Der Sozialwissenschaftler Andreas Knie erklärt, wie die Verkehrswende gelingen kann.
Trotz Abgasskandal und hohen Stickoxidwerten mögen die Deutschen vom Verbrennungsmotor bislang nicht lassen – der Umstieg auf Elektroautos stockt, neue Mobilitätskonzepte werden kaum umgesetzt. Verkehrsforscher Andreas Knie vom Berliner Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) sieht dennoch Mehrheiten für eine grundlegend neue Verkehrspolitik, die auf Dieselsubventionen verzichtet und private Autos in Stadtzentren verbietet.
Das Greenpeace Magazin im Interview mit Verkehrsforscher Andreas Knie
Greenpeace Magazin: Die Bundesregierung hat sich von ihrem Ziel verabschiedet, bis 2020 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen. Die Kaufanreize greifen nicht. Warum ist der Einstieg in die Elektromobilität in Deutschland bislang misslungen?
Andreas Knie: Der Umstieg wird nicht gelingen, solange private Autos mit Verbrennungsmotor das Maß aller Dinge sind. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern. Ein bisschen Forschungsförderung, etwa um die Batterietechnik voranzubringen, verkauft die Bundesregierung oft als Verkehrspolitik. Aber das reicht nicht aus. Was wir brauchen, ist ein grundlegender Strukturwandel, mit null Emissionen im Verkehr als erklärtem politischen Ziel. Erst dann werden E-Autos eine echte Alternative.
Welche Bedeutung hat die Elektromobilität für ein zukunftsweisendes und nachhaltiges Verkehrskonzept?
Die E-Mobilität ist der Einstieg und ein wichtiger Katalysator. Mit Elektroautos verringern sich lokale Emissionen, sie sind leiser und stoßen im Betrieb keine Luftschadstoffe aus. Und auch insgesamt ist die ökologische Belastung einer E-Autoflotte geringer als die von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Darüber hinaus ändert sich mit der Elektromobilität auch das Fahrverhalten: Mit einem Verbrenner-Auto haben Sie keinen Anlass, sich mit anderen Verkehrsmitteln zu vernetzen. Die geringere Reichweite der E-Mobile bringt die Leute dagegen dazu, in anderen Dimensionen zu denken. Die Nutzer fahren vorsichtiger, vorausschauender und vor allem weniger.
Das Auto ist dann eben nicht mehr das Maß aller Dinge, sondern es stellt vor allem sicher, dass nahe Ziele erreicht werden. Für lange Strecken ist die Bahn das geeignetere Verkehrsmittel. Dazu brauchen wir aber eine bessere Verknüpfung von Straße und Schiene – zum Beispiel mit Hilfe von Apps, die den schnellen Umstieg vom Zug auf Car-Sharing-Autos oder Mieträder ermöglichen. Es sollte daher das Ziel der Verkehrspolitik sein, optimale Bedingungen für eine solche multimodale Nutzung von Verkehrsmitteln zu schaffen.
Was kann vom Erfolg der Energiewende in Deutschland für die Verkehrswende gelernt werden?
Wichtig ist natürlich, dass es einen langfristigen Plan gibt. Zu den Erfolgen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), von denen man lernen kann, gehören die überraschenden Wirkungen. Und die sind eingetreten, weil die Bürger weitaus stärker als erwartet selbst die Initiative ergriffen und in Solar- und Windkraftanlagen investiert haben. Wir schlagen daher ein Erneuerbares Mobilitäts-Gesetz vor, das den Menschen starke Anreize bietet, auf ökologische Verkehrsmittel umzusteigen: Analog zum EEG könnten Besitzer eines E-Autos Menschen und Waren für örtliche Verkehrsunternehmen transportieren, die als „Netzbetreiber“ fungieren.
Die Fahrer müssten sich dazu per Smartphone auf einer Plattform des Verkehrsunternehmens registrieren, könnten dann wie Minibusse Transportleistungen anbieten und würden dafür mit einem Teil der Fahrpreise vergütet – der andere Teil verbliebe beim Betreiber der Plattform. Damit würde die Anschaffung eines E-Autos attraktiver und der öffentliche Nahverkehr würde weiter flexibilisiert und schließlich individualisiert.
In Ihren Studien zur Zukunft der Mobilität zeichnen Sie ein rosiges Bild – mit erneuerbaren Energien im Überfluss und Verkehrsmitteln für jeden Bedarf, jederzeit und an jedem Ort. Braucht es für diese Utopie noch mehr technische Innovationen oder vor allem ein verändertes Bewusstsein?
Die dafür nötige Technik steht schon weitgehend zur Verfügung. Um dorthin zu kommen, brauchen wir vor allem veränderte politische Rahmenbedingungen. Busspuren für E-Autos zu öffnen und die Befreiung von der Kfz-Steuer reichen nicht aus. Stattdessen müssten endlich die Grenzwerte für den Ausstoß von Luftschadstoffen gesenkt und die Subventionen für die Verbilligung des Dieselkraftstoffs gestrichen werden, die jährlich acht Milliarden Euro an Subventionen kosten. Das würde mit erneuerbaren Energien betriebene Autos auf einen Schlag attraktiver machen.
Zu Ihren Forderungen gehört auch, Fahrzeuge in Privateigentum zu verbieten. Mal abgesehen davon, dass sich das politisch derzeit kaum durchsetzen ließe: Was würde ein solcher Eingriff in die Eigentumsrechte bringen?
