In vielen Städten ist der Weg zur Arbeit oder zum Supermarkt eine Herausforderung – für die Menschen, die diese Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen. Denn gebaut wurden unsere Städte für Autos. Dass nachhaltige Mobilität dennoch möglich ist, zeigt das Beispiel Kopenhagen. Was wir von der dänischen Hauptstadt lernen können.
In Städten wie Köln, Remscheid oder Lüdenscheid brauchen Radfahrer:innen schon viel guten Willen, um den Alltag auf zwei Rädern zu bestreiten. In einer alle zwei Jahre vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) durchgeführten Umfrage geben die Einwohner:innen dieser Städte an, dass Radwege, wenn es sie überhaupt gibt, zu schmal und sehr verschlungen sind, spontan enden und oft von Autos zugeparkt werden. Deshalb rangieren diese Städte seit längerem auf den letzten Plätzen des Fahrradklima-Städterankings. Doch auch in vielen anderen Städten ist Radfahren nicht nur eine Frage von Nachhaltigkeit und Fitness – sondern oft auch von Mut.
Woran das liegt und wie der Radverkehr attraktiver werden kann, macht die Stadt Kopenhagen vor. Unsere Autorin Ines Maria Eckermann hat sich aufs Rad geschwungen und einige Ideen für Deutschland mitgebracht.
1. Prioritäten setzen
„Kopenhagen wurde in den Fünfziger- und Sechziger Jahren zu einer Autostadt. Der öffentliche Raum wurde in Parkplätze verwandelt“, erklärt Jesper Pørksen. Als Mitglied des EuroVelo Councils und Direktor von Dansk Cykelturisme, dem dänischen EuroVelo-Koordinationszentrum, weiß Pørksen: Kopenhagen tickt in Sachen Autoverkehr mittlerweile anders als die meisten deutschen Großstädte. Denn Kopenhagen erkannte vor einigen Jahrzehnten, dass eine auf das Auto ausgerichtete Stadt ein Auslaufmodell ist. „In den 70er-Jahren veränderten sich langsam die Prioritäten“, erklärt er.
Bei den deutschen Nachbarn bleibt vielerorts das Auto der Herrscher über den knappen Raum in den Städten. Denn trotz Parkplatzmangel scheint es immer noch bequemer zu sein, dem motorisierten Verkehr die Vorfahrt zu lassen. „Der Radverkehr muss Priorität und Wichtigkeit haben. Das kommt nicht von allein“, erklärt Pørksen.
„In Kopenhagen radeln die Leute nicht nur, weil sie die Umwelt schützen möchten – sie fahren Rad, weil es am praktischsten ist“.
Einfach auf einen Sinneswandel der Bürger:innen zu hoffen, scheint daher naiv: Wenn Städte mehr Menschen aufs Rad bekommen möchte, müssen sie das Autofahren unbequemer machen.
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2. Getrennte Wege
Während rücksichtsvolle Radler:innen die deutschen Gehsteige den Fußgänger:innen überlassen, sind viele Radwege auch für Fußgänger:innen freigegeben. Ohne Trennung von Rad- und Fußspur wird die Fahrt schnell zum Slalom um Menschen, die in Fahrtrichtung flanieren und oft auch im Gegenverkehr herumirren. In Kopenhagen sind Rad- und Fußweg an den meisten Stellen strikt voneinander getrennt: Auf den meisten Straßen gibt es rechts von der Autospur einen Radweg und daneben einen separaten Fußweg.
In deutschen Städten werden die auf die Straße gepinselten weißen Linien oder roten Streifen regelmäßig von Autofahrer:innen und Fußgänger:innenn ignoriert und bieten Radler:innen somit wenig Schutz. Kopenhagen hat sich auch dafür etwas einfallen lassen: Über 80 Prozent aller Radwege sind baulich von der Autospur und dem Gehweg getrennt. Der Radweg ist oft etwas höher angelegt als die Autospur und der Gehsteig noch etwas höher als der Radweg.
