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Eltern und Experten entsetzt: Kino-Doku „Elternschule“ löst Shitstorm aus – was steckt dahinter?

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Foto: Zorro Film

Der Kino-Film „Elternschule“ sorgt derzeit für jede Menge Ärger im Netz: Zeitungen loben die Dokumentation – viele Eltern und Kinderärzte sind über die darin propagierten Erziehungsmethoden entsetzt. Eine Petition fordert sogar die Absetzung des Films. Doch was ist dran an den Vorwürfen?

Update: Der Film läuft am Mittwoch, 03. Juli, in der ARD und ist bis zum 10. Juli 2019 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Sie spucken, schreien, beißen und werfen mit Stiften um sich, ein Kind streckt den Mittelfinger in die Kamera: Der Kinofilm „Elternschule“ von Jörg Adolph und Ralf Bücheler dokumentiert die Behandlung verhaltensauffälliger Kinder in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen. Dort führt der Psychologe Dietmar Langer durch sein selbst entwickeltes Therapieprogramm, bei dem ratlose und überforderte Eltern in mindestens drei Wochen lernen sollen, wie „gute Erziehung“ geht – um ihre Kinder dauerhaft in den Griff zu bekommen. Der Film seit 11. Oktober 2018 in den Kinos.

Hier seht ihr den Trailer zum Film: 

Nicht nur die Kinder sollen ihr Verhalten ändern

Dabei durchlaufen Eltern und Kinder ein umfassendes Programm: Schlaftraining, Esstraining, Verhaltenstraining, Psychotherapie und Erziehungscoaching sind Teil der Therapie: Die Kinder sollen ihr Verhalten ändern, die Eltern lernen konsequent zu bleiben, Grenzen zu setzen – und nicht nachzugeben, wenn sich die Kinder wehren.

Im Film wirken die angewendeten Maßnahmen auf den Zuschauer teilweise aber verstörend: Man sieht wie Kinder, die schreiend und protestierend auf dem Boden liegen, von ihren Eltern in einem Spielzimmer zurückgelassen werden. Andere Bilder zeigen Kinder in Gitterbettchen, die in große Räume geschoben werden, wo sie lernen sollen durchzuschlafen, indem sie die Nacht ohne die Eltern verbringen. Oder wie Kinder, die nicht essen, von Therapeuten mit hohem Kraftaufwand festgehalten und zum Essen gedrängt werden.

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Ein Kind beim Esstraining. (Foto: Zorro Film)

Medien feiern den Film

In den Medien stößt der Film auf überwiegend positive Resonanz. So schreibt die Süddeutsche Zeitung, der Film sei „für jeden, der selbst Kinder hat, ein Muss.“ Und setzt hinterher: “Ein Einblick in eine verunsicherte Gesellschaft, die sich mit Autorität schwertut und ihren Instinkten kaum noch traut.”

Der Bayerische Rundfunk ist der Meinung der Film zeige, „wie ein ganzheitliches Verhaltenstraining mit Psychotherapie und Erziehungscoaching funktionieren kann“, und nennt den Film einen „kraftvollen Blick auf die Suche nach einer guten Erziehung“. Der WDR präsentiert den Trailer mit der Überschrift: Filmdoku „Elternschule. Das Geheimnis guter Erziehung“

Eltern sind entsetzt

Viele Eltern und Experten sehen das allerdings anders. Auf Facebook brach schon vor Kinostart am 11. Oktober 2018 ein regelrechter Shitstorm aus: Nutzer forderten die Schließung der Klinik. Sie warfen dem Therapie-Team „pure Gewalt“, „Kindesmissbrauch und Misshandlung“ vor – und gingen sogar so weit, die Erziehungsmethode mit Nazimethoden zu vergleichen. Eine Petition fordert das Ausstrahlungsende des Films.

Die Facebook-Seite des Films wurde mittlerweile geschlossen. Die Filmemacher sahen sich gezwungen auf Kritik mit einem  FAQ-Dokument zu reagieren. Auch die Klinik selbst weist die Vorwürfe der Kritiker in einem Statement zurück.

Kinderarzt kritisiert Erziehungsmethoden und die Leitmedien

Trotzdem wurde auch nachdem der Film angelaufen war, noch Kritik laut. So veröffentlichte der Kinderarzt Herbert Renz-Polster auf seinem Blog einen Kommentar, in dem er sich entsetzt über die Therapieformen der Gelsenkirchener Klinik zeigt: „Was mich an diesem Film vor allem wundert, ist die Schamlosigkeit, mit der erzieherische Gewalt dargestellt, glorifiziert und auch medikalisiert wird.“

Dabei kritisiert er auch die Position, die viele Leitmedien einnehmen. Renz-Polster sieht im Film Kinderrechte missachtet. Das werde aber nicht aufgegriffen – und auch die Erziehungsmethode wird seiner Meinung nach nicht kritisch hinterfragt.

Renz-Polster ist der Meinung: „Wir sollten uns schämen, dass dieser Film in unserer Gesellschaft nicht mehr Widerspruch bekommt.“

Was ist dran an den Vorwürfen?

