Utopia Image

Ernährungsexperte: Diese zwei Nährstoffe vernachlässigen Veganer:innen besonders oft

Markus Keller Ernährungswissenschaftler
Foto: Erik Mosoni Photography // CC0 / Unsplash - Saile Ilyas

Markus Keller ist einer der führenden Experten für pflanzenbasierte Ernährung. Gegenüber Utopia erklärt er, warum Veganer:innen stärker auf ihren Jod- und Calciumkonsum achten sollten und welche pflanzlichen Lebensmittel dabei helfen.

Wenn es um kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung geht, wird Vitamin B12 oft als erstes genannt. Bei keinem anderen Nährstoff herrscht ein solch klarer Konsens darüber, dass pflanzliche Lebensmittel den Bedarf nicht decken können – und deshalb ein Supplement nötig ist. Dennoch ist B12 nicht der Nährstoff, mit dem Veganer:innen am häufigsten Probleme hätten. Das sagt zumindest Markus Keller, Professor für vegane Ernährung und Leiter des Instituts für pflanzenbasierte Ernährung in Gießen (IFPE), im Utopia-Podcast.

Tipp für Veganer:innen: Jod und Calcium nicht vergessen!

Laut Keller, der sich selbst überwiegend pflanzlich ernährt, habe Veganismus einige gesundheitliche Vorteile gegenüber der in Deutschland üblichen Mischkost. Bei Jod und Calcium gebe es jedoch „die größten Defizite“, weil Veganer:innen diese beiden Nährstoffe oft nicht auf dem Schirm hätten. B12-Supplementierung sei zwar ein „absolutes Muss“, darum kümmerten sich die meisten Veganer:innen aber schon, sagt Keller. Eisen und Zink hingegen, die ebenfalls als kritische Nährstoffe für Veganer:innen gelten, bekomme man ausreichend über Lebensmittel, sofern man gut darauf achte. „Aber Calcium und Jod, das wird oft nicht so richtig berücksichtigt und insofern gibt es mit Sicherheit bei vielen Optimierungsbedarf.“

Jod: Warum jodiertes Speisesalz nicht ausreicht

Jod sei nicht nur bei Veganer:innen ein Problem, sondern ein „kritischer Nährstoff in der allgemeinen Bevölkerung“, sagt Keller. In einer optimal zusammengestellten Mischkost würde ausreichend Jod von Fisch kommen. Doch diese Option fällt bei pflanzlicher Ernährung weg, weshalb Veganer:innen oft besonders schlecht mit Jod versorgt seien.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) kommt in ihrem Positionspapier zu veganer Ernährung von Juni 2024 zu einem ähnlichen Ergebnis: „Bei den potenziell kritischen Nährstoffen nimmt neben Vitamin B12 auch Jod eine Sonderstellung ein. Jod gilt in der deutschen Allgemeinbevölkerung, unabhängig von der Ernährungsweise, als kritisch. Die Versorgung bei veganer Ernährung scheint aber noch schlechter auszufallen.“

Keller empfiehlt zur Bedarfsdeckung eine Mischung aus jodiertem Speisesalz und Norialgen. Jodiertes Salz „sollte Basis für alle Ernährungsformen sein“, findet der Experte. Doch für eine alleinige Bedarfsdeckung von Jod reiche dies nicht aus. Theoretisch sei das zwar möglich, doch dann bekäme man ein Problem mit zu viel Salz. Dies könne andere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, wie etwa Bluthochdruck. „Nur das jodierte Salz, das reicht eben nicht“, erläutert Keller.

Die DGE hat berechnet: Hält man sich an deren Empfehlung von bis zu 6 Gramm Speisesalz pro Tag, lässt sich nur etwa die Hälfte der täglich empfohlenen Jodzufuhr von 200 Mikrogramm mit jodiertem Speisesalz decken.

Jod aus Algen: Auf die Dosierung kommt es an

Keller sieht deshalb Norialgen als notwendige Ergänzung bei einer veganen Ernährung. Das IFPE empfiehlt eine Zufuhr von 1 bis 3 Gramm (im trockenen Zustand) pro Tag. Das entspricht ungefähr einem gehäuften Teelöffel Noriflocken oder 1,5 Noriblättern. Für die Berechnungen wurde der Jodgehalt von Noriflocken auf 15 Milligramm, bei den Blättern auf 5 Milligramm pro 100 Gramm geschätzt. Der Jodgehalt kann jedoch von Produkt zu Produkt schwanken.

Wer Algen nicht mag oder es schwer findet, sie in den Alltag zu integrieren, könne alternativ auch auf Jod-Supplementierung zurückgreifen, sagt Keller. Dies sollte aber unbedingt in hausärztlicher Absprache erfolgen.

Die DGE sieht Algen mit moderatem und deklariertem Jodgehalt ebenfalls als mögliche Jodquelle für Veganer:innen, schränkt jedoch ein: „Da Algen aufgrund ihrer stark schwankenden Jodgehalte zu einer übermäßigen Jodzufuhr (> 500 µg pro Tag) führen können, welche insbesondere bei einer geringen habituellen Jodzufuhr gesundheitliche Probleme mit sich bringen kann, können Algen nicht uneingeschränkt empfohlen werden.“

Keller ordnet ein: „Die Schilddrüse reagiert dann auf einen solchen Exzess und das kann wirklich lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen zur Folge haben“. Wer sich jedoch an die maximalen Empfehlungen hält und dabei auf die vergleichsweise jodarme Norialge setzt, könne derartige Fälle vermeiden. Beim Kauf sollte daher darauf geachtet werden, dass der Jodgehalt auf der Verpackung angegeben ist.