Während Radwege und „Schutzstreifen“ in Deutschland oft nur eine Breite von 1,50 Meter haben, werden in Kopenhagen neue Radwege mit einer Breite von vier Metern angelegt, damit die steigende Zahl der Radler:innen genügend Platz zum Überholen findet.
Und noch eine Maßnahme schützt Radler:innen und bietet ihnen einen Vorteil im Straßenverkehr: eigene Ampeln, die etwas früher grün werden als die Autoampeln. So können Autofahrer:innen den Radverkehr gar nicht übersehen.
3. Radschnellwege: Stadt, Land, Fahrrad
Allerdings: „Wenn es ums Radfahren geht, sind Stadt und Land zwei verschiedene Welten“, räumt Pørksen ein. Auf dem Land sei die Radinfrastruktur oft noch nicht so gut ausgebaut und Autos hätten dort auch in Dänemark die Oberhand. Sicherer Radverkehr ist also kein dänisches Phänomen – sondern eines von geschickt geplanten Großstädten. „Es ist schon toll, die Radkultur in Kopenhagen zu erleben. Das ist vermutlich die größte Attraktion hier“, findet Pørksen.
Damit auch die Menschen aus den umliegenden Städten und Dörfern daran teilhaben können, baut Kopenhagen die Radschnellwege aus: Acht Radschnellwege verbinden die Vororte auf insgesamt 167 Kilometern mit der Kopenhagener Innenstadt. Bis 2045 sollen es 45 solcher Schnellwege werden. Die gut ausgebauten Radschnellwege bringen Erfolge, wenn es darum geht, die Menschen vom Radeln zu überzeugen: „Es wurden bereits sehr viele Untersuchungen dazu gemacht“, erklärt Pørksen.
„Solche Wege bringen Menschen vom Auto aufs Rad.“
4. Bequeme Fahrradmitnahme im ÖPNV
Wer nicht über einen Radschnellweg in die Stadt kommt, kann auch die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. „In der S-Bahn kann man sein Fahrrad kostenfrei mitnehmen und so weit fahren, wie man will“, so Pørksen. Ab 1. Juli 2022 kostet ein Fernstrecken-Ticket, egal wie weit man fahren möchte, 20 Kronen, umgerechnet etwa 2,50 Euro.
In Deutschland ist die Fahrradmitnahme in der Bahn zwar grundsätzlich möglich, kostet allerdings bei der Deutschen Bahn etwa 6 bis 8 Euro und oft fehlen in den Zügen dazuhin noch die Plätze für Fahrräder.
Tipps dazu: Fahrrad mitnehmen in Bus und Bahn
„Es ist recht bequem, mit der App ein Ticket zu buchen und dann kannst du entspannt mit dem Fahrrad auch weite Strecken fahren,“ sagt dagegen Pørksen zumindest über Dänemarks Nahverkehr. In den S-Bahnen gibt es für Fahrräder ausreichend Platz.
5. Falsch parken bestrafen
Durch die bauliche Trennung von Radweg und Straße wird es in Kopenhagen zu einer Herausforderung für die Karosserie, das Auto auf dem Radweg abzustellen. „Dadurch merkt jeder gleich, ob er da richtig ist, wo er gerade geht oder fährt“, erklärt Pørksen. „Es gibt zwar schon Radwegparker, aber es sind sehr wenige. Manchmal ist es die Polizei oder der Lieferverkehr. Die dürfen das eigentlich auch nicht, aber niemand parkt wie in Deutschland für Stunden auf dem Radweg.“
In vielen deutschen Städten scheinen die Radwege als zusätzliche Parkfläche missverstanden zu werden. Zwar wurde das Bußgeld für das Radwegparken bereits angehoben und führt in manchen Fällen auch zu einem Punkt in Flensburg – doch fehlt in vielen Städten das Geld oder der Wille, diese Vergehen auch zu ahnden. Falschparken ist in Kopenhagen im Gegensatz zu Deutschland deutlich teurer. Und während in Deutschland das Falschparken oft folgenlos bleibt, hat die Stadt Kopenhagen die Parksünder:innen stets im Blick. Alle paar Minuten radelt eine Parkwächter:in in neongelber Jacke vorbei. Wer sich hier traut, auf dem Radweg zu parken, bekommt schnell Schwierigkeiten – und einen Bußgeldbescheid.
