Gentle Parenting bezeichnet einen Erziehungsstil, der auf Empathie, Verständnis und Respekt aufbaut. Wir erklären dir, was genau dahintersteckt.
Auf Plattformen wie TikTok teilen Eltern und Pädagog:innen immer häufiger ihre Tipps zu ganz unterschiedlichen Erziehungsstilen – Gentle Parenting ist einer davon. Die Meinungen zu diesem Erziehungsstil gehen jedoch auseinander. Wir haben die wichtigsten Informationen zu Prinzipien, Entstehung, Umsetzung und Kritik für dich zusammengefasst.
Gentle Parenting: Entstehung und Ziele
Der Begriff „Gentle Parenting“ (zu deutsch: „sanftes Erziehen“) wurde von der Autorin Sarah Ockwell-Smith geprägt. 2016 veröffentlichte sie ihr Buch „The Gentle Parenting Book“. Erste Elemente dieses Erziehungsstils beschrieb aber der Arzt und Psychotherapeut Alfred Adler schon in den 1920er Jahren. Ihm zufolge haben Kinder vier psychologische Grundbedürfnisse:
- Zugehörigkeit
- Lernen
- Wertschätzung
- Ermutigung
Im Gegensatz zu vielen traditionellen Erziehungsweisen verzichten Eltern beim Gentle Parenting auf Belohnung und Bestrafung. Stattdessen sollen Kinder lernen, ihr eigenes Verhalten zu verstehen und sich so ihrer selbst bewusster zu werden. Dabei liegt der Fokus vor allem auf altersgerechter Entwicklung.
Wenn dein Kind also zum Beispiel am Morgen einen Wutanfall bekommt und sich weigert, seine Schuhe anzuziehen um in den Kindergarten zu gehen, würdest du beim Gentle Parenting nicht mit ihm schimpfen oder mit Strafen drohen. Stattdessen würdest du das Kind beruhigen und zu verstehen versuchen, wieso es sich so fühlt. Auch kannst du deinem Kind im Vorfeld ruhig und in kindgerechter Sprache erklären, was du von ihm erwartest und wieso es wichtig ist, dass es sich die Schuhe anzieht – beispielsweise, weil ihr sonst zu spät kommt.
Grundprinzipien des Gentle Parenting
Mit Gentle Parenting versuchen Eltern, ihre Kinder zu glücklichen, selbstständigen und selbstbewussten Menschen zu erziehen. Gentle Parenting soll dies ermöglichen, indem es Wärme, Fürsorge und Unterstützung mit Struktur verbindet. Die Grundprinzipien dieses Erziehungsstils sind daher Empathie und Verständnis auf der einen Seite, Respekt und gesunde Grenzen auf der anderen Seite:
- Empathie: Der Fokus liegt auf den Gefühlen der Kinder. Mit Empathie sollen Eltern versuchen, das Verhalten ihrer Kinder zu verstehen und entsprechend darauf zu reagieren.
- Verständnis: Hierbei geht es nicht nur darum, das Verhalten des Kindes zu verstehen und so mit ihm zu kommunizieren, dass es dich ebenfalls versteht. Verständnis bedeutet auch, zu wissen, was in einem bestimmten Alter für das Kind „normal“ ist, zum Beispiel, was den Schlafrhythmus oder soziale Fähigkeiten betrifft. So können sich Eltern bewusst werden, dass Kinder sich eben wie Kinder verhalten und für vermeintliche Fehler nicht bestraft werden sollten, wenn sie aufgrund ihres Entwicklungsstands nichts dafür können.
- Respekt: Beim Gentle Parenting bringst du deinem Kind denselben Respekt wie einem erwachsenen Menschen entgegen. Dahinter steht die Annahme, dass Kinder, die sich respektiert fühlen, auch ihre Erziehungsberechtigten respektieren.
- Grenzen: Gentle Parenting bedeutet nicht, zu allem „Ja“ zu sagen. Grenzen sind wichtig, um Kindern Sicherheit und einen Rahmen zu geben.
Wie klappt die Umsetzung?
Es gibt kein einheitliches Regelwerk dafür, wie Gentle Parenting in der Praxis aussehen soll. Es handelt sich bei dieser Erziehungsweise mehr um eine Einstellung oder ein Wertesystem, das in der Praxis jede:r anders umsetzt. Das Wichtigste bei diesem Erziehungsstil ist, dass du dein Kind respektvoll und altersgerecht behandelst und immer darüber reflektierst, wie es Situationen erlebt.
