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Diese Familie hat ein Jahr lang versucht, nachhaltig zu leben

Vier fürs Klima
Foto © hasskarl.de; Droemer Verlag

Günther Wessel, Autor von „Vier fürs Klima“, erzählt im Interview, wie er und seine Familie versucht haben, ein Jahr lang nachhaltig zu leben. Trotz vieler Hindernisse schaffte Familie Wessel es, ihren CO2-Ausstoß um 30 Prozent zu senken. Nun verrät der Familienvater, wie er und seine Familie das geschafft haben, wie es zu dem Selbstexperiment kam – und wie jeder von uns klimafreundlicher leben kann.

Welchen ökologischen Fußabdruck hinterlässt eine ganz normale vierköpfige Familie in Deutschland? Und wie können Vater, Mutter und zwei Kinder ihre Ökobilanz verbessern? Lohnt sich das Ganze überhaupt?

Familie Pinzler/Wessel wollte es wissen – und hat es ausprobiert. Ein Jahr lang haben die Vier bewusst umweltfreundlich gelebt, recherchiert und nachgefragt. Mit Erfolg und rund 30 Prozent CO2-Einsparung! Ihre Erlebnisse haben sie in ihrem Buch „Vier fürs Klima“ festgehalten. Autor Günther Wessel im Interview – von einem Selbstversuch, der sich gelohnt hat.

Vier fürs Klima: ein Selbstversuch

Sie haben als Familie ein Jahr lang versucht nachhaltig zu leben. Wie ist es zu diesem Selbstversuch gekommen und wie lief das ab?

Günther Wessel: Unser Auslöser damals war unsere Tochter Franziska, die vom Ethikunterricht aus der Schule kam, in dem sie viel über Klimafragen gesprochen hatten. Der Lehrer hatte den Schülern als Hausaufgabe aufgegeben, sich ihren eigenen ökologischen Fußabdruck anzuschauen. Ich habe dann einen Klimarechner aufgerufen und wir haben festgestellt, dass wir als vierköpfige Familie auf einen Verbrauch von 42 Tonnen CO2 im Jahr kamen.

Mit 10 1/2 Tonnen CO2 pro Person waren wir damit ein bisschen besser als der deutsche Durchschnitt, der bei 11 Tonnen liegt. Dennoch erschien uns der Wert zu hoch, weil wir uns bis dahin für relativ umweltbewusst gehalten hatten. Mein Sohn hat dann angeregt, dass wir das Thema genauer angehen und uns über einen längeren Zeitraum fragen: Was können wir tun, was müssen wir lassen, wo ist viel und wo wenig Platz nach oben – und das auch umsetzen. So ist dieser Selbstversuch entstanden.

Welche Erfahrungen haben Sie aus diesem Experiment mitgenommen?

Wir haben festgestellt, dass viele Dinge einfach umzusetzen sind und dass wir am Anfang eine steile Lernkurve hatten: den Kühlschrank wärmer stellen, LEDs statt Glühlampen und Mehrfachstecker besorgen – mit wenig Aufwand lassen sich erste Ergebnisse erzielen. Wir haben uns bestimmte Kriterien auferlegt, zum Beispiel, dass wir partout keine Inlandsflüge machen, sondern lieber deutlich längere Fahrtzeiten mit dem Zug in Kauf nehmen.

Diese Vorhaben haben wir nicht immer konsequent umgesetzt, aber häufig. Und dann lässt sich schon einiges einsparen. Insofern kann ich solch ein Experiment unbedingt empfehlen, weil es das Bewusstsein schärft und manche Entscheidung leichter macht. Man spart Zeit und Geld, aber auch Energie, denn wer beschließt, nur noch das Fahrrad zu nehmen statt Auto zu fahren, muss sich über diese Wahl nicht dauernd Gedanken machen.

Einfach mal beschließen, immer das Fahrrad zu nehmen …
Einfach mal beschließen, immer das Fahrrad zu nehmen … (Foto "driving into the sunset" von Daniel Wehner unter CC BY 2.0 )

Es ist für uns Menschen alle schwer, aus bestimmten Verhaltensweisen rauszukommen, und auch beim Selbstversuch war nicht alles so einfach, wie wir es uns vorher vorgestellt haben. Aber es geht. Wichtig ist, sich am Anfang nicht zu viel vorzunehmen, denn dann ist das Scheitern programmiert und es macht keinen Spaß. Es zählt das ständige Versuchen in kleinen Schritten und „besser scheitern“ – und das ohne schlechtes Gewissen.

Nicht „man müsste“. Sondern „wir“. Jeder Einzelne. Bei sich anfangen.

Vor welchen sozialen Herausforderungen standen Sie, als Sie Ihren Freunden und Bekannten von Ihrem Vorhaben erzählt haben?

Wir haben am Anfang einen strategischen Fehler gemacht und sind ein bisschen missionarisch aufgetreten. Das ist auf Unverständnis bei den Freunden gestoßen, weil sich natürlich keiner als Ökosünder bezeichnen lassen möchte.