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6. Richtig parken verteuern
„Man hat viel Geld und viele Jahre investiert, um den Radverkehr zu priorisieren“, sagt Pørksen. Dazu gehört es auch, dass den Autos die Parkplätze nach und nach unter den Rädern weggezogen wurden. Der Autoclub ADAC kritisiert seit Jahren, dass 30 bis 40 Prozent des Gesamtverkehrs in den deutschen Städten auf die Parkplatzsuche zurückginge. Durchschnittlich bräuchten Autofahrer:innen zehn Minuten und 4,5 Kilometer, um ihr Auto abstellen zu können. „Eine Radikalisierung der Forderungen (z. B. Autofreie Städte), wie sie derzeit von eigenen Aktivisten zu hören ist, greift zu kurz und ist nicht nachhaltig“, erklärte der ADAC 2020 auf seiner Website.
Während der ADAC die deutschen Städte gerne autofreundlicher machen möchte, löst Kopenhagen das Platzproblem auf andere Weise:
„Die Grundidee ist es, das Autofahren unattraktiver zu machen und das Parken besser zu strukturieren.“
So gibt es in Kopenhagen verschiedene Parkzonen, für die Parkplatzsuchende jeweils eine separate Parkerlaubnis kaufen müssen. „Aber selbst mit einer Parkerlaubnis sucht man recht lange nach einem Parkplatz“, sagt Pørksen. „Autofahren ist in Kopenhagen sehr anstrengend. Viele vermeiden deshalb, mit dem Auto in die Stadt zu fahren, weil es einfach unpraktisch ist.“ An zusätzlichen Radparkplätzen arbeite die Stadt zurzeit noch. Die Anzahl der Radler:innen allein zeigt, dass sich der Ansatz, Autofahren unattraktiv zu machen, bewährt.
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7. Die kritische Masse mobilisieren
„Die große Herausforderung in Kopenhagen ist es, den Raum möglichst effizient zu nutzen. Wir können ja nicht einfach die Häuser verschieben. Es gibt nur die Möglichkeit, die Straßen sinnvoller aufzuteilen“, erklärt Pørksen. Doch Platzmangel ist nicht allein entscheiden, wenn es um Sicherheit und Unsicherheit von Radwegen geht. Wenn sich herumspricht, dass die Radler:innen in einer Stadt auf ihre Vorfahrt bestehen, werden andere Verkehrsteilnehmende achtsamer.
„Wenn viele Menschen mit dem Rad fahren, kann man sie weder ignorieren noch unter Druck setzen.“
Das kann man in Deutschland beispielsweise in Münster beobachten, wo Tourist:innen meist schon direkt vor dem Hauptbahnhof lernen, dass die Radwege hier stark frequentiert werden. Dennoch bemerkt Pørksen: „In Deutschland wird der Radverkehr noch nicht ernst genommen. Das zeigt sich auch daran, dass die Radinfrastruktur noch sehr improvisiert ist.“ Je mehr Radler:innen im Stadtbild auftauchen, desto weniger würden sich Autofahrer trauen, sie zu bedrängen, zu hupen oder anzubrüllen.