Ganz sicher eine effizientere und ökologischere Nutzung der Autos! Die sind nämlich derzeit vor allem Stehzeuge, die parkend öffentlichen Raum besetzen und nur an wenigen Stunden oder gar nur Minuten am Tag als Fahrzeuge genutzt werden. Deshalb wäre ein Verbot privater Autos in den Stadtzentren durchaus überdenkenswert – auf dem Land, ohne gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, ist das natürlich nicht machbar. In Berlin würden statt der derzeit 1,2 Millionen Autos 350.000 Fahrzeuge ausreichen, um alle notwendigen Fahrten zu erledigen. Würden mehr Autos geteilt und gemeinsam genutzt, könnten in den Städten viele bislang vollgeparkte Flächen für die Menschen zurückgewonnen werden.
Car-Sharing, selbstfahrende Fahrzeuge und fliegende Autos
Gehört also dem Car-Sharing die Zukunft – oder ist das ein Auslaufmodell? Alexander Mankowsky, Zukunftsforscher beim Daimler-Konzern, hat kürzlich erklärt, Car-Sharing werde es in zehn bis 15 Jahren nicht mehr geben, weil niemand auf Dauer sein „Gepäck für den täglichen Gebrauch“ immer wieder aus dem Auto räumen wolle.
Ich bin überzeugt, dass es in naher Zukunft auch ohne Verbote kaum noch Leute geben wird, die ein eigenes Auto besitzen, weil das nicht länger attraktiv ist. Car-Sharing wird die Regel sein, das Angebot wird sich weiter ausdifferenzieren und in vielen Facetten die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse bedienen. Die Frage des Gepäcks ist dann nur noch ein Phantomschmerz für die ewig Gestrigen.
Welche Rolle spielt die Entwicklung des autonomen Fahrens für die Verkehrswende?
Mit dieser Technologie lässt sich – wenn sie ausgereift ist – ein wesentliches Problem des öffentlichen Nahverkehrs lösen: Fahrleistungen auf der letzten Meile zwischen Bahnhof oder Haltestelle und dem Ziel vernünftig zu disponieren und wirtschaftlich anzubieten. Mit einer Flotte autonomer Fahrzeuge, die keinen Fahrer mehr brauchen, ist das viel effizienter möglich.
Fliegende Autos sorgen derzeit für Schlagzeilen – können elektrisch angetriebene Fluggeräte einen nennenswerten Beitrag leisten, damit der Nahverkehr in den Städten nachhaltiger wird?
Nein, ganz sicher nicht. Unsere Verkehrsprobleme werden nicht in der Luft gelöst. Dort lässt sich viel weniger Verkehr abwickeln, als vielfach angekommen wird. Zwischen den einzelnen Flugmobilen braucht es für einen sicheren Flugverkehr relativ große Abstände. Eine Bepackungsdichte wie am Boden ist so kaum zu erreichen, es können also nur vergleichsweise wenige Personen und Güter transportiert werden.
„Den Bewusstseinswandel in der Gesellschaft sollte die Politik nutzen.“
Wie können gesellschaftliche Mehrheiten für eine grundlegende Verkehrswende gefunden werden?
Die Mehrheiten dafür sind doch schon da, vor allem in den Städten. Dort fahren viele Menschen längst multimodal und sind bereit Korrekturen zu akzeptieren, wenn sich damit die Lebensqualität in der Stadt durch weniger Lärm und Abgase und mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer verbessert. Und deshalb akzeptieren sie, dass man den Verkehr etwa über eine Parkraumbewirtschaftung – mit hohen Parkgebühren in Stadtzentren – reguliert oder Emissionsgrenzwerte senkt und Autos mit Verbrennungsmotoren aus den Stadtzentren verbannt. Schließlich hat die Autoindustrie mit dem Abgasskandal Vertrauen verspielt und damit Glaubwürdigkeit und politischen Einfluss verloren. Diesen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft sollte die Politik jetzt nutzen.
Sind die deutschen Autohersteller auf eine ökologische Verkehrswende ausreichend vorbereitet?
Sie sind auf dem Weg, in Ländern wie Norwegen oder China reagieren die Unternehmen jedoch besser auf die neuen Anforderungen. Man muss in Deutschland auch die Anreize verändern, um das Innovationspotenzial der Hersteller abzurufen. Natürlich wird das Biegen von Blechen in Zukunft weniger wichtig werden, die Autokonzerne werden sich völlig neu organisieren müssen, die Produktion der Fahrzeuge wird an Bedeutung verlieren. Stattdessen werden sie zu Anbietern von Mobilitätsdienstleistungen, dabei wird sich auch die in diesen Unternehmen geleistete Arbeit grundlegend ändern.
Ist Deutschland als führender Standort der Autoindustrie also besonders geeignet, um die Verkehrswende anzuführen?
Nicht, solange die Autoindustrie vom Staat vor allzu harten Anforderungen und kostspieligen Veränderungen geschützt wird. Die Branche läuft so Gefahr, das gleiche Schicksal zu erleiden wie der Steinkohle-Bergbau: Mit dem Versuch, Altbewährtes zu konservieren wird den Unternehmen der Weg in die Zukunft verstellt. Am Dieselkraftstoff festzuhalten und den Strukturwandel in Deutschland zu bremsen, bringt nichts, weil der Wandel in anderen Ländern und in anderen wichtigen Märkten für die Autoindustrie längst voranschreitet und sie sich dort darauf einstellen muss. Mit ihrer aktuellen Strategie des Protektionismus hilft die Bundesregierung den Herstellern also überhaupt nicht, sondern treibt sie an den Rand des Abgrunds.
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
INTERVIEW: Matthias Lambrecht
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