tiny House dadurch näher am Luxuscamping als an einem ausgewachsenen (Passiv-)Haus. „Die rollenden Varianten sind also aus vielen Gründen nicht nachhaltig“, fasst Nöller zusammen.
Doch auch die halbmobilen Häuser können ein mit der Dämmung verbundenes Problem haben:In aktuellen, klassischen Häusern werden die Wände mittlerweile so gestaltet, dass diese „atmen“ und Wasserdampf durch die Wände nach draußen geleitet werden kann. Bei Tiny Houses ist das oft nicht möglich. Viele Tiny Häuser haben sogenannte diffusionsoffene Wände. Das bedeutet, dass der Wasserdampf, der durch unsere Atmung, Kochen oder Duschen in der Wohnung entsteht, sich in den Wänden niederschlagen kann. Entsprechend sind die Wände anfällig für Schimmel, da der Wasserdampf an den dünnen und dadurch im Winter kalten Wänden kondensiert und nicht nach draußen entweichen kann.
Wenn Tiny Häuser dagegen wie normale Häuser als Immobilien gebaut werden, können auch nachhaltigere Baumaterialen und -methoden zum Einsatz kommen und das Haus so durchaus energetisch sinnvoll aufstellen. „Vor allem, wenn Photovoltaik und Dachbegrünung zum Einsatz kommen“, ergänzt Nöller.
Ein gutes Leben im kleinen Haus
„Für ein Tiny House braucht man weniger Baumaterial als für ein großes Haus“, sagt Nöller. „Trotzdem kann man kann nicht pauschal sagen, ob es ökologisch ist oder nicht.“ Ob ein Tiny House das Zuhause der Zukunft wird, hängt vor allem von drei Dingen ab: davon, wo das Haus steht, von der Bauart des Hauses und dem Verhalten der Bewohnenden. Wer sein Häuschen auf ein festes Fundament stellt und gut dämmt, es selbst und vor allem lange bewohnt und bewusst mit Energie und Ressourcen umgeht, kann durchaus auf wenigen Quadratmetern ein Stück Nachhaltigkeit erschaffen.
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