Die hitzige Debatte um den Film zeigt, wie kontrovers das Thema Kindererziehung ist. Doch ist der Film und die darin gezeigte Therapie wirklich so problematisch?

Jein. Die Methode, die im Film gezeigt wird, ist streitbar und darf hinterfragt werden. Ob die Klinik gegen das in Paragraf 1631 Absatz 2 BGB verbürgte Recht auf gewaltfreie Erziehung verstößt – wie ihr Kritiker vorwerfen – ist aber nicht eindeutig, wie Familientherapeutin Dietz in der Zeit schreibt.

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Der Leitende Psychologe der Gelsenkirchener Klinik, Dietmar Langer , erklärt seine Methoden im Seminar. (Foto: Zorro Film)

Der Film hat aber auch noch ein anderes Problem: Es werden Kinder in Notsituationen gezeigt, verzweifelte Eltern, die überfordert sind und keinen Ausweg mehr wissen. Dennoch sagt der leitende Psychologe zu Beginn des Films „Ich muss nicht warten, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe, Theater gibt es sowieso. Also lieber gleich Grenzen setzen,“ und suggeriert damit, dass sein Erziehungsmodell allgemeingültig ist – und eben nicht nur für Familien in Notsituationen.

Was für ein Menschenbild haben wir?

Von „liebevoll konsequentem Erziehen“ ist im Film die Rede, bei der „erwünschtes Verhalten bestärkt und unerwünschtes bestraft wird“, kritisiert Kinderarzt Renz-Polster und wirft dem Film vor, so zu tun als wäre das die einzige Möglichkeit, Kindern zu helfen.

Wer so erzieht, der legt allerdings ein bestimmtes Weltbild zu Grunde, findet auch Familientherapeutin Dietz. Und das ist das nächste Problem der Dokumentation: Oft wird im Film betont, Kinder handeln egoistisch, manipulativ und strategisch, weil sie dafür gemacht seien, im Urwald zu überleben. „Nur ich bin wichtig und wie es allen anderen geht ist mir eigentlich scheißegal“, formuliert Psychologe Langer überspitzt.

Langers Ansicht nach muss man Kinder deshalb erst zivilisieren – und zwar indem man ihre angeblichen Manipulationsversuche so lange an sich abprallen lässt, bis sich die Kinder fügen. „Dass wir endlich mal begreifen, dass diese kleinen Würmchen strategisch schreien können,“ lautet die Schlussfolgerung einer Mutter im Film.

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Die Mütter mit ihren Kindern, die in der Klinik in Behandlung sind. (Foto: Zorro Film)

Kinder sind von Natur aus soziale Wesen

Diese Art der Erziehung wirkt erschreckend – vor allem, wenn man ein anderes Menschenbild zugrunde legt: Eines, das davon ausgeht, dass Kinder von Natur aus soziale Wesen sind. Wie etwa die Familientherapeutin Hella Dietz.

Sie ist der Ansicht: „Wenn Kinder nicht mehr essen, nicht mehr trinken oder ausrasten, dann ist das ein Zeichen dafür, dass etwas in der Familie schiefläuft.“ Und fügt hinzu „Wo die Klinik in Gelsenkirchen geheilte Kinder sieht, erblickt man aus unserer Perspektive Kinder, die lediglich auf andere Weise mit einer destruktiven Umwelt kooperieren, nämlich indem sie gehorchen.“

Auch Renz-Polster geht von diesem Menschenbild aus. Er schreibt: „Dass Kinder nicht deshalb ‘unmöglich’ sind, weil ihre Eltern vielleicht vergessen haben, die Regeln zu erklären, das wissen die allermeisten. Und dass Eltern nur dann mit großzügigen, gutmütigen Kindern rechnen können, wenn sie selbst großzügig und gutmütig sind, das wissen die meisten Eltern.“

Doku „Elternschule“: Ein Muss für jeden der Kinder hat?

Ein „Muss“ also für jeden der Kinder hat, wie die Süddeutsche Zeitung meint? Eher nein, denn: Der Film zeigt Familien in Behandlung, Eltern und Kinder in Notsituationen, die keinen anderen Ausweg mehr wissen und „mit dem Rücken zur Wand stehen“, wie der Psychologe im Film es nennt. Hinzu kommt, dass er eben nur eine Form der Therapie zeigt – und die ist umstritten. Dass sich Eltern diese Erziehungsmethode zum Vorbild nehmen sollten, ohne sie kritisch zu betrachten, sorgt also zu recht für einen Aufschrei.

Dass das nicht die Absicht der Filmemacher war, sollte aber auch noch gesagt werden. In ihrem FAQ-Dokument schreiben sie: „Der Film ist aber kein „Ratgeberfilm“, sondern zeigt Menschen in einem therapeutischen Verfahren und mögliche Handlungsoptionen.“ Sie entkräftigen damit den Vorwurf, die Erziehungsmethode sei allgemeingültig, im Nachhinein doch noch.

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