Was steckt in der Wurst im Supermarkt? Das wollten NDR und Spiegel herausfinden und beauftragten ein Labor mit der Analyse von Geflügelprodukten. Das Ergebnis: Viele Marken scheinen „Separatorenfleisch“ zu enthalten. Verbraucher:innen wird das offenbar vorenthalten.
Mehrere Betriebe stehen im Verdacht, in Geflügelwurstprodukten Separatorenfleisch zu verarbeiten – ohne dies wie gesetzlich vorgeschrieben zu kennzeichnen. Unter den betroffenen Unternehmen befindet sich auch Deutschlands größter Schlachtkonzern Tönnies. Hierfür liefern Laboruntersuchungen des Bremerhavener Hochschulprofessors Stefan Wittke für den Spiegel und den NDR konkrete Indizien.
Separatorenfleisch wird erzeugt, indem Maschinen Tierkörper oder grob zerkleinerte Knochen mit Fleischresten durch Lochscheiben hindurchpressen. Knochensplitter und Knorpelteile bleiben hängen, alle weichen Teile wie etwa Muskulatur, Fett und Bindegewebe oder auch Rückenmark werden abgepresst. Dabei entsteht eine breiartige Masse, die nur Centbeträge pro Kilogramm kostet.
Gutfried, Edeka, Rewe: Seperatorenfleisch in konventioneller und Bio-Wurst nachgewiesen
NDR und Spiegel hatten insgesamt 30 Geflügelwurst- und Geflügelfleischproben verschiedener Hersteller aus den Jahren 2021 und 2022 zur Prüfung in Blindtests eingereicht. Neun davon wurden positiv getestet – darunter vier Bio-Wurstwaren. Unter den 20 Wurstproben war fast jede zweite positiv. Dagegen fand sich bei den untersuchten zehn Aufschnittproben mit Stückfleisch aus Filet, Kassler oder Braten kein Indiz für Separatorenfleisch. Forscher Stefan Wittke hat ein neues, peer-review-geprüftes Verfahren entwickelt, um diese Zutat in Wurstprodukten nachzuweisen. Bislang war dies de facto kaum möglich.
Fünf der neun positiv getesteten Produkte wurden von der in Böklund ansässigen Zur Mühlen Gruppe hergestellt, die zur Tönnies-Unternehmensgruppe gehört. Ebenso waren zwei Produkte des ostwestfälischen Herstellers Franz Wiltmann sowie je ein Produkt der Hersteller Wiesenhof und der Mecklenburger Landpute GmbH unter den Positivfällen. Verkauft wurden diese Waren unter Markennamen wie Gutfried, Edeka Bio, Rewe Bio oder Rewe Beste Wahl. Nirgends war „Separatorenfleisch“ auf der Verpackung angegeben.
Separatorenfleisch nachweisen: So funktioniert der Test
Laut Aussage des Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, welche der Spiegel zitiert, kann Separatorenfleisch und dessen Verarbeitung in Fleischerzeugnissen nur in bestimmten Fällen analytisch nachgewiesen werden. Entweder muss man dafür auf bestimmte Weise einen erhöhten Calciumgehalt nachweisen und/oder kleinste Knochenpartikel. Allerdings lassen sich die Tests z.B. durch Verdünnung austricksen – Supermarktketten wie Rewe oder Penny sollen sie bisher trotzdem einsetzen.
Das könnte sich nun ändern. Der von Hochschulprofessor Stefan Wittke entwickelte Test setzt auf das Protein Kollagen Typ II alpha 1. Dieses besteht aus Peptiden, von denen fünf in Kombination mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Separatorenfleisch hinweisen. Das Verfahren wurde unter anderem von unabhängigen Gutachtern geprüft, bei einer Teststudie wurden 41 von 42 Testwürstchen mit und ohne Separatorenfleisch richtig zugeordnet.
Kontrollbehörden zeigen Interesse an Prüfverfahren
Kontrollbehörden sind angetan von dem neuen Prüfverfahren. „Es scheint für mich sehr zukunftsweisend zu sein„, sagt Matthias Denker, Dezernatsleiter des Landesamts für Lebensmittelsicherheit in Mecklenburg-Vorpommern.
