Millionen von Klimaflüchtlingen müssen aufgrund von Naturkatastrophen, fortschreitender Desertifikation oder dem steigenden Meeresspiegel ihre Heimat verlassen. Anerkannt als Flüchtlinge sind sie jedoch nicht.
1985 tauchte erstmals der Begriff „Umweltflüchtling“ auf. Bis heute gibt es jedoch weder für Umwelt- noch für Klimaflüchtlinge eine rechtlich bindende Definition. Nur in Schweden gibt es der Organisation „reset“ zufolge eine gesetzliche Definition für den „Umweltflüchtling“: Eine Person, die aufgrund einer Umweltkatastrophe nicht in ihre Heimat zurückkehren kann.
Die Genfer Flüchtlingskonvention beinhaltet keine Erwähnung von Klimaflüchtlingen. Als Flüchtling gilt dort laut dem Magazin Fluter nur, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen oder gesellschaftlichen Gruppe verfolgt wird. Folglich haben Klimaflüchtlinge keinen Anspruch auf Asyl. Nur nach Naturkatastrophen gewähren einige Länder – darunter Deutschland – Flüchtlingen temporäres Asyl, so reset. Wenn die Gefahr vorüber ist, müssen die Menschen in ihre Heimat zurück.
Doch was, wenn Menschen nicht vor einer einzelnen Naturkatastrophe fliehen? Wenn ihre Heimat zunehmend zur Wüste wird oder vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist? Diese Klimaflüchtlinge haben bisher keinen Flüchtlingsstatus.
Klimaflucht oder klimainduzierte Migration?
Warum tauchen Klimaflüchtlinge nicht in der Genfer Flüchtlingskonvention auf? Fluter macht auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam: Die Klimakrise betrifft alle und hat nicht einen speziellen Verursacher. Die Flüchtlingskonvention ist jedoch darauf ausgelegt, dass Menschen fliehen, weil sie verfolgt werden. Doch wer verfolgt sie? Wie wollen Klimaflüchtlinge nachweisen, dass sie vor dem Klima geflohen sind? Wenn ihre Heimat dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fällt, mag das noch einfach sein. Doch wenn Ernten immer knapper werden und das nur mittelbar mit dem Klimawandel zu tun hat?
Das Problem ist: Gründe für Flucht und Migration sind meistens komplex, es gibt oft mehr als einen Fluchtgrund. Beispielsweise kann es sein, dass jemand wegen des Klimawandels zunehmend von Stürmen und Überschwemmungen bedroht ist – letztendlich verlässt er seine Heimat jedoch wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage. Die kann wiederum durch Stürme und Überschwemmungen beeinflusst sein.
Im Deutschlandfunk beschreibt Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, dass es sich oft weniger um eine Klimaflucht, als um eine Klimamigration handelt. So verlassen manche Menschen wegen der allgemeinen misslichen Lage zeitweise oder dauerhaft ihre Heimat. Deshalb sprechen Politiker oft nicht von „Klimaflucht“, sondern von „klimainduzierter Migration„.
Du siehst – das Thema ist sehr komplex. Von Klimaflüchtlingen zu klimainduzierter Migration, von Naturkatastrophen zu schleichenden Veränderungen. Hier ein paar konkrete Beispiele an, wie der Klimawandel zum Fluchtgrund werden kann.
Wovor fliehen Klimaflüchtlinge?
Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie setzt sich mit der Problematik der Klimaflüchtlinge auseinander. Sie macht diese direkten Fluchtgründe aus:
- Viele Küstenregionen und Inseln sind vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Der Atlas der Globalisierung 2019 schreibt, dass bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad allein in China 20 Millionen Menschen durch den steigenden Meeresspiegel bedroht wären. Zusätzliche Bedrohungen stellen in diesen Gegenden oft Stürme und Überschwemmungen dar.
- Das gegenteilige Problem kennen Klimaflüchtlinge aus trockenen Gegenden: In Nordafrika beispielsweise breitet sich die Sahara immer weiter aus. Insbesondere in der Sahelzone am südlichen Rand der Wüste haben Menschen zunehmend mit Dürren und Wasserknappheit zu kämpfen.
