Plötzlich ruft die Bundesregierung genau dazu auf, was Klimaschützer:innen seit Jahren fordern: weniger Fleisch, Stromsparen und Heizungen runterdrehen. Der Anlass ist tragisch, die Situation prekär – und Ausreden zählen nicht mehr. Ein Kommentar.
Plötzlich sind sich alle einig: Die erneuerbaren Energien in Deutschland müssen ausgebaut werden, und zwar am besten schon gestern. Weil sich die letzte Bundesregierung aber weder gestern noch vorgestern darum gekümmert und auch andere Probleme verschlafen hat, werden nun Appelle an Bürger:innen gerichtet: Politiker:innen bitten uns eindringlich, langsamer Auto zu fahren, Strom und Energie zu sparen und – immer ein umstrittenes Thema – weniger Fleisch zu essen.
Interessanterweise sind das genau die Dinge, zu denen Umweltschützer:innen seit Jahren auffordern. Und zwar nicht nur Verbraucher:innen, sondern auch Staat und Industrie, welche entsprechende Rahmenbedingungen schaffen und den Verzicht vereinfachen sollen.
Wir können uns Bequemlichkeit nicht mehr leisten
Bisher hatten die Appelle allerdings nur mäßigen Erfolg – und irgendwie ist das sogar verständlich: Man bügelt nun mal ungern die Fehler anderer aus, in diesem Fall der Regierung, welche die Agrar- und Energiewende jahrelang vernachlässigt hat. Man hat nach Corona genug von Appellen an Eigenverantwortung und lässt sich generell nicht gern etwas „wegnehmen“, was für einen als selbstverständlich gilt.
Doch selbstverständlich sind viele Dinge eben nicht – Heizen, Strom und Benzin zum Beispiel, das zeigt uns der aktuelle Krieg in der Ukraine. Und bei allem Verständnis für Bequemlichkeit: Im Moment können wir sie uns nicht leisten. Es gibt zu viele entscheidende Gründe dafür, zu sparen, wo wir sparen können.
Klar: Die gab es auch schon vorher. Verbraucher:innen müssen zum Beispiel ihren Teil dazu beitragen, die Lebensbedingungen auf unserem Planeten zu sichern, für uns und zukünftige Generationen. Das mag manchen bisher zu abstrakt oder zu weit entfernt erschienen sein. Doch nun haben wir alle zahlreiche ganz neue, konkrete und vor allem zeitnahe Gründe für Verzicht, die sich nicht so leicht ignorieren lassen.
Fleisch, Strom, Tempo: Wieso jeder Beitrag zählt
Natürlich verlangt man eigentlich keine großen Opfer von uns – vor allem im Vergleich zu den Opfern, die die Menschen in der Ukraine derzeit wegen des Krieges gegen Russland erbringen müssen. Aber gerade das kann auch skeptisch machen: Können diese kleinen Dinge, zu denen wir von allen Seiten aufgerufen werden, wirklich einen Unterschied machen?
Ja, das können sie. Und nicht nur für unsere Wirtschaft.
Weniger Fleisch essen
Deutschland produziert viel Fleisch, aber was haben Russland und die Ukraine damit zu tun? Nun: Die Tiere, welche für das Fleisch gehalten werden, werden oft mit Mais und Weizen gefüttert. Das Tierfutter macht einen beträchtlichen Teil der Getreidemenge aus: Laut Bundesentwicklungshilfeministerin Svenja Schulze erhalten Tiere 60 Prozent des weltweit produzierten Maises, in der EU sei der Anteil bei Weizen ähnlich hoch.
Russland und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Exporteuren für Weizen. Wegen des Krieges werden Ernteausfälle befürchtet und die Weizenpreise sind bereits stark gestiegen.
Das hat auch außerhalb von Europa Konsequenzen: In Entwicklungsländern könnte der voraussichtliche Ernteausfall zu Hunger und politischer Instabilität führen. Deshalb appelliert Schulze: „Es würde der Getreideversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern mittel- und langfristig sehr helfen, wenn wir in den reichen Ländern weniger tierische Produkte essen würden.“
Würden wir in Deutschland die Schweinefleischproduktion um 30 Prozent reduzieren, wäre eine Ackerfläche von einer Million Hektar frei, auf der man fünf Millionen Tonnen Getreide anbauen könnte, erklärte sie weiter.
Natürlich hätte solch eine Umstrukturierung auch positive Effekte für die Umwelt: Laut Spiegel könnte man den deutschen CO2-Ausstoß um 8,3 Millionen Tonnen senken, wenn alle Bürger:innen ihren Fleischkonsum auf ein Viertel reduzieren würden. Das entspricht immerhin knapp einem Prozent der gesamten Emissionen von 2018.
Dass wir in Deutschland von der Massentierhaltung weg müssen, um unsere Klimaziele zu erreichen, ist lange bekannt. Und selten haben sich die Menschen so intensiv mit Lebensmittelsicherheit auseinandergesetzt, wie jetzt. Die aktuelle Situation sollte uns endgültig als Anlass dienen, eine Kehrtwende einzuleiten – auf politischer Ebene und bei jedem Einkauf.