„In Kopenhagen fahren viele Autofahrer selbst regelmäßig mit dem Rad. Dadurch haben sie einen anderen Blick auf die Radfahrer.“ Und mit Blick aufs Nachbarland rät Pørksen: „Die deutschen Autofahrer sollten sich über jeden Radfahrer freuen – denn dadurch haben sie selbst mehr Platz auf der Fahrbahn.“
8. Brücken bauen
Seit über einem Jahrzehnt führen in Kopenhagen Brücken über den Fluss, die nur für Rad- und Fußverkehr frei sind. Zudem verfügen auch die Autobrücken über Fahrradwege. Insgesamt zehn dieser Fahrradbrücken verbinden die verschiedenen Kopenhagener Stadtteile. Bei einer der auch von Autos genutzten Brücken erkenne man aber noch die vormalige Dominanz des Autoverkehrs, erklärt Pørksen: „Dort gibt es einen Designfehler, so dass die Radler beim Auf- oder Abfahren auf die Brücke drei Ampeln überqueren müssen. Aber man lernt ja immer weiter. In diesem Fall: „Bei der Planung der Radwege muss man sehr auf den Flow achten.“
Da viele Kopenhagener:innen die Radinfrastruktur ihrer Stadt schätzen und ihnen die Radbrücken einen großen Mehrwert bieten, sind gleich zwei der reinen Rad- und Fußgängerbrücken aus privaten Geldern co-finanziert.
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9. Mehr Lebensqualität durch mehr Radverkehr
„Der Radverkehr ist für eine hohe Lebensqualität unverzichtbar“, glaubt Pørksen. Er weist darauf hin, dass das Fahrrad in der Stadt das effizienteste Transportmittel ist, weil es schnell und platzsparend ist – und besser für die Umwelt. In dichtbewohnten Städten sei das mehr als sinnvoll. „Es ist einfach viel praktischer, mit dem Rad zu fahren.“
Mittlerweile nutzen die Menschen in Kopenhagen für die Hälfte ihrer Wege das Fahrrad. Studierende radeln zur Uni, Eltern kutschieren ihre Kinder im Lastenrad zur Kita und die Bankerin strampelt in Pumps und Kostüm zur Arbeit.
„Dass hier alle Gesellschaftsschichten mit dem Rad fahren, ist auch aus der Hinsicht schön, weil man ohne Auto um sich herum in Kontakt zu seinen Mitmenschen kommt,“ so Pørksen.
Hinzu kommt der gesundheitliche Aspekt der Bewegung im Alltag. Expert:innen weisen seit Jahren darauf hin, dass eine klimafreundlichere Stadtplanung – also mehr Rad- und weniger Autoverkehr – die Luftverschmutzung reduzieren und so viele vorzeitige Todesfälle verhindern könnte. Und wer mit offenen Ohren durch Kopenhagen spaziert, hört schnell: Großstädte sind nicht laut – sondern die Autos. So können gestresste Großstadtohren in Kopenhagen etwas Ruhe finden.
10. Investitionen: Geld für den Rad- statt für den Autoverkehr
Eine Blechwüste verwandelt sich nicht von allein in eine fahrradfreundliche Stadt. Neben politischem Willen ist dafür oft auch Geld nötig. Doch wenn es um die Finanzen geht, haben Autos in den deutschen Städten nach wie vor Vorfahrt: So investiert beispielsweise die Stadt Heidelberg 240 Euro pro Einwohner:in in die Autoinfrastruktur – und sechs Euro in die Radinfrastruktur. Die Ruhrgebietsstadt Bochum und die Hansestadt Hamburg planen je knapp drei Euro pro Kopf für den Ausbau des Radverkehrs ein. In Lüneburg und Amsterdam sind es dagegen 11 Euro. Und in Kopenhagen? Da sind es umgerechnet über 35 Euro (Stand 2018).
„Es braucht einfach nur Mut und politischen Willen“
Dass Kopenhagen sich die Umstrukturierung des innerstädtischen Verkehrs etwas kosten lässt, geht auf eine Reihe strategischer politischer Entscheidungen zurück. „Durch das Radfahren hat die Stadt viel mehr Lebensqualität, die Menschen sind gesünder und es ist besser für die Umwelt“, erklärt Pørksen. „Es braucht dazu einfach nur Mut und den politischen Willen.“
An Deutschland gerichtet ergänzt er: “Die Politiker, die den Radverkehr priorisiert haben, wurden alle wiedergewählt. Die deutschen Politiker müssen sich also nicht fürchten.“ Und das Beispiel Kopenhagen zeigt eindrücklich, dass ein grundlegendes Umdenken ein Erfolg für alle werden kann.
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