Der Einsatz von Separatorenfleisch von Rind, Ziege oder Schaf ist in Deutschland seit der BSE-Krise verboten, bei Geflügel ist er aber weiterhin erlaubt. Dies müssen Hersteller aber auf der Vorderseite der Verpackung kennzeichnen, in unmittelbarer Nähe des Produktnamens. Wer sich nicht daran hält, dem drohen laut Berliner Anwalt Remo Klinger Bußgelder von bis zu 50.000 Euro. „Wenn die Firmen ihr Verhalten nicht ändern, handeln sie vorsätzlich. Dies kann eine Strafverfolgung wegen Betrugs mit deutlich höheren Geldstrafen für die Geschäftsführer zur Folge haben.“
Wiesenhof und Tönnies zweifeln Methode an
Die Sprecher dreier Firmen, die zur Tönnies Holding gehören, stritten den Einsatz von Separatorenfleisch ab – und zweifelten die Aussagekraft der Untersuchungsmethode an. Spiegel zitiert die Rechtfertigung eines Unternehmenssprechers einer Tönnies-Tochter: „In den genannten Produkten setzen wir Verarbeitungsfleisch von jungem Geflügel ein. Dies kann zu einem geringen Teil auch Knorpelzellen enthalten.“
Dieser Erklärung widerspricht der Spiegel: Die Methode springe auf einen geringen Anteil des Knorpel-Markers Kollagen Typ II alpha 1 gar nicht an.
Wiesenhof erklärte, dass in der betroffenen Geflügel-Mortadella kein Separatorenfleisch enthalten sei. Eine Anwaltskanzlei legte dafür auch eidesstaatliche Versicherungen der Geschäftsführer betroffener Fabriken vor. Zudem würden regelmäßige Kontrollen durchgeführt, auf Basis amtlich anerkannter histologischer Untersuchungen sowie Überprüfungen des Kalzium-Gehaltes. Bei der Prüfmethode der Hochschule Bremerhaven handle es sich „lediglich um einen neuen wissenschaftlichen Ansatz zum möglichen Nachweis, der (…) keine solide Basis ist“, heißt es von der Kanzlei. Wiesenhof weist darauf hin, dass sich die vermeintlichen Marker für Separatorenfleisch auch in anderen Körperteilen befinden, zum Beispiel in Sehnen. Außerdem sei das Verfahren bislang nur für Hähnchenfleisch entwickelt und nicht für Putenfleisch, was der Hauptbestandteil der Wiesenhof-Wurst ist.
Hier halten die Auftraggeber der Untersuchung dagegen: Alle untersuchten Produkte enthalten auch Hähnchen, und das spezifisch untersuchte Eiweiß Kollagen Typ II alpha 1 sei laut Studien nicht in Sehnen enthalten.
Auch eine Sprecherin des ebenfalls betroffenen Wiltmann-Konzerns und eine Sprecherin der Mecklenburger Landpute GmbH bestritten den Einsatz von Separatorenfleisch.
Verbraucherschützer:innen zeigten sich alarmiert. „Wenn Fleischkonzerne Separatorenfleisch verwursten, ohne auf den Produkten darauf hinzuweisen, ist das Verbrauchertäuschung im großen Stil“, sagte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Matthias Wolfschmidt von der Organisation Foodwatch sprach von „Betrug an den Verbraucherinnen und Verbrauchern“, sollte sich der Verdacht bestätigen: „Die Ware dürfte nicht verkauft werden.“
Utopia meint: Tiere ganz verwerten, ja – aber auch transparent sein
Die Fleischindustrie hat sich in den vergangenen Jahren selten mit Ruhm bekleckert. Allein Tönnies stand nicht nur 2020 wegen katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Kritik, sondern machte seitdem mehrmals Schlagzeilen – zuletzt im April, weil das Unternehmen Überreste getöteter Nutztiere auf Feldern verteilte. Nun scheint der Konzern auch noch Verbrauchertäuschung zu betreiben.
Das ist natürlich nicht in Ordnung – und ein weiter Grund, Konzerne wie Tönnies nicht zu unterstützen, indem man ihre Produkte kauft. Allerdings wird durch Seperatorenfleisch zumindest das ganze Tier verwertet. Wir von Utopia raten dazu: Wenn du auf keinen Fall vollständig Fleischwurst reduzieren möchtest, dann greife zu Bio-Produkten. Verbände wie Demeter, Bioland oder Naturland garantieren ein höheres Maß an Tierwohl.
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