Mode aus Recyclingfasern scheint inzwischen Mainstream zu sein – von Adidas über H&M bis Tommy Hilfiger. Doch wo kommen die Plastikabfälle dafür wirklich her? Und wie sieht die Öko-Bilanz aus?
T-Shirts aus PET-Flaschen, Sneaker aus Meeresplastik, Badeanzüge aus alten Fischernetzen – Recyclingfasern sind überall. Ob Adidas oder H&M, Patagonia oder Burberry: Immer mehr Firmen bringen Kollektionen aus „Ocean Plastic“ oder anderem Plastikmüll auf den Markt. 14 Prozent des Polyesters – die mit Abstand gängigste Faser – sind laut der Organisation Textile Exchange inzwischen recycelt.
Das Versprechen der Marken: Wir säubern die Meere von Geisternetzen, in denen Schildkröten und Delfine qualvoll verenden. Wir verwandeln den Müll von Land und Meer in Kleidung, verbrauchen weniger neues Plastik – und helfen den textilen Kreislauf zu schließen.
Recycling-Kunststoff soll die Meere säubern und Ressourcen sparen
Das klingt gut. Mode aus recyceltem Kunststoff soll die Lösung bringen für die Plastikflut in der Umwelt. Zwischen 8 und 13 Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Meeren, das entspricht der Umweltschutzorganisation WWF zufolge einer Lastwagenladung pro Minute. Das Recycling soll zugleich die Menge an neuem Plastik verringern, denn dafür wird kein neues Rohöl zu Garn versponnen.
Die Modemarken propagieren ihr grünes Image – und geben den Kund:innen ein gutes Shopping-Gewissen. Schließlich gibt Adidas an, mit jedem seiner Recycling-Laufschuhe die Ozeane um elf Plastikflaschen leichter gemacht zu haben.
Doch geht das technisch überhaupt? Besteht die Kleidung wirklich aus Geisternetzen, muschelbesetzten Plastikflaschen und anderem Müll? Und macht das ökologisch überhaupt Sinn?
„Natürlich ist jedes Kilo weniger Plastik im Meer gut“, sagt Kai Nebel, Textil-Nachhaltigkeitsforscher an der Hochschule Reutlingen. „Aber dieses Plastik wieder zu neuen Klamotten zu verarbeiten, halte ich für Unsinn.“ Denn der Aufwand sei viel zu groß, das Verfahren noch nicht ausgereift und die Ökobilanz fraglich. Das gelte nicht nur Ozeanplastik, sondern für recycelte Kunststofffasern allgemein, sagt der Forscher.
„Für das Recycling wird ein Riesenaufwand betrieben – ich habe aber noch keine Ökobilanz gesehen, die wirklich transparent belegt, dass das nachhaltig ist.“
Die Realität: Wenig Meeresmüll, aufwändiges Recycling
Ist das Faser-Recycling also nur ein gigantischer Marketingtrick? Folgt man den Aussagen des italienischen Nylon-Herstellers Aquafil, stimmt das nicht. Das Unternehmen ist einer der größten Nylon-Hersteller der Welt und stellt außerdem das recycelte Nylongarn „Econyl“ her. Rund 240 Modelabels verarbeiten Econyl – von Adidas über H&M und Tommy Hilfiger bis Mammut.
Das Recycling-Garn bewirbt die Firma mit Schildkröten in Fischernetzen, die Modemarken vermarkten es als „Ozeanplastik“.
Die Bezeichnung stimmt nicht ganz: Rund 50 Prozent des Rohstoffs stammt aus Industrieabfällen wie Plastik und Stoffresten, schreibt die Firma auf Anfrage. Die andere Hälfte sei „Post Consumer“-Müll wie alte Teppiche und vor allem Fischernetze aus Aquakulturen. Geisternetze machen da nur den kleinsten Teil aus: „Wir arbeiten auch mit einigen Geisternetzen (…), aber die Menge variiert stark“, schreibt eine Aquafil-Sprecherin. Der Grund: Diese müssten von Tauchern auf NGO-Initiative einzeln geborgen und gesäubert werden und seien in der erforderlichen Masse und Qualität gar nicht verfügbar.
Recycling spart CO2-Emissionen ein
Econyl wird also zwar aus Abfällen gewonnen, aber nur zu einem sehr geringen Prozentsatz aus Meeres-Müll. Doch wie sieht die Umweltbilanz aus? Aquafil sortiert die Rohstoffe, zerkleinert sie vor und recycelt sie dann chemisch. Dabei wird das Nylon depolymerisiert und in seinen hochwertigen Originalzustand zurückversetzt, aus dem neues Nylongarn gesponnen wird. Der Prozess halbiere die CO2-Emissionen im Vergleich zu neuem Nylon und schließe den Textilkreislauf, so die Firma.
Geht es also doch? „Das chemische Recycling erzeugt von der Qualität her Neuware“, sagt Kunststoff-Expertin Franziska Krüger vom Umweltbundesamt (UBA). „Aber es ist sehr energieintensiv. Wir beobachten es daher kritisch.“ In Deutschland gebe es bisher ohnehin nur Pilotanlagen. „Wir wissen noch nicht, ob das Verfahren ökonomisch tragfähig ist. Auch zur ökologischen Bewertung fehlen noch fundierte Daten.“
Auch Textilforscher Nebel betont die „noch fehlende vollständige Bilanz“ beim chemischen Kunststoffrecycling. Neben dem hohen Energieaufwand würden außerdem viele toxische Chemikalien eingesetzt. Ökologisch stehe Aufwand und Ertrag bisher in keinem guten Verhältnis.
