Seit Wochen beherrschen die Straßenblockaden der Letzten Generation die Schlagzeilen; um Extinction Rebellion (XR) war es zuletzt ruhiger. Klimaaktivistin Susanne Egli – Mitglied in beiden Gruppen – spricht im Utopia-Interview über zivilen Ungehorsam und verrät, ob sie für den Klimaprotest ins Gefängnis gehen würde. Außerdem erklärt sie, wie die Bundesregierung dafür sorgen könnte, dass die Letzte Generation ihre Protestaktionen einstellt.
Kartoffelbrei auf einem Gemälde von Monet und ein schwarzgefärbter Brunnen auf der Piazza Navona in Rom: Die Protestaktionen von Klimaaktivist:innen wie der Letzten Generation und Extinction Rebellion sind umstritten. Wir haben Susanne Egli getroffen, Sprecherin bei Extinction Rebellion (XR) Deutschland und Mitglied bei der Letzten Generation. Im Gespräch erklärt sie, wie weit Klimaprotest gehen darf – und muss.
Utopia: Was ist der bislang größte Erfolg von Extinction Rebellion in Deutschland?
Susanne Egli: Jetzt wird sehr viel mehr über Klimaschutz und die Klimakrise gesprochen. Selbst Olaf Scholz hat damit geworben, dass er der Klimakanzler sei. Damit eine Partei heute noch eine Chance hat, muss das Thema im Parteiprogramm stehen. Klima ist in den Köpfen der Menschen und kann nicht mehr ignoriert werden.
Utopia: Warum gibt es Extinction Rebellion (XR) und die Letzte Generation und Fridays for Future – warum nicht eine gemeinsame Organisation?
Egli: Wir würden uns eine große, gemeinsame Organisation wünschen. In der Praxis merkt man aber leider, dass das nicht zielführend ist. Fridays for Future sind Schüler:innen. Da könnte ich mich zum Beispiel gar nicht mehr einbringen. Auf FFF wurde zu Beginn gehört – und zwar anders, als wenn ich als Vierzigjährige auf die Straße gehe. Der Effekt war super.
Susanne Egli: Wir brauchen Diversität im Klimaprotest
Utopia: Warum dann nicht eine Fridays for Future-Organisation für alle Altersgruppen?
Egli: Ich kann verstehen, wenn 15-Jährige keinen zivilen Ungehorsam wie bei Extinction Rebellion oder der Letzten Generation ausüben wollen, der hohe Repressionen mit sich bringen kann. Wir brauchen deshalb Diversität, um viele Menschen mitzunehmen. Wenn jemand zum Beispiel inhaltlich einsteigen will, sich aber nicht im zivilen Ungehorsam sieht, kann er bei Fridays oder Students for Future mitmachen. Wenn jemand andere Schritte und in den zivilen Ungehorsam gehen möchte, gibt es andere Gruppen.
Utopia: Führt das nicht zu einem komplizierten Flickenteppich?
Egli: Verschiedene Gruppen bedeuten nicht, dass wir nicht zusammenarbeiten. Es gibt gemeinsame Aktionen, auf den Friday-Demos sind immer alle Gruppen vertreten. Wir müssen zusammenarbeiten, sonst haben wir keine Chance. Die Diversität ist trotzdem gut, um viele Leute mitzunehmen.
Für gesellschaftliche Veränderungen brauche es zivilen Ungehorsam
Utopia: Trotz Diversität und Zusammenarbeit erreichen Sie die breite Masse der Bevölkerung bislang nicht. Was müssen Sie anders machen?
Egli: Die Geschichte hat uns gezeigt: Wenn es große Veränderungen gab, wie die Frauenrechtsbewegung oder die Abschaffung der Apartheid, hat es zivilen Ungehorsam gebraucht. Auch wenn die Menschen davon anfangs nicht begeistert waren, baute das Druck auf, der nicht mehr ignoriert werden konnte. Es wurden Aktionen gestartet, die nicht mehr ignoriert werden konnten. Deswegen versuchen wir das jetzt auf dem gleichen Weg.
Utopia: XR Großbritannien geht seit Anfang des Jahres einen anderen Weg. Sie wollen weniger öffentliche Stör-Aktionen durchführen und stattdessen mehr Druck auf verantwortliche Politiker:innen ausüben. Warum tun Sie das nicht?
