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Insekten statt Fleisch essen: Was ist dran an den Warnungen?

Insekten statt Fleisch essen: Welche Vorteile und Nachteile hat es?
Foto: Unsplash / Louis Hansel / Robert Gunnarsson

Mehr als 1900 Insekten sind essbar – in vielen Teilen der Welt sind sie fester Bestandteil der Ernährung. Die EU lässt stetig neue Insekten zum Verzehr zu, doch welche Vor- und Nachteile bringen Hausgrille, Mehlwurm und Wanderheuschrecke? Utopia gibt den Überblick.

Ein neues EU-Gesetz erlaubt ab sofort Hausgrillen in Nahrungsmitteln – in Form eines Pulvers, das bislang allein das Unternehmen Cricket One innerhalb der EU vertreiben darf. Auch Larven des Getreideschimmelkäfers dürfen nun verarbeitet werden. Ähnliche Regeln gibt es schon länger für Wanderheuschrecken und Larven des Mehlkäfers (Mehlwurm). Die Verwendung von Insekten in Nahrungsmitteln ist demnach längst anerkannt, richtig etabliert hat sich ihr Verzehr in europäischen Breitengraden aber trotzdem nicht.

Und das, obwohl sie als nachhaltige Fleischalternative gehandelt werden. Cricket One wirbt zudem damit, einen Beitrag zur Ernährungssicherheit zu leisten. „Classic Protein for a Modern World“ heißt es in der Selbstbeschreibung des Unternehmens.

Was aber gilt es beim Verzehr von Insekten im Vergleich zu Fleisch zu beachten? Utopia gibt den Überblick.

Sind Insekten nahrhafter als Fleisch?

Das kommt darauf an, wie „nahrhaft“ definiert wird. Essbare Insekten haben laut der Welternährungsorganisation (FAO) einen hohen Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien. Vor allem weisen Insekten einen hohen Omega-3-Gehalt auf. Laut FAO ist zum Beispiel der Mehlwurm eine Quelle wertvoller, ungesättigter Fette. Sein Verhältnis von Omega-3 zu Omega-6-Fettsäuren ist vergleichbar mit dem von Fisch und sogar höher als in Rind- oder Schweinefleisch.

Gleichzeitig schränkt die FAO ein, dass sich die Nährwerte je nach Insekt unterscheiden. So variiert auch der Protein-Gehalt. Tendenziell lässt sich aber sagen, dass der Eiweiß-Gehalt von Insekten dem von Rind-, Schweine-, und Putenfleisch in nichts nachsteht. Der Verbraucherzentrale zufolge hat das Fleisch von Insekten gefriergetrocknet „einen deutlich höheren Gehalt“ als konventionelles Fleisch. Außerdem kann die Art des Futters die Nährstoffzusammensetzung von Insekten beeinflussen. 

Zum Vergleich:

Wanderheuschrecken, Nährwerte pro 100 Gramm (ganz, gefriergetrocknet)

  • Energie: 537 kcal / 2247 kJ
  • Fett: 33,8 g
  • Kohlenhydrate: 2,9 g
  • Eiweiß: 50,9 g

Heimchen, Nährwerte pro 100 Gramm (ganz, gefriergetrocknet)

  • Energie: 462 kcal / 1945 kJ
  • Fett: 19,2 g
  • Kohlenhydrate: 0,2 g
  • Eiweiß: 68,5 g

Rindfleisch, Nährwerte pro 100 Gramm

  • Energie: 139 kcal / 582 kJ
  • Fett: 4,0 g
  • Kohlenhydrate: 0,0 g
  • Eiweiß: 22,0 g

Putenfleisch, Nährwerte pro 100 Gramm

  • Energie: 106 kcal / 444 kJ
  • Fett: 1,5 g
  • Kohlenhydrate: 0,0 g
  • Eiweiß: 21,0 g

Welche Insekten sind essbar und welche in der EU zugelassen?

Weltweit werden mehr als 1900 Insektenarten gegessen. Obgleich die EU erst wenige zum Verzehr zugelassen hat, dienen sie global laut FAO bereits zwei Milliarden Menschen als Nahrungsquelle.

Gegessen werden unter anderem Käfer (Coleoptera), Raupen oder Ameisen. Coleoptera gehören der FAO zufolge zu der Gruppe an Insekten, deren Verzehr global am gebräuchlichsten ist (32 Prozent), gefolgt von Raupen (Lepidoptera, 18 Prozent) und Hautflüglern (Hymenoptera, 14 Prozent), worunter Bienen, Wespen oder auch Ameisen fallen.