Energie sparen
Ende März hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas aktiviert. Zu der Gelegenheit rief sein Ministerium eindringlich zum Energiesparen auf: Ab sofort sei „jeder Gasverbraucher – von der Wirtschaft bis zu Privathaushalten – auch gehalten, seinen Verbrauch so gut wie möglich zu reduzieren.“
Der Grund dafür wurde bereits ausführlich in den Medien diskutiert: Man befürchtet Sanktionen auf russische Erdöl- und Erdgaslieferungen. Von diesen Lieferungen sind Deutschland und andere europäische Länder derzeit abhängig. Weil die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) die Produktion nicht erhöht hat, steigen die Preise. Und das betrifft auch uns Verbraucher:innen, denn Tanken, Heizen und Strom werden dadurch bedeutend teurer.
Aus diesem Grund macht es gerade finanziell Sinn, Energie zu sparen, wo es geht. Auch kleine Beiträge können schon einiges bewirken: Reduziert man die Durchschnittstemperatur in deutschen Haushalten um ein Grad (von 22 auf 21 Grad Celsius), würde dies die jährliche Gasnachfrage in der EU um zehn Milliarden Kubikmeter senken – das belegen Zahlen der Internationalen Energieagentur. Diese Menge entspricht mehr als 2,5 Prozent des Gesamtverbrauchs. Wenn die Heizung heruntergedreht würde, wenn man sich nicht im Zimmer aufhält, könne man laut Agora Energiewende sechs Prozent des Energiebedarfs der Haushalte einsparen.
Es wird oft unterschätzt, was für ein Klimakiller Heizen ist. Laut dem CO2-Rechner des Umweltbundesamts stoßen wir pro Kopf allein durch „Wohnen und Strom“ im Schnitt jährlich 2,7 Tonnen CO2-Äquivalente aus. Das sind immerhin 25 Prozent von insgesamt 10,8 Tonnen Emissionen im Jahr. Jedes Grad weniger reduziert also nicht nur unsere Abhängigkeit von Russland, sondern auch unseren persönlichen CO2-Fußabdruck.
Langsamer Auto fahren
Die Benzinpreise sind wegen des Ukrainekriegs stark angestiegen – auf aktuell über zwei Euro pro Liter. Ganz aufs Auto zu verzichten, ist für viele Menschen keine Option, langsamer fahren kann dagegen jede:r. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat dazu aufgefordert, freiwillig Tempo 130 auf Autobahnen einzuhalten. So ließe sich „auf einen Schlag relevant Energie einsparen“.
Denn je niedriger die Geschwindigkeit, desto niedriger der Verbrauch – wer noch langsamer fährt, spart also noch mehr: Würden sämtliche Autofahrer:innen zum Beispiel nur noch 100 km/h Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen fahren, würde das den Kraftstoffbedarf laut Greenpeace um zwei Millionen Tonnen pro Jahr senken. Dies entspricht immerhin 3,8 Prozent des Benzin- und Dieselabsatzes in Deutschland.
Dem Klima käme die Maßnahme zusätzlich zu Gute: 6,2 Mio. Tonnen CO2 könnten laut Umweltbundesamt durch Tempo 100 auf Autobahnen vermieden werden. Man muss also nicht aufs Tempolimit warten, um das Klima zu schützen – denn wie Özdemir richtig anmerkt, ist niemand gezwungen, „mit 200 Sachen über die Autobahn zu ballern“.
Übrigens gibt es noch viele weitere kleine Dinge, die du tun kannst. Welche das sind, kannst du hier nachlesen: Krieg in der Ukraine: So machst du dein Zuhause unabhängiger von russischer Energie
Utopia meint: Unsere Handlungen haben immer Konsequenzen
Wir leben in einer globalisierten Welt. Bisher hat das für uns vor allem bedeutet: Alles ist günstig, wir bekommen in New York, London oder München überall dieselben H&M-Klamotten und Subway-Sandwiches. Doch wenn global alles miteinander zusammenhängt, hat das auch Nachteile und die spüren wir jetzt. Wenn Russland gegen die Ukraine Krieg führt, dann kann das in Afrika und Teilen Asiens eine Hungersnot auslösen. Dann kostet auch bei uns das Sonnenblumenöl oder der Liter Benzin plötzlich deutlich mehr. Und dann sind wir Verbraucher:innen plötzlich dazu aufgefordert, einen Teil beizutragen.
Darf die Politik das von uns verlangen, wenn ihre Fehler doch zu dieser Situation geführt haben? Natürlich können wir Verbraucher:innen weder allein die Verantwortung übernehmen noch die Lage lösen. Doch wir können einen entscheidenden Teil dazu beitragen, sie zu meistern. Und deshalb müssen wir die Appelle ernst nehmen, die an uns gerichtet werden.
Die Welt ist kompliziert(er) geworden. Oder vielleicht haben wir es uns in den vergangenen Jahren auch einfach zu einfach mit ihr gemacht. Denn wahr ist: Egal was wir tun, ob wir Nahrungsmittel einkaufen oder die Wohnung heizen – unsere Handlungen haben immer Konsequenzen.
Gleichzeitig können wir durch unser Handeln auch positive Effekte erzielen. Dazu müssen wir nicht mal frieren oder hungern. Es hilft, wenn wir das Thermostat ein Grad runterregeln, unseren Heizkörper entlüften, richtig lüften, Elektrogeräte ganz ausschalten und weniger Fleisch essen. Damit helfen wir der Umwelt, reduzieren unsere Abhängigkeit von Russland und helfen uns somit letzten Endes selbst.
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