Egli: In Großbritannien ist die Ausgangslage eine andere: Dort ist Fridays for Future nicht so groß, dafür aber Extinction Rebellion. Deshalb hat XR dort auch Kapazitäten, um auf Konfrontation mit Politiker:innen zu gehen. Wir möchten am zivilen Ungehorsam festhalten, schließen aber nicht aus, künftig mehr direkten Druck auf Politiker:innen auszuüben. Momentan ist es aber nicht unser Weg.
Egli: Protestcamps haben keine Signalwirkung, Klebeaktionen der Letzten Generation schon
Utopia: Weil Extinction Rebellion in Deutschland nicht groß genug ist?
Egli: Es wäre schön, wenn wir es in Deutschland schaffen, hunderttausende Menschen um das Regierungsviertel zu versammeln und diese dort eine Woche campen, feiern und Workshops organisieren. Natürlich wären wir froh, wenn wir uns nicht vor ein Auto kleben müssten, sondern nur solche Camps organisieren könnten. Meine Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass diese Veranstaltungen zu keinen großen Veränderungen führen.
Utopia: Würden Sie für Ihren Klimaaktivismus eine Gefängnisstrafe in Kauf nehmen?
Egli: Ich würde es gerne vermeiden, weil ich denke, dass ich noch viel beizutragen habe. Tatsächlich stehe ich aber knapp vor einer Gefängnisstrafe.
Utopia: Es wurden bereits Klimaaktivist:innen verurteilt. Aus welchem Grund sind Sie angeklagt?
Egli: In den vier Jahren als Klimaaktivistin kam einiges zusammen: Wegen einer Blockade vor dem Verkehrsministerium in Berlin wurde ich wegen Hausfriedensbruch angeklagt. Die Straßenblockaden ziehen oft Anklagen wegen Nötigung nach sich. Schlimmer ist für mich aber, dass das Festkleben auf der Straße als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bestraft werden kann. Wenn die Justiz weiter so vorgeht, haben wir in ein bis zwei Jahren hunderte friedlicher Klimaaktivist:innen in deutschen Gefängnissen sitzen.
Utopia: Laut Strafgesetzbuch kann Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.
Egli: Wenn mein Protest eine Freiheitsstrafe nach sich zieht, würde ich das auf jeden Fall in Kauf nehmen. Allerdings haben wir nur noch zwei bis drei Jahre Zeit, um etwas zu verändern. Diese Zeit möchte ich nicht in einer Zelle rumsitzen.
Utopia: Warum bleiben nur noch zwei bis drei Jahre Zeit?
Egli: Weil wir neueren wissenschaftlichen Studienergebnissen zufolge genau diese Zeit haben, um wenigstens noch das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Deshalb müssen wir die nächsten zwei bis drei Jahre einen komplett neuen Weg einschlagen. Sonst ist es zu spät und wir steuern auf drei Grad Erderwärmung zu, was unter anderem Hitzerekorde von 45 Grad Celsius in Deutschland Realität werden lässt. Deswegen müssen wir Gas geben.
Utopia: Ab wann ist Ihre Organisation überflüssig?
Egli: Die Bundesregierung muss Entscheidungen für das Wohl zukünftiger Generationen und auf Grundlage des Allgemeinwohls zu treffen. Im ersten Schritt fordern wir einen Gesellschaftsrat, der aus zufällig gelosten Menschen besteht, die die Bevölkerung in Deutschland bestmöglich repräsentieren und der nötige Schritte zum Ausstieg aus den fossilen Energien erarbeiten soll. Im zweiten Schritt brauchen wir eine Regierung, die in den kommenden Jahren komplett auf fossile Energien verzichten will und die erneuerbaren Energien ausbaut.
Utopia: Der Ausstieg aus Kohle und Öl besiegelt damit das Ende von Extinction Rebellion und Letzter Generation?
Egli: Ein Gesellschaftsrat ermöglicht den Bürger:innen wieder mehr Mitsprache. Wenn die Regierung diesen einberuft, wäre das für die Letzte Generation Grund genug, um auf weitere Proteste zu verzichten.
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