Durch die Novel-Food-Verordnung wurden bislang folgende Insekten zum Verzehr innerhalb der EU zugelassen:

  • Mehlwurm: gefroren, getrocknet oder in Pulverform
  • Wanderheuschrecke: gefroren, getrocknet oder in Pulverform
  • Heimchen, Hausgrille: gefroren, getrocknet, in Pulverform sowie teilweise entfettetes Pulver
  • Buffalowurm (Larven des Getreideschimmelkäfers): gefroren, pastenartig, getrocknet oder pulverisiert

Wie sicher ist der Verzehr von Insekten?

Da der Konsum von Insekten in Europa relativ neu ist, sind auch noch die Regularien für insektenproduzierende und -verarbeitende Betriebe auszubauen. So besteht etwa Klärungsbedarf beim Einsatz von Arzneimitteln.

Allerdings sehen die EU-Regularien vor, dass keine Insekten aus der Natur zur Verarbeitung verwendet werden dürfen. Sie müssen aus kontrolliertem Anbau und von der EU zugelassenen Betrieben stammen.

Was die Fütterung der Insekten anbelangt, greift bislang die Futtermittelhygiene-Verordnung. Laut ihr dürfen beispielsweise keine Lebensmittelabfälle verfüttert und nur für Futtermittel zugelassene Zusatzstoffe verwendet werden.

Einem Marktcheck der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2020 zufolge fehlen jedoch auf einigen Insekten-Produkten Hinweise, ob die Produkte bei der Herstellung erhitzt oder einem anderen Verfahren zur Keimabtötung unterzogen wurden. 

Zudem gibt es für Allergiker:innen Einschränkungen. Der Marktcheck stellte bei 32 insektenhaltigen Nahrungsmitteln fest, dass die Kennzeichnung möglicher Kreuzallergien „lückenhaft“ sei.

Die Verbraucherzentrale rät deshalb Personen mit bestehenden Allergien auf Schalen- und Krustentiere, Weichtiere oder Hausstaubmilben, beim Verzehr von Speiseinsekten vorsichtig zu sein. Das Chitin im Außenskelett von Insekten etwa kann allergische Reaktionen auslösen. 

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kommt nach Auswertung diverser Studien bislang zu dem Schluss, dass das neu zugelassene Hausgrillen-Pulver in den vorgeschlagenen Mengen sicher sei. Entsprechende Angaben zu Allergien müssen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste verzeichnet sein.

„Chitinase“: Was ist dran an den Warnungen?

In den sozialen Medien wird fälschlicherweise vor angeblichen Gefahren gewarnt, die der Konsum von Insektenprodukten mit sich bringen soll. Wie die Tagesschau berichtet, kursiert vor allem ein Video unter Verschwörungstheoretiker:innen, das davor warnt, Insekten zu essen, da die Tiere – so die These – Krankheiten auslöse. Der Staat wolle versuchen, Menschen dadurch gefügig zu machen. Eine bestimmte Ernährungsweise werde so den Bürger:innen vorgeschrieben, heißt es.

Miro Dittrich vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) weist gegenüber der Tagesschau darauf hin, dass durch solche Verschwörungserzählungen „der politische Feind dämonisiert“ werde. Bezogen auf potenzielle Gesundheitsrisiken vernachlässigen solche kruden Theorien außerdem, dass Insekten als Lebensmittel von der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft werden. „Es gibt keine bekannten Schäden durch den Verzehr von Insekten, im Gegenteil“, bestätigt Andreas Vilcinskas, Professor am Institut für Insektenbiotechnologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, gegenüber der Tagesschau.

Ein beliebtes Argument aus Verschwörungserzählungen: Chitin, also ein Bestandteil des Panzers von Insekten, würde Krankheiten auslösen. Laut Bericht wird in den Beiträgen betont, dass ein hoher Chitinasewert mit einigen Krankheiten einhergehe. Bei Chitinase handelt es sich um ein Enzym, dass es für den Abbau von Chitin braucht. Bei Krankheiten wie etwa der Erbkrankheit Morbus Gaucher oder Asthma sind die Chitinasewerte im Körper erhöht – das stimmt. Allerdings gibt es Fachleuten zufolge keinen Beleg dafür, dass chitinhaltigen Lebensmitteln diese Krankheiten provozieren.