Wir fragten uns: Warum reagieren sie so und was sind ihre Motive? Daraufhin haben wir nicht mehr nur darüber geredet, wie toll wir sind, sondern darüber, was wir schwierig finden und wo wir Probleme sehen. Und Geschichten zu erzählen statt Fakten zu nennen.

Vier fürs Klima
Vier fürs Klima (Cover © Droemer)

Wir wollen ja auch mit dem Buch niedrigschwellige Handlungsschritte aufzeigen, damit der Leser anfangen kann, konkret etwas zu tun. Die nächste Studie, die nächste Konferenz helfen irgendwann nicht mehr weiter, das Wissen um die Problematik ist da. Mit dem Tun stellt man sich immer neue Fragen und kommt immer weiter, auch wenn es mal einen Schritt zurückgeht.

Es geht vor allen Dingen darum, diese Fragen auf sich selbst zu beziehen und nicht darauf, was „man sollte“. Wir wissen jetzt, wer aktiv werden muss: Nicht „man“, „man müsste“. Sondern „wir“. Jeder Einzelne. Bei sich anfangen.

Immer wieder prallen im Buch und auch in der Gesellschaft ökonomische und ökologische Interessen aufeinander. Haben Sie eine Lösung, wie sich die beiden Pole miteinander verschmelzen lassen?

Ehrlichkeit hilft. Solange wir keine Umweltkosten einpreisen, so lange wird Kerosin natürlich billiger bleiben. Also eine ehrliche Kalkulation anstellen und die Umwelt- und sozialen Kosten mit in alle Preise einbeziehen. Dann zeigt sich sofort, dass die Erneuerbaren Energien wesentlich günstiger sind als die fossilen und auch, dass das ach so billige T-Shirt für 3 Euro vielleicht auch gar nicht so günstig ist.

„Wir brauchen eine ökologische Verkehrswende“

Viele Bürger sind willens, die Umwelt zu schützen und tun bereits einiges dafür. Aber auch dem Verbraucher sind manchmal die Hände gebunden. Was wären Ihre Forderungen an die Politik, um das zu ändern?

Wir brauchen eine ökologische Verkehrswende, also mehr öffentlichen Transport, weniger Autoverkehr und Flugverkehr. Wir brauchen Ökodesign-Richtlinien von der EU, die dazu führen, dass man Unternehmen zu Innovationen zwingt. 2014 wurde zum Beispiel beschlossen, dass Staubsauger nur noch 900 Watt verbrauchen dürfen.

Da haben alle aufgeschrien: Die würden doch dann gar nicht mehr saugen. Pustekuchen! Die saugen genauso gut wie vorher, verbrauchen nur weniger Strom. Das ist doch wunderbar!

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Wessel!

Das Buch: „Vier fürs Klima – Wie unsere Familie versucht, CO2-neutral zu leben“ von Petra Pinzler und Günther Wessel (Droemer Knaur; ISBN: 978-3-426-27732-4, Preis: 18 Euro)
Kaufen: beim lokalen Buchhändler deines Vertrauens oder z.B. bei buch7.de**, ecobookstore**, Amazon**, Thalia**.

Tipps der Vier-fürs-Klima-Autoren

Fünf Tipps des Buchautors, die eine Familie leicht in ihren Alltag integrieren kann, um nachhaltiger zu leben:

  1. Ernährung: Weg vom Fleischkonsum, vor allem vom Rind. Alternative: In Regionen, wo es sehr viel Wild gibt, Wildschweine essen – das Klimaneutralste, was man auf den Teller bekommen kann. Die Tiere müssen aufgrund ihrer Überpopulation sowieso geschossen werden und sind preiswert zu kaufen.
  2. Alltagsmobilität: Möglichst ohne Auto. Nicht immer Entschuldigungen suchen: Es regnet weniger, als man denkt.
  3. Urlaub: Genau überlegen, ob es nicht aufregende Alternativen zum Flug gibt: zum Beispiel eine Fahrradtour entlang eines europäischen Stromes. Und wenn Fliegen, dann Entfernung von Zuhause und Länge des Urlaubs in Relation setzen. Als Familie im einen Jahr die gesamten sechs Wochen Sommerferien nutzen und das Jahr darauf etwas Bescheidenes ohne Flugreisen. Den Einheimischen ist es egal, ob die Touristen sechs Wochen am Stück oder dreimal zwei Wochen fliegen. Der Umwelt aber nicht. Und wenn Fliegen, dann über eine nach den Gold-Standards empfohlenen Möglichkeiten CO2 kompensieren. Für eine vierköpfige Familie kostet die Kompensation des Trips Berlin-Athen-Kreta und zurück 112 Euro. Bei 14 Tagen Urlaub sind das pro Person pro Tag 2 Euro – nicht einmal ein Kaffee!
  4. Strom: Zu einem echten Ökostromanbieter wechseln.
  5. Konsum: Sich überlegen, was man wirklich braucht an Konsumgütern. Nicht das T-Shirt für 3 Euro kaufen, das zu Bedingungen produziert wurde, die wir als Gesellschaft nicht haben wollen.

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