Kleidung komplett aus Meeresmüll gibt es nicht
Besser sei bei Kunststoffen das „werkstoffliche“, also mechanische Recycling, sagt Krüger vom UBA. Dabei sei der Energie- und vor allem Chemieaufwand deutlich geringer, allerdings könnten daraus bislang nur minderwertige Fasern gewonnen werden.
Beim Ozeanplastik ist dies besonders schwierig, wie das „Fishing for litter“-Projekt der Hochschule Magdeburg-Stendal mit dem NABU gezeigt hat. Dabei gaben Fischer:innen an Nord- und Ostsee zufällig aus dem Meer gezogene Geisternetze, Taue, Folien und anderen Meeresmüll in den Häfen ab. In mühsamer Handarbeit untersuchten Forscher:innen im Labor die verdreckten Abfälle auf ihre Kunststoffeigenschaften, schnitten die verschiedenen Materialien mit Spezialscheren auseinander und trennten sie in möglichst sortenreine Fraktionen. Nach dem Waschen pressten und schmolzen sie aus den zerkleinerten Abfällen Kunststoffplatten oder Pellets. „Doch am Ende dieses extrem aufwendigen Prozesses ließen sich daraus nur Brillengestelle oder Brieföffner herstellen – Kleidung nicht“, sagt Krüger.
Bleibt festzuhalten: Kleidung komplett aus Geisternetzen oder Meeresmüll gibt es nicht. Im Materialmix können sie – wie bei Econyl – lediglich in geringem Anteil enthalten sein, dies gilt noch mehr für Netze von Fischfarmen. Doch anders als die Werbung etwa der Adidas „Parley for the Ocean“-Kollektion verspricht, beseitigen wir mit unserem Kauf kaum Müll aus den Meeren, weil Geisternetze schwer zu bergen und zu recyceln sind und der übrige Plastikschrott sich für Fasern kaum eignet.
Dies bestätigt indirekt sogar der blaue Adidas-Trainingsanzug aus der Parley-Kollektion: Den Produktdetails zufolge besteht dieser zwar zu 100 Prozent aus Recyclingfasern. Doch nur „zum Teil“ seien diese aus Meeresplastik gewonnen. Das eher aus alten Teppichen oder Aquafarm-Netzen besteht als aus umhertreibendem Müll.
Ist Mode aus PET-Flaschen besser?
Doch woher stammen dann die übrigen Recyclingfasern? „In der Regel nicht aus alter Kleidung, das ist viel zu aufwändig“, sagt Nebel. Der Kleider-Kreislauf lasse sich aufgrund von Materialmix und zunehmend schlechter Qualität nicht schließen. „Am besten funktioniert das mit PET-Flaschen“, sagt Nebel. Die würden ziemlich sortenrein gesammelt und ließen sich gut in Fasern verwandeln.
Doch auch hier übt er Kritik: „Erstens fehlen diese Flaschen dann im PET-Flaschen-Kreislauf – und müssen dafür extra neu hergestellt werden. Und zweitens müssen auch hier immer Frischmaterialien zugeführt werden. Qualitativ hochwertige Endlosfasern – also Filamente – lassen sich beim Recycling nicht herstellen.“ Ein Kleidungsstück aus 100 Prozent Recyclingplastik gibt es Nebel zufolge nicht.
Doch warum können die Firmen dann damit werben? Das Problem ist die fehlende Transparenz: Es ist nicht vorgeschrieben, den tatsächlichen Anteil und Ursprung von Recycling- und Frischfasern zu deklarieren. Beides wäre aber nötig. Zwar arbeitet die EU offenbar an einem Verbot, Kleidung mit geringem Recycling-Anteil als solche zu verkaufen. Aber selbst wenn dieses verabschiedet würde, ließe sich das kaum durchsetzen. Denn bei chemischem Recycling ist der recycelte Anteil analytisch kaum mehr nachweisbar.
Davon profitieren möglicherweise bereits asiatische Produzenten, die ihre Ware als PET-Rezyklat deklarieren und bei denen niemand nachprüfen kann, ob es aus wirklich aus recycelten Plastikflaschen oder aus dem derzeit billigeren Rohöl besteht. Bleibt festzuhalten: Aufgrund der intransparenten globalen Lieferketten und fehlender Deklarierungsvorschriften muss man davon ausgehen, dass selbst bei „recycelten“ Kleidungsstücken neue Fasern enthalten sind.
Weniger Konsum statt mehr Recycling
Orientierung bietet bei Textilien im Wesentlichen der „Global Recycled Standard“ (GRS), doch der hängt nur selten als sichtbares Siegel am Produkt. Zwei andere Recycling-Siegel, RAL Recycling-Kunststoff und EU Cert Plast, gelten nur für europäische Recyclinghersteller, lassen sich nur begrenzt für Fasern anwenden und sind obendrein freiwillig.
Textilforscher Nebel hält die ganze Recycling-Debatte daher für kontraproduktiv.
„Die Modeindustrie fördert das Image vom textilen Kreislauf, weil wir mit gutem Gewissen weiter schnell und viel konsumieren sollen. Aber das geht ökologisch nicht auf.“
Was eigentlich helfen würde: Die vorhandene Kleidung länger zu tragen und weniger neu zu kaufen. Weniger zu waschen – denn darin steckt nach einer Weile der größte Ressourcenverbrauch. Und sie zu reparieren, wenn sie kaputt geht. Erst am Ende ihrer Lebensdauer gehört sie in die Wiederverwertung. „Recycling bringt der Umwelt nur etwas, wenn wir zuerst unseren Konsum reduzieren“, so Nebel.
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