Im Gegenteil: Im Faktencheck der Nachrichtenagentur AFP erklären Wissenschaftler:innen, dass der Verzehr von Insekten den Chitinasespiegel im Körper gar nicht erst beeinflusse. Bei den angeführten Chitinasewerten handelt es sich demnach um Begleiterscheinungen mancher Krankheiten – und nicht deren Ursache.

Ist der Konsum von Insekten nachhaltiger als der von Fleisch?

Der Umweltorganisation WWF zufolge ist die Ökobilanz deutlich besser als die von Rind, Schwein und Huhn. „Im Vergleich zu Fleisch wird bei der Erzeugung von Insekten wesentlich weniger landwirtschaftliche Fläche benötigt“, heißt es vom WWF laut der Deutschen Presse-Agentur. Im Vergleich zum Huhn seien es etwa 50 Prozent weniger. Während Schweine, Rinder und Hühner naturgemäß mehr Platz verbrauchen, können die kleinen Insekten in höherer Zahl auf engerem Raum gehalten werden. Die FAO stellt fest, dass die Insektenzucht nicht zwingend die Erschließung neuer, bislang unberührter Nutzflächen erfordere, um die Produktion auszuweiten.

Nach FAO-Angaben benötigen Grillen nur etwa ein Zwölftel des Futters verglichen mit Rindern, um die gleiche Menge an Eiweiß zu produzieren.

Bei der Insektenzucht werden auch weniger Treibhausgase freigesetzt. So produzieren nur sehr wenige Insekten (Termiten und Kakerlaken) das klimaintensive Treibhausgas Methan. Dieses wird vor allem bei der Rinderzucht durch die Wiederkäuer freigesetzt und ist laut Umweltbundesamt 25-mal klimaschädlicher als CO2.

Außerdem können Insekten nahezu vollständig verwertet werden. Die deutschen Verbraucherzentralen rechnen vor, dass der essbare Anteil an Insekten mit 80 Prozent deutlich höher liegt als zum Beispiel beim Rind (40 Prozent).

Hausgrillen sind neuerdings innerhalb der EU als Nahrungsmittel zugelassen
Hausgrillen sind neuerdings innerhalb der EU als Nahrungsmittel zugelassen (Foto: Visarut Sankham/dpa)

Wie sieht es mit dem Tierwohl aus?

Laut Verbraucherzentrale mangelt es bislang an genauen Vorgaben zur Haltung und zur Tötung der Insekten. Das ist ein Nachteil, schließlich handelt es sich auch bei Insekten um Tiere, wenngleich sie kein differenziertes zentrales Nervensystem wie etwa Schweine oder Rinder besitzen.

Insekten verfügen über ein sogenanntes Strickleiternervensystem, das aus mehreren Ganglienpaaren (Nervenzellknoten) besteht. Die Frage, ob Insekten dadurch Schmerz empfinden können, ist bislang nicht ausreichend beantwortet. Fest steht: Sie können Reize wahrnehmen.

Das Problem: Während Wirbeltiere ihren Schmerz – etwa durch Schreie – äußern können, ist das Insekten nicht möglich. Allerdings nehmen manche Wissenschaftler:innen an, dass Insekten eine Schmerzreaktion entwickeln. In der Schweiz zum Beispiel ist das Kochen lebendiger Hummer, die wie Insekten über ein Strickleiternervensystem verfügen, seit 2018 verboten. Sie müssen zuvor betäubt werden.

Tierschützer:innen und Forschende gingen hier davon aus, dass Krebstiere wie Hummer aufgrund ihrer hochentwickelten Nervensysteme Qualen erleiden, wenn sie lebendig in kochendes Wasser geworfen werden.

Fazit

Insekten können aus ernährungsphysiologischer Sicht eine echte Alternative zu Fleisch darstellen, sofern sie strengen Kontrollen – auch mit Blick auf das Tierwohl – unterliegen. Hier sollte die EU nachjustieren. Gleichzeitig bergen Insekten das Potenzial, einen Teil der klima- und umweltschädlichen Massentierhaltung der Fleischindustrie zu ersetzen. In puncto Ökobilanz würde der Verzehr von Insekten anstatt Fleisch nach jetzigem Stand deutlich besser abschneiden.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Während Speiseinsekten in ärmeren und/oder bevölkerungsstarken Ländern als Chance zur Sicherung der zum Teil prekären Nahrungsmittelversorgung gesehen werden, haben viele Menschen in europäischen Ländern wie Deutschland hingegen das Privileg, frei über ihre Ernährung entscheiden zu können. Das umfasst auch die Option, gänzlich auf tierische Produkte zu verzichten.

Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.

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