- Trockenheit und Hitze bedrohen Menschen auch in anderen Regionen: Ein bekanntes Beispiel ist das Amazonasbecken, in dem immer wieder schwere Waldbrände wüten.
- Ein ganz anderes Problem haben die Menschen im hohen Norden: Dort führt der Klimawandel zunehmend dazu, dass Permafrostböden auftauen. Dies kann zu Erdrutschen führen, die Häuser und Straßen schwer beschädigen.
Neben diesen direkten Gründen finden sich noch viele komplexere Mechanismen, die zu Klimaflucht führen. Fluter beschreibt beispielsweise die Entstehung der Syrienkrise: In Syrien gab es ab 2006 eine Dürreperiode, die die bereits bestehenden Spannungen verschärften. Menschen wurden unzufriedener, zogen vermehrt in die Städte, die Arbeitslosigkeit stieg. Alles zusammen entlud sich schließlich in Protesten, auf die der noch heute währende Krieg folgte.
Syrien ist ein Beispiel dafür, dass der Klimawandel oft nicht der direkte Fluchtgrund ist, sondern bestehende Probleme verschärft. Das ist auch das Fazit der Greenpeace-Studie zu Klimaflüchtlingen.
Wie viele Klimaflüchtlinge gibt es?
Da Klimaflucht ein sehr komplexes Thema ist, lässt sich die Zahl der Klimaflüchtlinge nur schwer beziffern. Die Greenpeace-Studie entstand 2007 und bezifferte die Anzahl der Klimaflüchtlinge damals auf 20 Millionen. Das wäre mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge. Bis 2040 soll die Anzahl der Klimaflüchtlinge demnach auf 200 Millionen steigen. Reset zufolge sind die meisten Klimaflüchtlinge bisher Binnenflüchtlinge, die in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind. Besonders betroffen sei der globale Süden.
Benjamin Schraven hält die Prognose von 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050, die bereits in den 90ern aufgestellt wurde, für zu hoch. Als Grund nennt er das Problem der vielfältigen Fluchtursachen, hinter denen der Klimawandel oft nur schwer auszumachen ist. Hier ist vermutlich entscheidend, ab wann ein Mensch genau als Klimaflüchtling gilt. Und genau dafür fehlt bisher eine zufriedenstellende Definition.
Tut sich was bei der Anerkennung der Klimaflüchtlinge?
Die Uno-Flüchtlingshilfe (UNHCR) bezeichnet die Flucht vor der Klimakrise und Umweltzerstörung als eine ihrer größten Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen setzt sich dem Spiegel zufolge für die Anerkennung von Klimaflüchtlingen ein: Wenn die Klimakrise Menschen in Lebensgefahr bringe, müsse ihnen politisches Asyl gewährt werden.
In Deutschland erkennt Entwicklungsminister Gerd Müller der Welt zufolge ebenfalls an, dass es Klimaflüchtlinge gibt. Die Bundesregierung hält insgesamt jedoch daran fest, dass man keinen direkten Zusammenhang zwischen Klimawandel und Flucht feststellen könne. Laut der Welt haben Klimaflüchtlinge deshalb nach wie vor in Deutschland nur ein Aufenthaltsrecht, wenn ihnen in ihrer Heimat unmittelbare Gefahr droht.
Was ist mit Klimaflüchtlingen, die ihre Heimat vollends verlieren, weil diese im Meer versinkt? Wenn in Zukunft ganze Inselstaaten versinken, werden deren Bewohner im Grunde staatenlos. Für solche Fälle wird ein sogenannter „Klimapass“ diskutiert, unterstützt unter anderem von den Grünen. Einen ähnlichen Pass gab es schon einmal nach dem Ersten Weltkrieg für Staatenlose.
Fluter beschreibt allerdings, dass es vielen Menschen auf bedrohten Inseln weniger um die Anerkennung als Klimaflüchtlinge geht: Viel mehr wollen sie größtmögliche Unterstützung, damit sie so lange wie möglich in ihrer Heimat bleiben können. Vor allem fordern sie konsequenten Klimaschutz.
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