Kein Jod ist auch keine Lösung

Die Gefahr einer übermäßigen Zufuhr sollte Veganer:innen bewusst sein, sie aber nicht von Jod abschrecken. Denn ein Jodmangel kann ebenfalls gravierende gesundheitliche Folgen haben. Als Reaktion auf ein solches Defizit kann sich die Schilddrüse vergrößern und zu einem Kropf werden.

Weitere Folgen sind laut dem medizinischen Fachportal MSD Manuals eine eingeschränkte Fruchtbarkeit, Aufgedunsenheit, Heiserkeit, eingeschränkte geistige Funktion, trockene und schuppige Haut, schütteres und grobes Haar, Kälteempfindlichkeit und Gewichtszunahme. Bei Schwangeren kann ein Jodmangel zu Tot- und Fehlgeburten führen. Babys, die nicht sofort nach der Geburt behandelt werden, drohen außerdem körperliche und geistige Behinderungen.

Wichtiger Hinweis: Menschen mit Schilddrüsenproblemen sollten sich zunächst ärztlichen Rat einholen, bevor sie den Jodgehalt ihrer Ernährung mit angereichertem Salz oder Algen deutlich erhöhen.

Calcium: Mineralwasser statt Supplemente

Doch was ist mit Calcium, dem zweiten von Keller hervorgehobenen Nährstoff? Bei einer omnivoren Ernährung, also einer Mischkost, nehmen Menschen in der Regel ausreichend davon über Milchprodukte zu sich. Dennoch gibt es auch pflanzliche Lebensmittel mit viel Calcium. Keller zählt auf: „Brokkoli, Pak Choi, und Grünkohl sind gute Quellen, aber auch Nüsse, Hülsenfrüchte und ein paar andere Gemüse.“

Eine Quelle, die jedoch oft vergessen werde, sei calciumhaltiges Mineralwasser. „Das kostet zwar mehr als Leitungswasser, aber es enthält viel mehr Calcium als das Leitungswasser.“ Kellers Institut rät zu Wasser mit einem Calciumgehalt von mindestens 400 Milligramm pro Liter. In Kombination mit oben genannten Lebensmitteln komme man so auch ohne Supplementierung zurecht.

Zusätzlich könne man auf mit Calcium angereicherte Milchalternativen zurückgreifen. Hier sei jedoch zu bedenken, dass Bio-Pflanzenmilch nur mit Calcium angereichert werden darf, wenn dafür eine bestimmte Alge verwendet wird. Diese Vorgehensweise ist bei den Herstellern jedoch noch nicht weit verbreitet. Produkte ohne Bio-Siegel sind hingegen oft mit Calcium angereichert. Wer auf Bio-Qualität nicht verzichten will, könne sich die Calcium-Alge (Lithothamnium calcareum) auch selbst kaufen und in die Drinks mit einrühren, sagt Keller.

Was passiert bei Calciummangel?

Laut MSD Manuals kann eine Hypokalzämie, also ein Calciummangel, folgende Symptome verursachen: Muskelkrämpfe in Rücken und Beinen sowie neurologische oder psychische Störungen, zum Beispiel Verwirrtheit, Gedächtnisverlust, Depressionen und Halluzinationen. Diese Symptome verschwinden, wenn der normale Calciumspiegel wiederhergestellt wird.

Ein extrem niedriger Calciumspiegel könne außerdem Kribbeln an Lippe, Zunge, Fingern und Füßen, Muskelschmerzen, Versteifung und Muskelkrämpfe zur Folge haben. Auch Atemprobleme durch ein Verkrampfen der Herzmuskulatur, Krampfanfälle und Herzrhythmusstörungen sind mögliche Folgen.

Auch bei Calcium kann eine Überversorgung der Gesundheit schaden. Allerdings liegt die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfohlene Höchstaufnahme bei 2.500 Milligramm pro Tag. Laut DGE besteht die Gefahr der Überversorgung deshalb nur bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Über Lebensmittel, die im Rahmen einer vollwertigen Ernährung in üblichen Mengen gegessen werden, könne nicht übermäßig viel Calcium zugeführt werden.

Keller: Klinische Mängel bei Veganer:innen selten

„Erfreulicherweise gibt es so richtige klinische Mangelerscheinungen nur sehr selten, auch bei Veganerinnen und Veganern“, beruhigt Keller in Hinblick auf deren generelle Nährstoffversorgung. Trotzdem kann Nährstoffmangel problematische Folgen haben. Es empfiehlt sich daher, alle ein bis zwei Jahre die wichtigsten Nährstoffwerte testen zu lassen.

Weitere kritische Nährstoffe veganer Ernährung

Basierend auf seiner langjährigen Forschung nennt Keller nicht nur Vitamin B12, Jod und Calcium als kritische Nährstoffe für Veganer:innen. Auch langkettige Omega-3-Fettsäuren, Selen und Vitamin D sollten bei pflanzlicher Ernährung mitberücksichtigt werden. Wie das geht, erzählt der Ernährungswissenschaftler im Utopia-Podcast. Dabei geht er auch auf die zahlreichen Vorteile pflanzlicher Ernährung ein:

Verwendete Quellen: DGE (Neubewertung der DGE-Position zu veganer Ernährung), IFPE Gießen (vegane Ernährungspyramide), MSD Manuals (Hypokalzämie), EFSA, DGE (Calcium), MSD Manuals (Jodmangel)

** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.

War dieser Artikel interessant?

Vielen Dank für deine Stimme!

Verwandte Themen: