„Cosmic Crisp“ sieht perfekt aus, hat angeblich eine unglaubliche Lebensdauer, ist dreimal so teuer wie ein normaler Apfel – und soll den Markt revolutionieren. Ist etwas faul unter der glänzenden, roten Schale der Neuzüchtung aus den USA?
Schneewittchen hätte ihm mit Sicherheit nicht widerstehen können: Die neue Apfelsorte Cosmic Crisp (deren wissenschaftlicher Name „WA38“ lautet) ist tiefrot, ihre kleinen weißen Sprenkel sollen an den Nachthimmel erinnern. Für kosmischen Genuss soll der süß-säuerliche Geschmack und die frische und knackige Konsistenz sorgen. Vor allem aber hält sich der Apfel im Kühlschrank angeblich bis zu einem Jahr lang und wird angeschnitten kaum braun.
Cosmic Crisp wird ausschließlich im US-Bundesstaat Washington angebaut. Der Apfel kommt noch in dieser Woche in den USA auf den Markt, die erste kommerzielle Ernte fand im November statt. Zuvor hatten Forscher der Washington State University (WSU) über 20 Jahre an der Kreuzung zwischen den Sorten „Honeycrisp“ und „Enterprise“ gearbeitet. Für die Züchtung haben sie nach eigenen Angaben keine Gentechnik eingesetzt.
Allein die Werbekampagne kostete mehr als zehn Millionen Dollar
Kate Evans, Leiterin des Züchtungsprogramms, vergleicht den Verkaufsstart der Superfrucht laut „BBC“ mit der Präsentation des neuesten I-Phones. Und die Apple-Apfel-Analogie ist nicht aus der Luft gegriffen: Zum einen ist Cosmic Crisp etwa dreimal so teuer wie ein herkömmlicher Apfel. Zum anderen kostete allein die Werbekampagne mehr als zehn Millionen Dollar.
Das Ergebnis: Die Nachfrage unter den Landwirten war so groß, dass die Bäume verlost wurden, die Obstbauern pflanzen die Sorte millionenfach. 2020 sollen schon 2,1 Millionen Kisten ausgeliefert werden. „A star is born“, schreiben die Sortenmanager „Proprietary Variety Mangagement (PVM) über ihren Apfel. Ziemlich viel Hype für ein Obst.
Cosmic Crisp ist eine Clubsorte, im Grunde also eine Marke
Manch einen dürfte der Zirkus an die Sorte „Pink Lady“ erinnern: Auch dieser Designer-Apfel gelangte mit einer Marketing-Kampagne zu Ruhm und ist heute in jedem Supermarkt zu finden. Doch Pink Lady wird aus vielen Gründen kritisiert: Sie ist eine Clubsorte, für die Bauern erst einem Club beitreten und Lizenzgebühren bezahlen müssen, der Apfel ist anfällig für Krankheiten und oft stark mit Pestiziden belastet.
Auch Cosmic Crisp ist eine Clubsorte, im Grunde also eine Marke. Das Problematische an solchen überzüchteten Obstsorten ist unter anderem, dass sie die Sortenvielfalt verdrängen – besonders, wenn eine Sorte so aggressiv beworben wird, als sei sie allen anderen überlegen. Möglicherweise gibt es dann irgendwann nur noch Designeräpfel für den Massengeschmack – Vielfalt in Aroma und Aussehen: Fehlanzeige. Die „Financial Times“ äußerte Verwunderung über die Strategie der Cosmic-Crisp-Züchtung, da sich heutzutage eigentlich viele Menschen authentische Lebensmittel direkt vom Erzeuger wünschten – also das genaue Gegenteil.
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Zwar gibt es laut PVM auch die Bio-Variante „Organic Cosmic Crisp“. Dazu, wie hoch der Bio-Anteil an der bisherigen Produktion gegenüber dem konventionellen ist, macht der Hersteller aber keine Angaben. Ein weiterer Minuspunkt für Konsumenten in Europa, wo der Apfel ab kommendem Jahr zu kaufen sein soll: die schlechtere Klimabilanz im Gegensatz zu Äpfeln aus der Region. Bis 2027 sollen die Äpfel nämlich nur in den USA angebaut werden dürfen.
Mit der Sorte könnte man zumindest Food Waste vermeiden
Hoffnungen schürt die Apfelsorte vor allem bei den Obstbauern in Washington, dem größten Apfelproduzenten der USA: Vorerst darf die Neuzüchtung nur von dort ansässigen Landwirten kultiviert und verkauft werden. Die Branche war auf der Suche nach einer neuen Sorte, die sich gegen die Konkurrenz von Pink Lady & Co. durchsetzen kann.
Interessant dürfte auch werden, ob Cosmic Crisp in Sachen Haltbarkeit hält, was er verspricht. Wenn er tatsächlich ein Jahr lang hält, ohne zu verderben, hätte der Apfel zumindest einen Vorteil auf seiner Seite: Er könnte Lebensmittelverschwendung vermeiden – insbesondere durch Supermärkte – und so dazu beitragen, dass Ressourcen geschont werden. Als Grund, um den „Wunder-Apfel“ überhaupt zu kaufen, reicht das allerdings nicht.
So findest du bessere Äpfel:
- Kaufe Äpfel und Apfelsorten aus der Region, zum Beispiel bei Hofläden oder auf dem Wochenmarkt. Auch Obst mit Frostschäden oder anderen kosmetischen Fehlern schmeckt gut.
- Frage gezielt nach alten Apfelsorten. So kannst du selbst zur Sortenvielfalt beitragen. Auch Vereine wie VERN oder die Arche Noah setzen sich für den Erhalt seltener und alter Sorten ein.
- Erkundige dich nach Möglichkeiten, auf Streuobstwiesen selbst Äpfel zu pflücken. Sie sehen vielleicht nicht perfekt aus, sind dafür aber frei von chemischen Spritzmitteln. Meist handelt es sich außerdem um alte Apfelsorten.
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