Ockwell-Smith empfiehlt dafür die „Wieso, Wie, Was“-Methode. Dabei fragst du dich, wieso dein Kind ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, wie es sich fühlt und was du dir von einer darauf folgenden Erziehungsmaßnahme erhoffst. Außerdem rät die Autorin, das Kind zunächst zu beruhigen, um dann ruhig und in altersgemäßer Sprache zu besprechen, was passiert ist und weshalb. So soll gewährleistet werden, dass das Kind mit ähnlichen Situationen in Zukunft besser umzugehen lernt. Auch kann es laut Forbes hilfreich sein, zu beobachten, was vor und nach einem unerwünschten Verhalten passiert, um eventuelle Trigger zu erkennen und als Elternteil anders reagieren zu können.
Zudem kann der Fokus von negativem Verhalten weggelenkt werden, indem du dein Kind für positives Verhalten lobst. Ein klassisches Beispiel: Dein Kind quengelt an der Supermarktkasse. Dem Gentle-Parenting-Prinzip zufolge würdest du in diesem Fall dein Kind zunächst beruhigen und dann versuchen zu verstehen, wieso es sich so verhält. Die Kinder sollen lernen, ohne Angst ihre Emotionen ausdrücken. Hat dein Kind Hunger? Ist ihm langweilig?
Dann kannst du ihm ruhig, verständnisvoll und kindgerecht die Situation und deine Erwartungen erklären und dabei auch positives Verhalten loben. Das könnte in etwa so aussehen: „Du warst heute schon sehr brav beim Einkaufen. Ich verstehe, dass die Süßigkeiten gut aussehen, aber wenn du nicht weitergehst, halten wir andere Leute auf, die es vielleicht eilig haben. Ich möchte gerne, dass du jetzt mitkommst, damit wir bezahlen können.“
Eventuell beobachtete Trigger wie Langweile kannst du dann in Zukunft vermeiden, indem du deinem Kind beispielsweise etwas zur Beschäftigung mitnimmst. Und Grenzen zu setzen, könnte in diesem Beispiel heißen, dass du generell konsequent bleibst und keine Süßigkeiten in der „Quengelzone“ kaufst.
Kritik am Gentle Parenting
Gentle Parenting erfreut sich wachsender Beliebtheit, doch es gibt auch Kritik am Konzept. Im Alltag sei der Erziehungsstil nicht immer einfach umzusetzen. Wenn eine Situation mit Zeitdruck beispielsweise erfordert, dass das Kind sofort gehorcht, ist es nicht immer möglich, ihm in Ruhe zu erklären, wieso ein bestimmtes Verhalten nun nötig ist. Dann ist es für Eltern praktischer, das Kind mit der Aussicht auf eine Belohnung zum gewünschten Verhalten zu motivieren.
Solche „Ausrutscher“ nehmen einige Verfechter:innen des Gentle Parentings in den sozialen Medien mitunter zum Anlass, andere Eltern zu verurteilen. Wie bei jedem Erziehungsstil gibt es auch beim Gentle Parenting besonders überzeugte Verfechter:innen, die die Erziehungsmethoden anderer Eltern an ihren eigenen Maßstäben messen und entsprechend bewerten. Sie können ihnen so das Gefühl geben, etwas bei der Erziehung falsch zu machen und für das Fehlverhalten ihrer Kinder persönlich verantwortlich zu sein.
Bemängelt wird außerdem von Kritiker:innen, dass hinter dem negativen Verhalten von Kindern nicht immer ein tieferer Grund liegen muss, den man bis ins kleinste Detail analysieren sollte – sondern, dass Kinder auch manchmal einfach irrational handeln. Die Umsetzung von Gentle Parenting kann sehr zeitintensiv sein und viel Geduld erfordern. Auch müssen Eltern oft zunächst an sich selbst arbeiten und überdenken, wie sie mit Konflikten umgehen und gesunde Grenzen setzen können.
Positive Auswirkungen
Der Erziehungsstil des Gentle Parenting soll sich nicht nur positiv auf die emotionale und mentale Gesundheit des Kindes auswirken, sondern auch eine gesunde Beziehung zu den Eltern etablieren, weil er Kinder ermutigt, mit ihren Eltern zusammenzuarbeiten und ihre Gefühle auszudrücken.
Es gibt wenig weiterführende Forschung zur Wirkung von Gentle Parenting. Studienergebnisse deuten aber laut Forbes darauf hin, dass dieser sanfte Erziehungsansatz bei Kindern möglicherweise
- das Risiko für Depressionen verringern,
- zu besserer Selbstregulierung führen,
- zu besseren Schulleistungen verhelfen und
- die Verbindung zwischen Eltern und Kind stärken kann.
Tatsächlich soll laut einer weiteren Studie Gentle Parenting auch das Risiko für Angststörungen mindern und besonders schüchternen Kleinkindern den Umgang mit ungewohnten sozialen Situationen erleichtern.
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